Raues Pflaster Praterstern
SONDERECKE. Vertreibt die Polizei am Praterstern systematisch junge Flüchtlinge? Um die Ecke gedacht mit Philipp Sonderegger, Illustration: Petja Dimitrova
Der Praterstern ist ein Schlupfwinkel für die Gestrandeten der Konsumgesellschaft. Obdachlose, Trinker, Gelegenheitsarbeiterinnen aus dem Osten, Junkies. Und seit kurzem die afghanischen Jugendlichen, die vom Westbahnhof vertrieben wurden. Die unschöne Ansammlung Untätiger erregt das Missfallen des disziplinierten Bürgers. Der Boulevard fordert Repression, die Stadt kontert mit Repression.
Wie kann das gut gehen? Welche „öffentliche Ordnung“ wird hier mit welchen Mitteln durchgesetzt? Der Lokalaugenschein übertrifft die Befürchtungen. Das Ausreizen rechtlicher Spielräume war zu erwarten. Aber hier drängt sich der Eindruck auf, dass Befugnisse der Polizei missbraucht werden, um Unliebsame zu vertreiben.
Ein Beispiel: In der Wartehalle stehen vier afghanische Jugendliche. Ein Polizeibus fährt vor, eine Gruppe der Bereitschaftseinheiten steigt aus. Das sind fünf Auszubildende und ein Offizier in Zupack-Montur. Obwohl die Afghanen kein erkennbar rechtswidriges Verhalten setzen, eilt der Trupp gezielt auf diese zu. Die jungen Männer haben sichtlich ein Déjà-vu und beginnen sich zu entfernen. Die Polizei hinterher. Zwei Eifrige vorneweg, der Gruppenkommandant bleibt mit etwas Abstand zurück. Hier zählen nicht die Leitbilder der Polizeiführung, sondern der Alltags-Ruf nach Law & Order. Der Ton ist rauh, die Körpersprache martialisch.
Ein Polizist nähert sich dem Beobachter und gibt die Anweisung „Gehn’s weiter“. Auf die Frage, ob es sich um eine rechtswirksame Wegweisung handle, dreht er wortlos um und widmet sich wieder wehrloseren Personen. „Raus jetzt“ herrscht die Beamtin einen Flüchtling an, nachdem alle Personalien überprüft sind und nichts vorliegt. Ihr Zeigefinger ruht im Gestus schräg nach oben, ihr Blick geht am Gegenüber vorbei.
Hätten die Jugendlichen Zugang zu wirksamer Rechtsvertretung, hätte die Republik Österreich ein Nachsehen. In mehreren Punkten verletzt die Amtshandlung die Richtlinien ganz offenkundig. Doch wir, die Republik, lassen unsere Organe derart gewähren, gerade weil die Neuankömmlinge keinen tatsächlichen Zugang zum Recht haben. Hier herrscht der sprichwörtliche, rechtsfreie Raum.
Noch schlimmer: Der Staat verbreitet eine Botschaft unter den jungen Flüchtlingen, unausgesprochen aber unmissverständlich: „Wir wollen euch hier nicht“. So haben sie ihn bereits auf ihrer beschwerlichen Reise kennen gelernt. Feindlich gesinnt. Der Staat, ein unberechenbarer Gegner. Das Recht, eine Waffe der anderen. Nie wären die Flüchtlinge an ihr Ziel gelangt, hätten sie sich nicht in jedem einzelnen Land widersetzt. Nun, am Endpunkt - in Sicherheit - verwehren wir ihnen die notwendigen Erfahrungen, um diese Einstellung zum Staat zu revidieren. Die Flüchtlinge werden weiterhin auf Verwandte und Landsleute zählen, statt auf Institutionen und Verfahren.
Philipp Sonderegger ist Menschenrechtler, lebt in Wien und bloggt auf phsblog.at
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