Transylvanisches Terroir
In Osteuropa ist Land billig und westliche Investoren kaufen
Boden in großem Stil. NGOs sprechen bereits von „Land Grabbing“ und so mancher ausgekaufte Bauer könnte sich im Marchfeld als Billig-Erntehelfer wiederfinden. Text: Thomas Weber
Auf Lesungen zeitgenössischer Lyrik, bei Filmabenden oder Vernissagen: Wenn in Wien das rumänische Kulturschaffen gastiert, wird gerne „Liliac“ kredenzt; etwa der honiggelbe Muscat Ottonel mit seinem intensiven Lychee-Aroma oder der Red Cuvée, ein feiner Verschnitt der Rebsorten Merlot und Fetească Neagră. Das Unternehmen „Liliac Wines“ unterstützt das Rumänische Kulturinstitut in Wien, sieht sich als Gönner und Förderer der rumänischen Kultur. Dabei ist „Liliac“ ein Markenbotschafter des modernen Rumänien. Vermarktet als „The Wine of Transsylvania“ mit einer schemenhaften Vampirfledermaus im Logo und damit klar für den Export bestimmt, kombiniert er Klischees im zeitgemäßen Antlitz – während in Siebenbürgen selbst der Wein oft noch in selbst aufgefüllten PET-Flaschen kursiert. Die Links auf der Liliac-Website führen nicht nur auf die eigenen Instagram- und Pinterest-Accounts, sondern verlinken auch auf „Eco Romania“, eine Plattform, die Öko-Tourismus vermarktet. Hier flattert keine Logo-Fledermaus, stattdessen heult im Reich von „Eco Romania“ eine Wolfs-Silhouette gen Nachthimmel. Den Mond dürfen wir mitdenken – wie auch die Fotos der Reiseplattform Sehnsüchte nach unberührter Natur wecken.
Kultur, das ist hier vor allem Kulturlandschaft und das Ergebnis kleinbäuerlicher – man könnte sagen: sanfter – Landwirtschaft: weite Wiesen, Weideland, Heuschober, Holzhütten und die hohen Haufen der traditionellen Heuernte. Idylle pur, klar für den Export bestimmt.
Dass „Liliac Wines“ kein klassisches Weingut ist, daraus wird kein Geheimnis gemacht. „Transylvanische Weintrauben treffen auf österreichische Expertise“, verkündet stolz die Website. Das Know-how des Weinmachens liefert der renommierte burgenländische Agrarunternehmer Rudolf Krizan, das Kapital stammt von der in Wien angesiedelten AMB Holding um den Unternehmer Alfred Michael Beck. Seine Gruppe entwickelt Immobilien in Wien und Prag, baut aktuell einen Business Park in Bukarest und ebenso Hochhäuser in Warschau. Seit 2007 bewirtschaftet AMB in Oltenien – der Kornkammer Rumäniens – 700 Hektar Land.
Auf 50 Hektar reifen seit sieben Jahren die Trauben für den „Liliac“ und selbst Wälder hat die Holding aufgekauft. „Aktuell wird noch nach geeigneten Flächen gesucht, die eine effiziente Bewirtschaftung ermöglichen“, heißt es, „Chancen bietet die Initiative auch Investitionspartnern und Mitunternehmern, die sich an der Umsetzung eines rumänischen Forstprojekts beteiligen wollen.“ Unmissverständlich wird hier für wachsende Weltmärkte produziert. Mit den idyllischen Bildern von „Eco Romania“ haben die Kahlschläge der Pellets-Industrie und auch die effizient exportorientierte Weinwirtschaft freilich wenig gemein.
Billiger Boden
Die AMB Holding ist eben so wenig ein Einzelfall wie Rumänien die Ausnahme bleibt für das, was internationale NGOs, Menschenrechtsaktivisten und lokale Kleinbauernvertreter als „Land Grabbing“ verurteilen. Seit dem EU-Beitritt und der als Bedingung daran geknüpften Land-Liberalisierung haben neben Investoren aus Asien und dem arabischen Raum vor allem Unternehmer aus Österreich und Deutschland hunderttausende Hektar Land gekauft: in Ungarn und Polen (Beitritt: 2004), in Rumänien und Bulgarien (Beitritt 2007). Auch am Balkan, in Kasachstan und Kirgistan sind Investoren hyperaktiv, darunter viele Österreicher und darunter wiederum nicht wenige österreichische Großbauern. Das jahrzehntelang von Agrarfunktionären propagierte Credo des „Wachse oder Weiche“ – welches besagt, dass Bauernhöfe entweder größer zu werden hätten oder eben gleich ganz aufgeben sollten – haben sie nach dem Fall der kommunistischen Regimes im Osten Europas konsequent eingelöst.
Nach Schätzungen des österreichischen Landwirtschaftsministeriums bewirtschaften allein in Ungarn 200 österreichische Agrarbetriebe 200.000 Hektar Land und damit vier Prozent der ungarischen Agrarfläche.
Vom Bauernsterben zur ErntehelferIn
Das in Österreich über Jahrzehnte schleichend erfolgte „Bauernsterben“, das hierzulande immerhin durch soziale Netze abgefedert werden kann, passiert in Rumänien, Polen und Ungarn in Windeseile. Für die EU-Agrarpolitik sind diese Entwicklungen kein alarmierendes Zeichen, sie sieht darin einen notwendigen „Strukturwandel“. Und die massivsten Umwälzungen stehen erst bevor, sie werden von EU-Agrarförderungen sogar noch beschleunigt. Denn diese Förderungen zahlt die EU ab einer Betriebsgröße aus, für die rund 70 Prozent der kleinbäuerlichen Familienbetriebe in Rumänien schlicht zu klein sind. Den Familien bleibt künftig nur, ihr Land zu verkaufen, in eine Stadt zu ziehen oder ins EU-Ausland abzuwandern. Die unmittelbarste Folge dieser Entwicklungen ist also die Landflucht. Denn wirkliche Strategien für die ländlichen Regionen Osteuropas gibt es in der Europäischen Union keine. „Um der Armutsspirale zu entkommen, finden sich die Betroffenen dann allzu oft als erdbeerpflückende Niedriglohnempfänger auf spanischen Plantagen wieder“, heißt es in einer 2014 erschienenen Studie der NGO FIAN über „Landkonzentration und Land Grabbing in Osteuropa“. FIAN, eine internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht auf Nahrung, weist auch auf die Rolle, die österreichische Unternehmen dabei spielen, hin. Denn auch auf den Feldern des Marchfelds sind schlecht bezahlte ErntehelferInnen aus Rumänien keine Seltenheit.
Warnung vor südamerikanischen Verhältnissen
Als „Land Grabber“ sieht sich die Wiener AMB Holding selbst freilich nicht. 40 Jahre sozialistische Planwirtschaft hätte tiefe Spuren in den Köpfen Rumäniens hinterlassen. Um die Ertragsquote mit jedem Jahr steigern zu können, werde massiv investiert. „Im Sinne eines verantwortungsbewussten Investments ist das Engagement langfristig angelegt. Es gilt, eine Win-Win-Situation für alle zu schaffen – nicht zuletzt für jene Menschen, die täglich auf den Feldern in Stoicanesti arbeiten“, so die AMB Holding.
Rumänische Kleinbauernvertreter wie der Siebenbürger Sachse und Biobauer Willy Schuster warnen – etwa in einer Dokumentation von „Spiegel TV“ – vor dieser rasanten Entwicklung und sogar vor südamerikanischen Verhältnissen, die sich gerade im Osten Europas breit machen könnten: wenigen Großgrundbesitzern („sogenannte Investoren“) stünde zusehends ein landloses Proletariat gegenüber.
Ein weiteres Problem führt FIAN in seiner Land-Grabbing-Studie an: „Die Großkonzerne zielen besonders auf intensiv bewirtschaftete, auf den Export ausgerichtete Monokulturen ab. Damit kommt der landwirtschaftliche Ertrag kaum der lokalen Bevölkerung zu.“
Schon jetzt werden in Rumänien 70 Prozent der Lebensmittel importiert. Eine klimaverträgliche Agrarpolitik müsste jedenfalls eine gegenteilige Entwicklung fördern, Ernährungssouveränität und regionale Resilienz zu sichern trachten. Die Entwicklung ist also nicht nur in sozialer, sondern auch hinsichtlich der Klimaproblematik bedenklich.
In der zeitgenössischen rumänischen Literatur wie auch im Filmschaffen gibt es in jüngster Vergangenheit einen auffälligen künstlerischen Gemeinplatz: Protagonisten sind minderjährige Kinder, die sich – monatelang alleine zu Hause gelassen – um jüngere Geschwister, oft noch im Kleinkind-Alter kümmern. Vater und Mutter schicken Geld. Auf den Feldern des Westens ernten sie unser regionales Gemüse, helfen sie Biobauern und Biobäuerinnen beim Unkrautjäten, betreuen und pflegen sie unsere Bettlägerigen und Alten. Wird in Wien daraus vorgelesen, werden die Filme auf Festivals oder in Programmkinos gezeigt, dann wird im Anschluss daran nicht selten mit einem guten Glas „Liliac“ darauf angestoßen.
Thomas Weber, geboren 1977, lebt und arbeitet in Wien als Journalist und Herausgeber von „The Gap“ (Magazin für Glamour und Diskurs) und „Biorama“ (Magazin für nachhaltigen Lebensstil). Er ist Autor von „Ein guter Tag hat 100 Punkte.“ (Residenz Verlag, 2014) und des Sachbuch-Bestsellers „100 Punkte Tag für Tag. Miethühner, Guerilla-Grafting und weitere alltagstaugliche Ideen für eine bessere Welt“ (Residenz Verlag, 2016).
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