Macht Druck auf Facebook und Co!
Der Journalist Hayko Bagdat über die aktuelle Situation in der Türkei, den Druck auf Medien und den Kampf um die Wahrheit. Interview: Ali Cem Deniz, Fotos: Christopher Glanzl
Nirgendwo auf der Welt sitzen derzeit so viele Journalisten und Journalistinnen im Gefängnis, wie in der Türkei. Wie schaut in so einer Situation der Alltag eines Journalisten aus?
Wenn ich in Europa unterwegs bin, schauen mich meine Kollegen hier ehrlich gesagt mit Mitleid an. Natürlich ist das nicht unbegründet. In der Türkei ist es kaum noch möglich, unabhängigen Journalismus zu machen, der den Staat kritisch beobachtet und sich in erster Linie den Menschenrechten verpflichtet fühlt. Dutzende Magazine, Zeitungen, TV- und Radiosender wurden gesperrt. Selbst ihre Computer, Mikros und Studiogeräte wurden beschlagnahmt und dem türkischen Staatsfernsehen gegeben. Viele Journalisten wurden verhaftet oder haben das Land verlassen. Im Grunde erleben andere Gruppen wie Anwälte, Akademikerinnen oder Politiker ähnliche Repressionen. Im Fall der Journalisten ist die Lage besonders prekär: Man kann kaum über falsche Politik berichten, ohne als Verräter abgestempelt zu werden. Wenn man als Verräter und als eine Bedrohung für die Sicherheit des Landes dargestellt wird, gibt es auch kaum Solidarität aus der Bevölkerung.
Welche Rolle spielt die Selbstzensur?
Jeder will natürlich auf sich selbst schauen und macht sich Sorgen um seine persönliche Freiheit oder seine Familie. Wenn man dann von regierungsnahen Kolumnisten zur Zielscheibe gemacht wird, gibt es eine reflexartige Selbstkontrolle. Im schlimmsten Fall wird man ja nicht nur an seiner Arbeit gehindert, sondern verliert seinen Besitz oder darf das Land nicht mehr verlassen. Es geht also nicht nur um den Job, sondern um die Existenz. Ich weiß nicht, wie lange das so weitergehen kann.
Viele Kollegen sind mittlerweile auf Social Media umgestiegen und berichten von dort. Leider lässt sich der Internetzugang mit einem Knopf abschalten oder extrem verlangsam. Traurig, dass internationale Kommunikationsunternehmen das mitmachen und sich den Anweisungen der Regierung fügen. Meine Einträge wurden immer wieder von Facebook gelöscht. Das heißt, auch die digitalen Medien bieten keine echte Alternative. Es hat sich in ein Hau-Drauf-Spiel verwandelt und wenn der Maulwurf aus einem neuen Loch rausschaut, schlägt die Regierung dort mit dem Hammer drauf.
Für die oppositionellen Journalisten bedeuten die Repressionen im schlimmsten Fall eine Haftstrafe. Wie schaut es bei „regierungsnahen“ Journalisten aus?
Es gibt eine Art Tribalisierung und davon sind natürlich auch regierungsnahe Journalisten betroffen. Denn selbst konstruktive Kritik wird zum Verrat an der eigenen Sache erklärt. Da kann man schnell zum Außenseiter werden. Davon sind nicht nur Journalisten betroffen. Kaum ein Staatsanwalt oder ein Inspektor traut sich, Korruptionsfälle aufzudecken. Wenn Menschen aus der Reihen der AKP sehen, was mit Oppositionellen passiert, werden sie nicht den Mut finden, Kritik an ihrer eigenen Partei zu äußern, auch wenn sie mit der Politik nicht einverstanden sind. Aber so lange sie den Krieg im kurdischen Südosten oder die willkürlichen Verhaftungen nicht ansprechen und kritisieren, wird sich wenig ändern. Dabei macht die Regierung selbst kein Geheimnis aus ihrem Vorgehen. Nach dem Putsch sagte Erdogan selbst, dass er jetzt mit allen Mitteln gegen seine Gegner vorgehen wird.
In den letzten Jahren gibt es intensive Diskussionen über Hass im Netz. Auch Journalisten in Österreich sind von Anfeindungen, Beleidigungen und Bedrohungen betroffen. Sie haben über 700.000 Follower auf Twitter. Wie gehen Sie mit den Reaktionen um?
Keine Frage: Twitter kann ein mächtiges Werkzeug sein. Wenn ich dort etwas poste, kann ich in kürzester Zeit Millionen Menschen in und außerhalb der Türkei erreichen. Mit Online-Artikeln erreiche ich oft mehr Leser als über die Kolumne in einer klassischen Tageszeitung. Das sind die Vorteile der digitalen Medien. Die Schattenseite lässt sich aber nicht ignorieren. Gefährliche Drohungen sind Teil meines Alltags geworden. Täglich schreiben mir wildfremde Menschen, wie sie mich umbringen oder aus dem Land jagen wollen. Das macht die Nutzung des Internets für mich zur großen Herausforderung. Ich nehme das aber gerne an. Die Vorteile überwiegen letztendlich die Nachteile. Das größte Problem sind für mich die ständigen Begrenzungen und Zugangsverbote. Für alle außerhalb der Türkei, die sich fragen, was sie machen können: Macht Druck auf internationale Konzerne wie Facebook & Co!
Mittlerweile umgehen viele die Sperren mit allen möglichen Tricks. Die Leute sind zu richtigen Informatikern geworden, aber das ist doch wirklich absurd. Es ist einfach unglaublich, dass wir 2017 noch gegen Internetsperren und Zensur ankämpfen müssen. Für mich ist es auch unverständlich, dass die Regierung wirklich glaubt, dass sie die Verbreitung von Informationen irgendwie mit solchen Sperren aufhalten kann.
2016 war für die ganze Welt ein ereignisreiches Jahr. Die Türkei hat dabei mit dem gescheiterten Putsch eine der Hauptrollen gespielt. In welche Richtung wird sich die Türkei dieses Jahr entwickeln?
Für mich ist das ganz eindeutig. Die Regierung will alles ausschalten, was sie als Risiko ansieht. Das primäre Ziel ist dabei die unabhängige Justiz und alle Instanzen, die sie zur Rechenschaft ziehen könnten. In den letzten 18 Monaten sind mehr als 500 Menschen bei Terroranschlägen gestorben. Die Toten sind heute aber nur noch eine statistische Größe. Ich bin ehrlich gesagt nicht sehr hoffnungsvoll. Die Gesellschaft ist so polarisiert, dass wir uns nicht einmal bei Begräbnissen solidarisieren können.
Das klingt sehr pessimistisch. Was kann da die Opposition in dieser Situation überhaupt bewirken?
Für mich gibt es eine Regel: Man muss den Tatsachen ins Auge blicken. Das ist die einzige Option. Man darf beim Krieg im Südosten nicht wegsehen und genauso muss man auch hinschauen, wenn bei Anschlägen Polizisten oder Soldaten sterben. Wer das macht, ist für mich einfach nur böse. Deswegen wird für mich im Jahr 2017 der wichtigste Kampf weiterhin der Kampf um die Wahrheit sein. Wir müssen dagegen ankämpfen, dass uns die Wahrheit verzerrt und mit kosmetischen Veränderungen verkauft wird. Denn auch angesichts massiver Repressionen ist die Wahrheit immer ansteckend. Deswegen bekomme ich immer wieder Unterstützung von Menschen, die mit meinen politischen Ansichten nicht einverstanden sind, oder mir sogar wegen meiner Identität skeptisch begegnen. 2017 soll unseren Blick auf die Fakten nicht trüben. Das ist mein größter Wunsch.
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