"Ist das nicht gefährlich, so als Frau?"
Im Kongo ist Gewalt wie in allen langjährigen Kriegsgebieten ein Normalzustand auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Eine kritische Betrachtung, wie der Journalismus darüber berichtet. Reportage und Fotos: Simone Schlindwein
Ist das nicht gefährlich als Frau?“, werde ich stets gefragt, wenn ich von meiner Arbeit als Journalistin im Kriegsgebiet der Demokratischen Republik Kongo berichte. „Da werden doch die Frauen vergewaltigt“, heißt es stets als Erklärung für die Frage.
Neun Jahre arbeite ich mittlerweile schon im Ostkongo. In dieser Zeit habe ich unzählige vergewaltigte Frauen getroffen und noch mehr Vergewaltigern und Mördern in Uniform die Hände geschüttelt. Über 50 Rebellengruppen machen dort den Dschungel unsicher, täglich werden es mehr. Irgendwann habe ich aufgehört sie zu zählen.
Irgendwann habe ich auch aufgehört, auf die Frage nach der Gefahr zu antworten. Klar ist: Journalismus in Krisengebieten ist immer gefährlich. Nicht nur im Kongo, sondern in Syrien, Irak oder Afghanistan sowie jüngst auch in der Türkei, der Ukraine oder gar in Ostdeutschland, wo Journalisten als „Lügenpresse“ beschimpft und angegriffen werden.
Was den Kongo für uns weibliche Journalistinnen angeblich so gefährlich macht, ist dieses Vorurteil, dass man als Frau immer sofort gleich sexuell missbraucht wird. Das haben wir uns selbst eingebrockt.
Unter uns Journalisten und Journalistinnen, die wir schon seit vielen Jahren den Kongo berichten, ist ein Running-Gag besonders beliebt. Der geht so: „Kommt ein Filmteam in den Dschungel geflogen und sucht eine vergewaltigte Frau. Es geht zum Dorfältesten und fragt ganz diskret nach. Der bestellt alle Dorfbewohner ein und spricht: ’Wer jemals Opfer sexueller Gewalt geworden ist, erhebe sich!‘ Alle stehen auf. Auch die Männer.“ Das ist nicht nur ein Witz, sondern auch die bittere Wirklichkeit.
Es gibt sie, die Kollegen, die zum ersten Mal im Dschungel aufschlagen, mit dem Auftrag Vergewaltigungen zu dokumentieren
Die Gretchenfrage ist dann stets: Wie findet man ein Opfer, „am besten eines, das auch noch gut vor der Kamera darüber reden kann“? Mir wird diese Frage oft gestellt, gerne abends an der Hotelbar. Man verweist diese Kollegen dann an Krankenhäuser wie „Heal Africa“ oder das Panzi-Hospital, die haben sich auf sexuelle Gewalt spezialisiert. Da liegen Tausende Frauen und Mädchen. Alle Opfer.
Der Kongo gilt in der Medienöffentlichkeit als der Schauplatz schlechthin für Vergewaltigung; wer besonders brutale sexuelle Gewalt dokumentieren will, reist nach Ostkongo. In den meisten Berichten wird als Grund für diese maßlose sexuelle Gewalt der Rohstoffreichtum des Landes angegeben. Es ginge um Coltan – das Erz, das für die Herstellung von Handys gebraucht wird und auf dem Weltmarkt gefragt ist. „Hörst du die kongolesischen Frauen in deinem Handy schreien?“ – wählte sich einmal eine Aktivistengruppe als Slogan für ihr „fair Phone“. Die Opfer werden instrumentalisiert für eine Marketingkampagne und dem Verbraucher verklickert: Wenn nur alle „faire“ Handys kauften, dann müsste im Kongo keine Frau mehr leiden. Schwachsinn.
Es ist die Verantwortung von uns Journalisten und Journalistinnen, die Zusammenhänge zu verstehen. Bei der endemischen sexualisierten Gewalt geht es weder um Coltan noch um sexuelle Befriedigung, sondern um eine tief gehende strukturelle Gewalt, die nicht nur die Frauen betrifft, sondern alle: Kinder, Alte und auch die Männer. Dass stattdessen die Erklärungsmuster „Rohstoffe“ und „Handy“ auftauchen zeigt, dass wir unseren Job nicht machen und es lieber Aktivisten überlassen, die vermeintlichen Zusammenhänge zu erläutern.
Alle Dorfgrößen kommen, um Opfer zu präsentieren
Auch ich hatte meinen Running-Gag-Moment. Es war 2011 in dem kleinen ostkongolesischen Dorf Luvungi. Die UNO hatten gemeldet, dass dort knapp 400 Frauen in nur drei Tagen vergewaltigt worden waren. Da standen wir also, ich und mein männlicher Fotografen-Kollege, auf dem Fußballfeld mitten im Dorf, wo der Hubschrauber gelandet war. Mit Kamera und Notizbuch
ausgestattet: auf der Suche nach vergewaltigten Frauen.
Die erste Station, wie sollte es anders sein, war der Gemeindevorsteher, der wiederum führte uns zum lokalen Polizeichef, der rief den örtlichen Armeekommandeur herbei, welcher noch den Pfleger von der örtlichen Gesundheitsstation hinzu winkte. Etwa zwölf indische, bewaffnete Blauhelmsoldaten begleiteten uns auf Schritt und Tritt – zur Sicherheit, denn dies sei Rebellengebiet, sagten sie. Als die Rebellen wenige Wochen zuvor das Dorf überfallen und vier Tage lang vergewaltigt hatten, waren die Blauhelme nicht aktiv geworden, dabei waren sie nur ein paar Kilometer entfernt stationiert. Mir gegenüber fühlten sie sich jetzt aber umso mehr verantwortlich.
Letztlich endeten wir in einem windschiefen Armeezelt, in welchem ein paar Dutzend Männer im Kreis saßen, die uns alle abwechselnd von den Vergewaltigungen berichteten, die die Rebellen hier verübt hätten.
„Wollen Sie mal sehen, was sie den jungen Mädchen angetan haben?“, fragte der Polizeikommissar. Bevor ich antworten konnte, trug eine Frau ein 4-jähriges Mädchen im rosa Kleidchen hinein. Es bewegte sich nicht und wurde wie eine Puppe inmitten der im Kreis sitzenden Männer abgesetzt. Ihre inneren Verletzungen seien so stark, dass sie blute und nicht laufen könne.
„Machen Sie ein Foto!“, sagten die Männer.
Zum Glück hatte mein Fotograf schon das Zelt verlassen, und ich ging ihm nach. Er war den Hügel hinaufgestapft, um ein paar Panoramaaufnahmen zu machen: lauter kleine Dörfer zwischen den Hügeln. Wir sahen Frauen, die die Äcker an den Hängen beharkten. Die an Marktständen Tomaten verkauften und am Flussufer Wäsche wuschen. Wir sahen Mädchen, die Wasserkanister schleppten. Einfach unvorstellbar: Rein rechnerisch konnte bei knapp 400 Vergewaltigungsopfern keine einzige verschont geblieben sein, kein Mädchen und keine Großmutter.
Nur ganz wenige Männer waren noch im Dorf, die übrigen hatten sich längst einer Bürgerwehr angeschlossen. In dieser Bürgerkriegsgesellschaft sind Frauen das Rückgrat. Wer die Sozialstruktur zerstören will, muss bei ihnen anfangen.
20 Jahre systematischer Terror
Dann kam der tägliche Tropenregen, und wir stellten uns unters Vordach einer kleinen Lehmhütte. Darin saß eine junge Frau und stillte ihr Baby. Sie winkte uns herein. Wir nannten sie später für unseren Bericht Marie, weil wir ihre Identität schützen wollten. Sie rief ihre Nachbarinnen: ein 16-jähriges Mädchen, das von der Vergewaltigung schwanger geworden war. Eine runzelige 79-jährige Großmutter, deren Wickelrock nach Urin roch, weil sie als Folge der Vergewaltigung das Wasser nicht mehr halten kann. Sie alle wollten reden. Doch nicht nur über jene Nacht der Vergewaltigungen, sondern über 20 Jahre systematischen Terror, den sie erfahren haben.
Rebellen, die Raubzüge begehen, die junge Männer entführen, töten. Von ihren eigenen Männern, die eine Miliz gegründet haben, um sich zu wehren und seitdem im Wald leben und ebenfalls plündern und töten – eine Spirale der Rache. Die Vergewaltigungen waren nur die Spitze eines Eisbergs, eine Form der Gewalt, neben vielen anderen. Und es betraf nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer. Über fünfzig Männer wurden ebenfalls Opfer, inklusive dem Dorfvorsteher. Darüber wollte aber niemand reden.
Ich schämte mich furchtbar. Das war alles zu kompliziert, um es in der Zeitung zu beschreiben. Was Gewalt und Krieg wirklich bedeuten, das wissen wir EuropäerInnen überhaupt nicht mehr. Unsere Großelterngeneration, die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt hat, hätte da sicher mitreden können. Im Kongo ist Gewalt wie in allen langjährigen Kriegsgebieten ein Normalzustand auf allen gesellschaftlichen Ebenen und hat sich über Generationen hochgeschaukelt.
Nur so lässt sich dieser Horror erklären. Denn warum sonst rammen Vergewaltiger den Frauen Macheten in den Unterleib bis Weltsie verbluten? Was macht es für einen Sinn, sich eine Großmutter zu nehmen? Was hat dieser brutale Gewaltakt mit sexueller Lust zu tun? Wieso geschieht dieser Horror so systematisch? Marie hatte keine Antwort darauf: „Wenn Sie einmal einen Täter finden, fragen Sie ihn!“
Das System dahinter
Seit dem Drama von Luvungi werden Massenvergewaltigungen als „Kriegswaffe“ bezeichnet. Der Penis wurde im Erklärungsmuster zum Zerstörungsinstrument. Neue Statistiken besagten, dass jeder dritte Mann ein Täter sei. „Ein Land voller Vergewaltige"r titelte eine Zeitung. 2012 verlor die Regierungsarmee eine Schlacht gegen die Rebellen und zog sich geschlagen in die Kleinstadt Minova zurück. Dort machten sie sich über die Frauen her. Wieder kamen unzählige Journalisten eingeflogen, um die Vergewaltigungen zu dokumentieren. Wieder wurden unzählige Maries interviewt. Wieder derselbe Running-Gag-Moment. Verflixt.
Im Zuge meiner Recherche besuchte ich in Goma ein Traumazentrum, das sich auf Vergewaltigungen spezialisiert hat. Psychologen arbeiteten hier, auch deutsche. Die meisten Patienten waren junge Männer. Einer davon war der 19-jährige Bonerge: Als Sohn eines getöteten Vaters und einer vergewaltigten Mutter hatte er sich mit 16 jener Miliz angeschlossen, die Luvungi überfallen hatte. Er war also einer der Täter! Was Bonerge und die anderen jungen Männer im Beisein der Psychologen erzählten, ließ mir den Atem stocken.
Selbst mehrfach von Kameraden und Kommandeuren vergewaltigt, bekam Bonerge als 17-Jähriger den Befehl, keine Frau in Maries Dorf zu verschonen. Wer nicht gehorcht, wird exekutiert, hatte ihm der Kommandeur gedroht. Wer keinen hochkriegt, muss sich also eines Hilfsmittels bedienen: Dann kommt also der Stock, der Gewehrlauf oder die Machete ins Spiel, erklärte mir der 17-Jährige. Mit sexueller Lust und Befriedigung hat das alles nichts zu tun, im Gegenteil. In den jüngst veröffentlichten psychologischen Studien steht: 85 Prozent der Täter sind selbst Opfer von Gewalt.
12 Prozent wurden sexuell missbraucht, meist von ihren Kommandeuren oder Kameraden. 73 Prozent wurden gezwungen, Gewalt auszuüben. Dazu gehören nicht nur sexuelle Gewalt, sondern auch Kannibalismus, Folter oder Enthauptungen.
Journalisten neigen dazu, sich das herauszupicken, was in den Medien am meisten Schlagzeilen macht. Im Kongo sind es die Vergewaltigungen. In Norduganda waren es die Kindesentführungen und die abgeschnittenen Lippen, in Sierra Leone die abgehackten Hände, in der Zentralafrikanischen Republik die Menschenfresser. Doch das sind alles nur Facetten eines riesigen Gewaltarsenals. Und die Täter sind Produkte jener brutalisierten Gesellschaften. Und selbst Opfer. Wie geht noch mal der Witz mit den Vergewaltigungen? Alle stehen auf.
Der Bericht entstand ursprünglich für die Wiener Zeitung und wird mit freundlicher Genehmigung der Autorin nachgedruckt.
Simone Schlindwein (Jahrgang 1980) lebt und arbeitet seit 2008 in Afrika, in der Region der Großen Seen (Uganda, Ruanda, Burundi, DR Kongo und Zentralafrikanische Republik) und berichtet regelmäßig aus den Kriegsgebieten.
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