Dürren heizen Konflikte an
Der Klimawandel gilt als die größte Bedrohung für die Menschheit. Die Szenarien reichen von Hungersnöten bis zu Kriegen und großen Fluchtbewegungen. Wie die Klimaerwärmung jetzt schon Konflikte verstärkt. Text: Eva Maria Bachinger, Fotos: Jork Weissmann
Tuma steht in bunten Kleidern mit zwei ihrer sechs Kinder in der staubtrockenen Savanne. Sie ist erschöpft: „So schlimm war die Dürre noch nie. Seit einem Jahr hat es nicht mehr geregnet.“ Mehr als 20 Kilometer muss sie regelmäßig in das Dorf Balesa gehen um Lebensmittel zu holen, ein Fünf-Stunden-Marsch in der Hitze.
„Wir hatten 140 Ziegen und 30 Kamele. Die meisten Tiere sind gestorben,“ erzählt die 42-Jährige. Ihr ältester Sohn müsse immer weiter mit den verbliebenen Tieren ziehen, um überhaupt noch Wasser zu finden.
Der 68-jährige Salesa ist der Dorfälteste in El Adi, einem kleinen Dorf in der Region Marsabit in Kenia. „Schwer war es hier immer, aber früher kamen die Dürren nur alle sieben Jahre. Da hatten wir genügend Zeit uns darauf vorzubereiten, Tiere zu mästen, Nahrungsmittel zu trocknen und zu lagern. Aber heute gibt es alle zwei bis drei Jahre eine verheerende Dürre. Wir haben keine Zeit uns von einer Dürre zu erholen, bevor die nächste kommt.“
Der Klimawandel gilt als größte Bedrohung für die Menschheit. Die meisten Folgewirkungen müssen derzeit aber (noch) nicht die Hauptverursacher in den reicheren Ländern ausbaden, sondern vor allem Entwicklungsländer. Betroffene Gebiete sind neben den Inseln im Südpazifik die Subsahara-Region, Ostafrika, Länder der Himalayaregion, die von den großen Flüssen abhängig sind. Wenn Gletscher schmelzen, drohen Überflutungen, sind sie abgeschmolzen, Wassermangel. Der Weltagrarbericht stellte 2009 fest: „Was sich hinter globalen Durchschnittswerten von zwei bis vier Grad Erwärmung verbirgt, kann ganze Regionen der Erde unbewohnbar machen und auch in scheinbar weniger betroffenen Regionen zu wilden Wetterkapriolen führen. Ein einziger Frost, Hagel, Starkregen, Hurrikan, Hitzeeinbruch oder Schädlingsausbruch können über Nacht die Ernte eines ganzen Jahres zerstören. Eine nicht berechenbare Verschiebung der Regenzeit macht den Zeitpunkt der Aussaat zum Lotteriespiel.“ Klimawandel trifft die ländliche arme Bevölkerung der Erde zuerst und am härtesten. Drei Viertel der LandbewohnerInnen sind arm, und 86 Prozent können ohne ihren Boden nicht überleben.
200 Millionen Klimaflüchtlinge?
Laut „Global Humanitarian Forum“ leben mehr als 500 Millionen Menschen in gefährdeten Zonen, mehr als 20 Millionen mussten aufgrund der Klimaänderungen bereits ihre Heimat verlassen.
Bis 2050 könnte es, so die Prognosen, bis zu 200 Millionen Klimaflüchtlinge geben. 200 Millionen, eine Zahl, die – man glaubt es kaum – 1993 vom britischen Naturschützer Norman Myers genannt wurde und seither immer wieder in Vorträgen und Medienberichten zitiert wird.
„Sie ist zu einer magischen Zahl in der öffentlichen Debatte geworden und wird manchmal sogar als Vorhersage der Vereinten Nationen hingestellt“, heißt es im aktuellen „Atlas der Umweltmigration“, den der Oekom Verlag eben herausgebracht hat. Viele Fragen bleiben dabei aber offen: „Sagen die Prognosen etwas über die Zahl der innerhalb eines bestimmten Jahres flüchtenden Menschen aus? Oder handelt es sich um die Zahl derer, die bis 2050 ihr Zuhause verlieren werden? Welche Definition für MigrantInnen sollte verwendet und welcher Zeitrahmen und welche Entfernung sollten dafür berücksichtigt werden?“ Streng genommen gibt es keine „Klimaflüchtlinge“ im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951, die Schutz vor politischer Verfolgung und Krieg garantiert.
Der Klimawandel ist aus juristischer Sicht kein Grund für Asyl, erklärt Madeline Garlick von UNHCR in Genf: „Die Verfasser der Genfer Flüchtlingskonvention haben nicht vorausgesehen, dass Menschen aufgrund des Klimawandels flüchten. Sie passen nicht in das Konzept der Konvention. Allerdings gibt es den Fall, dass Staaten nicht in der Lage sind, ihre Bevölkerung vor den Folgen der Klimaänderungen zu schützen oder sie unterstützen nur bestimmte Gruppen. Das wäre dann Diskriminierung und könnte ein Asylgrund im Sinne der Konvention sein“, so Garlick.
Die meisten Menschen flüchten nicht nach Europa.
„Zu migrieren ist eine menschliche Fähigkeit auf Widrigkeiten zu reagieren. Hätten wir das nicht gelernt, gäbe es uns nicht mehr. Das ist also in erster Linie eine konstruktive, positive Reaktion, meint Christoph Schweifer, Chef der Auslandshilfe der Caritas. Schwierig werde es vor allem dort, wo es zu einem Ressourcenwettbewerb kommt und eine politische Lösung nicht möglich ist. „Das löst Konflikte aus, wenn etwa in Darfur jahrzehntealte Vereinbarungen nicht mehr funktionieren, wenn Viehbauern in Ackergebiete ziehen, um ihr Vieh ernähren zu können.“ Durch den Klimawandel seien dort mehr Flüchtlinge zu erwarten, wo das Leben ohnehin schon karg sei. Jede Veränderung wird dann zur lebensbedrohlichen Situation, während es den Regierungen an den Fähigkeiten und Ressourcen fehlt, um die Folgen abzufedern. Während man in Europa mit einer „Flüchtlingskrise“ beschäftigt ist, findet Flucht oft regional statt und weit entfernt von den reichen westlichen Staaten und ihrer Aufmerksamkeit.
So berichtet etwa der UNHCR, dass aktuell tausende Menschen aus dem südostasiatischen Myanmar nach Bangladesch geflüchtet sind. „Bangladesch akzeptiert die Flüchtlinge, aber hat nicht viele Ressourcen, um ihnen zu helfen“, so die Expertin Garlick. „Was wir klar beobachten, ist, dass politische Konflikte und die Situation von Flüchtlingen sich durch klimatische Änderungen verschlimmern, etwa dadurch, dass Bangladesh vermehrt von Überschwemmungen betroffen ist. Auch in anderen Weltregionen, etwa am Horn von Afrika, verschärft die Hungersnot die Situation geflüchteter Menschen dramatisch.“
Caritas, Ärzte ohne Grenzen und UNHCR sind sich in dem Befund einig, dass die meisten klimabedingt vertriebenen Menschen eher im Land selbst oder in Nachbarländer flüchten. „Im Norden Kenias liegt die Analphabetenrate bei 90 Prozent. Das sind Bauern, die kein Geld und keine Möglichkeiten haben, nach Europa zu flüchten“, erzählt Christoph Schweifer von der Caritas. Er war erst vor kurzem vor Ort. Auch Marcus Bachmann, der jüngst von seinem Einsatz im Südsudan für Ärzte ohne Grenzen zurückgekehrt ist, meint, dass es nicht der erste Gedanke der Betroffenen sei, in die weite Welt zu ziehen: „Nach Uganda sind seit Juli 2016 mehr als eine Million Südsudanesen geflüchtet. Das ist die ultima ratio. Schließlich haben sie ihre Heimatdörfer verloren. Es braucht extrem starken Druck, um Menschen in Bewegung zu setzen. Die erste Option ist immer, in der Nähe zu bleiben, in der Hoffnung, wieder zurückzukehren.“
Bachmann ist im Bezug auf Afrika wichtig, dass die Ursachen von Konflikten und Flucht oft sehr mannigfaltig sind. „Das sind sehr große Länder in Afrika, man kann sie nicht in einem Topf werfen, so wie man nicht sagen kann, dass die Menschen von Portugal bis zum Ural von etwas gleichermaßen betroffen sind. Im Fall von Afrika wird hingegen oft verallgemeinert.“
Einen Zusammenhang von Flucht und Klimawandel kann er zumindest für einige Regionen in Afrika nicht bestätigen: „Im Südsudan ist das Klima aus unserer Beobachtung nicht unbedingt der Fluchtgrund der Menschen. Sie fliehen vor der brutalen Gewalt gegen Zivilisten und den damit einhergehenden Folgen wie keinen Zugang zu Nahrung und medizinischer Hilfe zu haben, brachliegende Felder, keine humanitäre Helfer vor Ort.“ Der Bürgerkrieg werde seit 2013 mit extremer Brutalität geführt, seit 2016 wird nicht nur geplündert, sondern werden Felder und Saatgut gezielt mit Feuer zerstört. Der Südsudan ist so groß wie Deutschland, hat aber nur 12 Millionen EinwohnerInnen. Das Land könnte sich selbst ernähren, würden die Menschen in Frieden leben.“
Auch am Horn von Afrika ist für Bachmann die Lage ähnlich: „Zwar erleben wir speziell in Äthiopien und Somalia derzeit eine schlimme Dürre und behandeln auch viele mangelernährte Kinder, aber auch die Flüchtlinge, die wir in Äthiopien betreuen, sind vor dem Krieg in Somalia und deren Folgen geflohen.“ Dass aufgrund der Dürre eine Hungersnot herrsche, schätzt er anders als andere NGOs ein.
„In verschiedenen Gebieten herrscht schwere, akute Unterernährung vor, aber objektiv und mit den Jahren davor gesehen gibt es keine signifikanten Unterschiede. Klimatische Veränderungen haben hier nicht entscheidend zur Hungerkrise beigetragen, sondern der Bürgerkrieg ist der Auslöser für die schwierige Ernährungssituation.“ Anders im Tschad, wo die Auswirkungen des Klimawandel zu beobachten sind. Bachmann: „Viele berichten, dass die Anbauperioden kürzer werden, und es zu wenig Regen gibt. Die Böden geben nicht mehr so viel Ertrag. Dort ist der Druck der sich ausbreitenden Sahara spürbar. Ebenso wie im Niger und im Norden Nigerias. Zu bedenken ist aber auch, dass wir in diesen Ländern ein hohes Bevölkerungswachstum verzeichnen, womit es schwierig wird, alle Menschen zu ernähren.“
Wird Tuvalu untergehen?
Der Syrienkrieg wird ebenfalls öfters als Beispiel für die Folgen des Klimawandels genannt: Zwischen 2006 und 2011 herrschte eine anhaltende Dürre, die laut Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber vom Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam die schlimmste seit 900 Jahren war. Auf mehr als der Hälfte der Landesfläche waren Ernteausfälle zu beklagen, Viehzüchter hatten 85 Prozent ihrer Herden verloren. Die syrische Regierung ließ die Landbevölkerung mit dem Problem weitgehend allein. Rund zwei Millionen Menschen flohen als Reaktion vom Land in die Städte, dort gab es allerdings auch keine Perspektive. „Der Klimawandel ist nicht die Ursache für den Krieg, aber er hat zu jener Dürre geführt, die in Kombination mit verfehlter Politik und einem autoritären Regime viele Menschen in die Verzweiflung getrieben hat“, sagt Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb von der Wiener Universität für Bodenkultur. Das heißt, der Klimawandel kann Krisen verschärfen und so zu Fluchtbewegungen beitragen. Anders verhält sich das etwa bei den vielzitierten Inselstaaten im Pazifik, etwa von Tuvalu. Diese Menschen drohen ausschließlich aufgrund des Klimawandels zu Vertriebenen zu werden. Laut Prognose des Klimaforschungsverbundes IPCC sollen die Temperaturen weltweit bis zum Jahr 2050 um ein Grad Celsius und der Meeresspiegel um 20 Zentimeter steigen, bis 2100 um 1,5 Grad Celsius und 50 Zentimeter. Für den Inselstaat Tuvalu mit rund 11.000 EinwohnerInnen, der im Schnitt nur zwei Meter aus dem Wasser ragt, sind diese Aussichten äußerst bedrohlich.
Aber auch andere Weltregionen wie Bangladesch, Florida oder die Niederlande liegen kaum über (oder teils unter) Meeresniveau.
Als weiteren Schritt gegen den Klimawandel haben sich beim Pariser Weltklimagipfel 2015 195 Staaten auf das Ziel geeinigt, die Erwärmung durch Maßnahmen auf durchschnittlich 1,5 Grad zu begrenzen. Zudem soll betroffenen Menschen sowie Staaten geholfen werden: Die Industriestaaten wollen dafür von 2020 bis 2025 jährlich rund 100 Milliarden Euro für Entwicklungsländer bereitstellen. Zusätzlich haben sie sich verpflichtet, klimabedingt Vertriebenen zu helfen. Nachbarstaaten der Südseeinseln wie Neuseeland haben bereits ein eigenes Migrationsprogramm ins Leben gerufen. Auch Österreich leiste seinen Beitrag, heißt es aus dem Umweltministerium. Jährlich würden rund 140 Millionen Euro für internationale Klimaschutzprojekte ausgegeben. „Ein Teil davon ist der österreichische Beitrag zum „Green Climate Fund“. 20 Millionen Euro bis 2018 wurde als Anstoßfinanzierung zugesagt, ein großer Teil wurde bereits vorzeitig überwiesen. Österreichs Beitrag wurde kürzlich um weitere sechs Millionen Euro aufgestockt“, erklärt Sprecherin Magdalena Rauscher-Weber. Allerdings wurde der Climate Fund laut Außenamt schon 2010 gegründet. Zudem wurde bereits bei der Klima-Konferenz 2009 vereinbart, dass die Industriestaaten in den Jahren 2010-2012 insgesamt 30 Milliarden US-Dollar als Anschubfinanzierung und ab dem Jahr 2020 jeweils 100 Milliarden pro Jahr bereitstellen würden. Die Pariser Vereinbarungen sind völkerrechtlich bindend, doch Sanktionen sind nicht vorgesehen. UNHCR-Expertin Garlick sieht nach wie vor eine Lücke im Rechtsbereich. Es gebe derzeit keine spezifische Konvention und konkrete Regeln. „Wir brauchen eine internationale Lösung, wie wir mit klimabedingt Vertriebenen umgehen. Jeder Staat muss einen Beitrag leisten, sonst wird das Problem nicht gelöst.“
Buchtipp: Dina Ionesco, Daria Mokhnacheva und François Gemenne: Atlas der Umweltmigration. Oekom-Verlag 2017
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