Sagen Sie niemals "Lügenpresse"
CLARTEXT. Kritik an JournalistInnen muss sein, aber der Ton
macht die Musik. Das 1x1 der Medienkritik. Clara Akinyosoye sagt es nicht durch die Blume. Eine Kolumne über Diversität und Migration, Illustration: Petja Dimitrova
Vor einigen Jahren begannen deutsche JournalistInnen mit Migrationshintergrund damit, außergewöhnliche Lesungen zu halten. Sie lasen nicht etwa aus ihren Büchern, sondern trugen Leserbriefe vor – nämlich die Art von Leserpost, die niemand gern bekommt – rassistische, beleidigende, übergriffige. Die antirassistische Leseveranstaltung machte sich unter dem Titel „Hate Poetry“ einen Namen. Vergangenes Jahr bestätigte dann eine Erhebung, die sich „Journalisten-Barometer“ nennt, was viele von uns schon lange monieren: Der Ton des Publikums ist rauer geworden. JournalistInnen-Beleidigung ist derzeit leider angesagt – via Post, Mail und Social Media. Journalistinnen sind mit Sexismus konfrontiert und JournalistInnen mit Migrationshintergrund mit rassistischen Kommentaren. Aber der Wind weht JournalistInnen grundsätzlich heftig entgegen – auch wenn sie männlich und autochthon sind. Nicht falsch verstehen, Medienkritik ist mir eine Herzensangelegenheit. Als ehemalige Chefredakteurin einer Mediawatch-Organisation, die die Berichterstattung über Migration und Integration einem genauen Blick unterzogen hat, weiß ich, wie begründet und essentiell Medienkritik sein kann. Als jemand, die sich auch wissenschaftlich mit der Berichterstattung über ethnische Minderheiten beschäftigt hat, weiß ich um den Negativ-Bias, die Stigmatisierung, die Problematisierung, und die Exotisierung von Menschen, die oder deren Eltern eine Migrationsgeschichte haben. Und als Journalistin weiß ich aus eigener Erfahrung, dass man auch mal Fehler macht, Stereotype reproduziert, Menschen aus Zeitmangel oder Ignoranz nicht zu Wort kommen lässt, die gehört werden sollten. Es ist gut, wenn man uns den Spiegel vorhält. Aber die Art und Weise, wie dies geschieht, lässt doch oft zu wünschen übrig. Von Menschen rechts der Mitte schon lang, aber ich bemerke auch immer wieder problematische Wortmeldungen und Postings von Menschen, die sich selbst links der Mitte verorten. Verstehen Sie das jetzt bitte nicht als LeserInnenbeschimpfung. Das ist vielmehr eine Hilfestellung für alle, die erfolgreich Kritik üben wollen. Wenn Sie also das nächste Mal Kritik an einem Journalisten oder einer Journalistin üben wollen, denken Sie bitte an meine kleine Anleitung. 1. Verwenden Sie bei LeserInnepost bitte die üblichen Höflichkeitsformeln, was etwa die Anrede und den Gruß betrifft. 2. Verwenden Sie bitte nicht die Worte „Lügenpresse“ oder „Systemmedien“. Auch nicht unter Anführungszeichen. 3. Bitte keine Beleidigungen. 4. Versuchen Sie, den Vorwurf der Verschwörung spärlich einzusetzen. 5. Wenn Sie glauben, einen Fehler in einem Text bemerkt zu haben, versuchen Sie dies bitte ohne Spott und Hohn zu kommunizieren. (Vermeiden Sie Sätze wie „Der ganze Erdkreis wird über Sie lachen.“) 6. Vergessen Sie nicht, dass JournalistInnen Menschen sind. Alles klar? Dann kann ja nix mehr schief gehen.
Clara Akinyosoye ist freie Journalistin und Ex-Chefredakteurin von M-Media.
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