Hartz-IV für Österreich?
Wir wollten wissen, wie sozial die politischen Parteien tatsächlich sind und haben das Netzwerk „arbeit plus“ um eine Analyse gebeten. Hier ein Überblick anhand von vier diskursgebenden Grundwerten: existenzsichernde Arbeit; Gleichstellung am Arbeitsmarkt; qualitätsvolle soziale Sicherungssysteme und Pensionen; Integration von Geflüchteten und MigrantInnen. Text: Judith Pühringer, Felix Wohlgemuth, Illustration: Eva Vasari
Existenzsichernde Arbeit schaffen
Die SPÖ möchte durch Steuer- und Lohnkostensenkungen und mit der Beschäftigungsgarantie für Menschen über 50 Jahre 200.000 neue Arbeitsplätze schaffen. Alle Einkommen bis zu 1.500 Euro sollen von der Steuer befreit werden. Im Ausgleich zur Anhebung der Höchsttagesarbeitszeit auf 12 Stunden sollen ArbeitnehmerInnen das Recht auf Änderung ihres Arbeitszeitausmaßes bekommen. Die Gegenfinanzierung soll hauptsächlich durch eine striktere und höhere Besteuerung von Großkonzernen erfolgen.
Die ÖVP plant die Steuer- und Abgabenquote auf 40 Prozent zu reduzieren und will somit indirekt Arbeitsplätze schaffen. Einsparungen bei Förderungen und Sozialleistungen sollen diese Steuersenkungen finanzieren. Bezüglich Mindestlohn und Arbeitszeit erwartet die ÖVP, dass die Sozialpartner sich verständigen.
Die FPÖ hat ihr geplantes Wirtschaftsprogramm noch nicht veröffentlicht. Laut Heinz-Christian Strache planen auch sie die Steuer- und Abgabenquote auf 40 Prozent zu senken. Ihre Forderung nach „gerechten Einkommen zum Auskommen“ möchte die FPÖ mit einem gesetzlichen Mindestlohn von 1.600 Euro brutto erreichen.
Die Grünen fordern die gesetzliche Verankerung und Anhebung des Mindestlohns auf 1.750 Euro brutto. Sie lehnen die Erhöhung der Höchstarbeitszeit ab und fordern eine Umverteilung der Arbeitszeit durch eine 35 Stunden Woche.
Die Senkung der Abgabenquote auf 40 Prozent ist auch eine zentrale Forderung der NEOS. Sie lehnen einen Mindestlohn ab und fordern, dass Arbeitszeitregelungen, inklusive des 12-Stunden-Arbeitstages, nicht in Kollektivverträgen, sondern flexibel auf Betriebsebene vereinbart werden können.
Bezahlte und unbezahlte Arbeit gerecht verteilen
Eine Forderung der SPÖ, die hauptsächlich Frauen betrifft, ist die Angleichung des 25-prozentigen Überstundenzuschlages von Teilzeitbeschäftigten an den üblichen Satz von 50 Prozent bei Vollzeitbeschäftigten. Zusätzlich plant die SPÖ eine gesetzlich verpflichtende Lohntransparenz in Unternehmen. Rechtsansprüche auf Ganztages-Kinderbetreuung und auf einen Papamonat sollen die Vereinbarkeit fördern.
Bei der ÖVP waren bis Anfang August noch keine Pläne bezüglich Gleichstellung bekannt. Ihre Forderung nach einem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr wurde hauptsächlich mit der Integrationsfunktion für Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen verknüpft.
Die FPÖ spricht sich klar gegen Quotenregelungen und Politik auf Basis des „Konzepts von Gender“ aus. Sie fordern allgemein die Umsetzung von Maßnahmen zur Schaffung von echter Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern sowie stärkere Unterstützung von Alleinerzieherinnen.
Eine ältere Forderung der Grünen ist die Schaffung von 10.000 geförderten Jobs für Frauen. Lohntransparenz soll durch Sanktionierung von Unternehmen, die es versäumen ihre Einkommensberichte zu veröffentlichen, erreicht werden. Die Grünen fordern auch einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr sowie einen automatisierten und erweiterten Papamonat zur Verbesserung der Vereinbarkeit.
Die NEOS möchten, dass Frauen uneingeschränkt am Arbeitsmarkt partizipieren können und nicht durch „falsche staatliche Anreize“ von Arbeit abgehalten werden. Auch sie fordern einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem 2. Lebensjahr.
Ein unterstützendes Sozialsystem für Alle
Die SPÖ möchte am jetzigen Mindestsicherungssystem und an der Arbeitslosenversicherung festhalten. Ab 45 Beitragsjahren soll es eine Pensionsgarantie geben. Um die Pflege durch einen Pflegegarantiefonds langfristig finanzieren zu können, fordert die SPÖ eine zweckgebundene Erbschafts- und Schenkungssteuer ab einer Million Euro.
Laut ÖVP soll der Sozialstaat stärker auf Eigenverantwortlichkeit ausgerichtet werden. Für Ältere plant die ÖVP, pflegende Angehörige zu entlasten. Der #innovationsbericht_sozial (der von Sebastian Kurz geleiteten Politischen Akademie) schlägt vor, die betrieblichen und privaten Pensionsversicherungen auszubauen. Das Pensionsantrittsalter soll flexibilisiert werden. Der Bezug der Mindestsicherung soll zeitlich begrenzt und auf 1.500 Euro pro Haushalt gedeckelt werden. Es sollen vermehrt Sachleistungen eingesetzt werden. Arbeits- bzw. Integrationsunwilligkeit soll sanktioniert werden – was aber bereits jetzt der Fall ist. Zudem hat das ÖVP-geführte Finanzministerium überprüfen lassen, welche Auswirkungen eine Umsetzung der deutschen Hartz-IV-Reform in Österreich hätte.
Die FPÖ plant Sozialleistungen stärker an die österreichische StaatsbürgerInnenschaft zu binden. Strache fordert, dass alle Personen, die noch nie in das österreichische Sozialsystem eingezahlt haben, keine Geldleistung, sondern nur Sachleistungen erhalten. Das beinhaltet medizinische Versorgung, Verpflegung, Unterkunft und 40 Euro „Taschengeld“ im Monat. Für ältere Menschen möchte die FPÖ das Pflegegeld erhöhen und jährlich an die Inflation anpassen. Das staatliche Pensionssystem soll harmonisiert und ab 45 Beitragsjahren soll der Pensionsantritt ohne Abschläge garantiert werden.
Die Grünen möchten das Arbeitslosengeld sowie die Notstandshilfe jährlich an die Inflation anpassen und die Anrechnung des PartnerInneneinkommens auf die Notstandshilfe abschaffen. Sie lehnen die Deckelung der Mindestsicherung ab. Die Mindestsicherung soll wieder bundesweit vereinheitlicht und ausgebaut werden. Sie fordern ein harmonisiertes Pensionsrecht für alle mit einer Beitragshöhe und einer Berechnungsregeln. Für alle ab 65 Jahren soll es eine steuerfinanzierte Grundpension geben und die Gesamtpension (Grund- und Erwerbspension) soll gedeckelt werden. Versicherungsbeiträge von Paaren sollen beiden PartnerInnen in gleicher Höhe zu Gute kommen.
Die NEOS planen, die Notstandshilfe und und die Mindestsicherung zusammenzulegen sowie die Höhe des Arbeitslosengeldes stufenweise mit der Dauer der Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Das soll stärkere Anreize zur Arbeitsaufnahme zu schaffen. Daher soll es bei der neuen Mindestsicherung auch Möglichkeiten des Zuverdiensts geben. Für Ältere planen die NEOS, ein automatisches Pensionssplitting einzuführen und den Pensionsantritt zwischen 61 und 69 Jahren zu flexibilisieren. Das öffentliche Pensionssystem soll durch private Finanzierungsmodelle gestützt, die Berechnungsgrundlage harmonisiert werden.
Den Arbeitsmarkt integrativ gestalten
Laut SPÖ soll der Arbeitsmarkt für Wirtschaftssektoren mit hoher Arbeitslosigkeit auf schon in Österreich gemeldete Arbeitslose beschränkt werden. Asylsuchende sollen durch ein „Fast-Track-System“ in Mangelberufsfelder gebracht und Jugendliche durch Colleges qualifiziert werden.
Die konkreteste sozialpolitische Forderung des ÖVP-Spitzenkandidaten Sebastian Kurz ist, die Neuzuwanderung in das Sozialsystem zu stoppen und die Ausgaben für AusländerInnen zu reduzieren. Die Familienbeihilfe für ArbeitnehmerInnen, deren Kinder nicht in Österreich wohnen, soll an das dortige Lohnniveau angepasst werden. Generell sollen EU-BürgerInnen erst nach fünf Jahren Aufenthalt in Österreich Anspruch auf Sozialleistungen bekommen. Die Sozialleistungen für Asylberechtigte sollen bei Nichtteilnahme an Deutsch- und Wertekursen gekürzt werden.
Um österreichische ArbeitnehmerInnen zu schützen, plant die FPÖ (wie auch die SPÖ) den Arbeitsmarkt sektoral zu schließen und das Ausländerbeschäftigungsgesetz restriktiv zu überarbeiten. Sozialleistungen für AusländerInnen sollen generell beschränkt und gestrichen werden. Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte, die eine Arbeitsstelle am regulären Arbeitsmarkt finden, sollen durch eine 10-prozentige Sondersteuer die Kosten für die Integration teilweise zurückzahlen. Sprachkurse sollen AusländerInnen selbst bezahlen. Wer die Integrationsvereinbarungen nicht erfüllt, verliert die Aufenthaltsberechtigung.
Die Grünen lehnen die Kürzung der Familienbeihilfe für nicht in Österreich wohnende Kinder ab und möchten die Integration von geflüchteten Menschen in den Arbeitsmarkt beschleunigen. Qualifikationen sollen rasch anerkannt werden und AsylwerberInnen sollen maximal sechs Monate nach dem Beginn ihres Verfahrens Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt bekommen.
Die NEOS fordern, dass die Grundversorgung und die Mindestsicherung Bundeskompetenzen werden und dass diese an die Residenzpflicht gekoppelt werden. Bildungsabschlüsse sollen schneller anerkannt und Hochqualifizierte direkt in ihrem Heimatland angeworben werden. AsylwerberInnen mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit sollen nach sechs Monaten einen effektiven Zugang zum Arbeitsmarkt und Qualifizierungsmaßnahmen erhalten.
Informieren, vergleichen und wählen gehen
Für ÖsterreicherInnen sind – laut einer aktuellen Umfrage des Market Instituts – das Programm sowie die Leistung einer Partei die wichtigsten Gründe sie zu wählen. Es bleibt nur mehr wenig Zeit, die Programme zu vergleichen und nachzufragen.
Bislang haben nur SPÖ und NEOS ein Wahlprogramm veröffentlicht. Gerade im Bereich der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sind jedoch Details entscheidend. Für die große Zukunftsfrage der Finanzierung des Sozialsystems braucht es nicht nur eine Antwort, sondern einen breiten gesellschaftlichen Diskurs. Insofern gilt: Nachfragen, nachhaken, Meinung bilden und wählen gehen!
Judith Pühringer ist Expertin für Arbeitsmarktpolitik und Geschäftsführerin von „arbeit plus“.
Felix Wohlgemuth ist Experte in Vergleichender Sozialpolitik und bei „arbeit plus“ für Europäische Projekte zuständig.
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