Mords Gaudi
POPULÄR GESEHEN. Die drei Gesichter des Witzes. Eine Kolumne von Martin Schenk, Illustration: Petja Dimitrova
Lachen ist gesund – aber nicht für jeden. Und nicht unter allen Umständen. Der Witz hat mehrere Gesichter. Eines davon ist aggressiv-abwertend gegenüber Minderheiten und Leuten ohne Macht, bevorzugt eingesetzt in den letzten Jahrzehnten gegen Juden, Schwarze, Flüchtlinge, Armutsbetroffene, Roma oder wer halt gerade auf der Sündenbockliste steht. Die Witze, welche auf Erniedrigung und Entmenschlichung abzielen, sind nicht harmlos. Sigmund Freud nennt sie die „tendenziösen, entblößenden, aggressiven Witze“.
Dieser Witz braucht immer drei Personen: den Erzähler, die Zielscheibe und ein Publikum. Seine Wirkung entfaltet er dadurch, dass er den Erzähler mit dem Publikum zusammenschweißt – auf Kosten der Zielscheibe, die außen vor bleibt.
Es geht darum, die Lacher auf seine Seite zu ziehen.
Der tendenziöse Witz verwandelt die auch anfänglich indifferenten Zuhörenden „in einen Mithasser oder Mitverächter und schafft dem Feind ein Heer von Gegnern, wo erst nur ein einziger war“ (Freud).
Durch den Überraschungseffekt des Witzes wird die Wächterfunktion des Über-Ichs überlistet, und das Ich erspart sich seinen „Hemmungsaufwand“ gegenüber asozialen und bösen Impulsen, die schon auf der Lauer liegen. Es entsteht eine kleine Euphorie, die ethische Orientierungen außer Kraft setzt. Eine Mords Gaudi. Das ist die Funktionsweise des Witzes als soziale Waffe gegenüber Minderheiten oder Statusniedrigeren.
Es gibt auch das andere Gesicht des Witzes. Wir lachen über uns selbst. Freud kommt auf den jüdischen Witz zu sprechen, der sich darin auszeichnet, sich selbst zur „Zielscheibe“ zu machen. Dieser selbstreflexive Witz funktioniert zu zweit – anders als beim entblößend-aggressiven Witz. Erzähler und Zielscheibe sind dieselben. Der Zuhörer kann von außen sein oder auch mit zur Gruppe gehören.
„Meine Form des Kabaretts habe ich aus der Abneigung heraus entwickelt, dass im Kabarett immer über andere gelacht wird, die nicht anwesend sind. Das ist ein sehr preiswertes Lachen“, sagt der Kabarettist Josef Hader dazu. „Daher war es mir immer ein Anliegen, die Kritik in den Raum zu holen und an denen auszuüben, die da sind: am Kabarettisten und am Zuschauer. Damit erzielt man eine Unmittelbarkeit: Es wird das Hier und Jetzt verhandelt.“
Das dritte Gesicht des Witzes offenbart seine befreiende Kraft. „Der Humor ist nicht resigniert, er ist trotzig, er bedeutet nicht nur den Triumph des Ichs, sondern auch den des Lustprinzips, das sich hier gegen die Ungunst der realen Verhältnisse zu behaupten mag“ (Freud). Hier wird ein Über-Ich überlistet, das uns erniedrigt, das uns Entwicklung nimmt. Hier werden Herrschaftsverhältnisse in Frage gestellt. Da entfaltet der Witz eine Kraft, die wir wie die Luft zum Atmen brauchen.
Martin Schenk ist Sozialexperte der Diakonie Österreich.
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