Der Palmöl-Hype
Palmöl hat sich in einem unglaublichen Tempo zum weltweit meist verwendeten pflanzlichen Öl entwickelt. Weil es billiger als andere Pflanzenöle ist, wird es nun in Lebens- und Futtermittel eingesetzt, aber auch in Agro-Treibstoffen, Kosmetika oder Hygieneprodukten. Was aber ist der tatsächliche Preis für das Billig-Öl?
Ein Lokalaugenschein in Indonesien. Text: Lisa Kernegger und Martin Wildenberg. Fotos: Martin Wildenberg/Global2000.
Das Fett der Ölpalme hat viele Eigenschaften, die es vor allem für die industrielle Lebensmittelproduktion interessant machen. Letztendlich sind es aber vor allem die geringen Produktionskosten, die es für die Hersteller von Agro-Treibstoff, Keksen oder Kerzen so attraktiv macht. Während sich Investoren aus Europa und Asien und Betreiber industrieller Plantagen und Raffinerien in den vergangenen 30 Jahren eine goldene Nase am Palmöl-Boom verdient haben, wurden riesige Regenwaldflächen abgeholzt, Moore trockengelegt und dabei unglaubliche Mengen an klimaschädlichem CO2 freigesetzt. Dazu wurden viele LandwirtInnen, manchmal ganze Dörfer, gewaltsam von ihrem Land vertrieben.
Im Juli 2016 reiste ich als Vertreter von GLOBAL 2000 gemeinsam mit KollegInnen von Südwind nach Indonesien, um die Auswirkungen des Palmölanbaus mit eigenen Augen zu sehen. Unterstützt wurden wir dabei vor Ort von KollegInnen unserer indonesischen Friends of the Earth-Partnerorganisation WALHI.
Polizei und Militär: für „Sicherheitsdienste“ bezahlt
Seit der Dezentralisierung Indonesiens zu Begin dieses Jahrtausends haben sich die Machtzentren innerhalb des Landes weg von Jakarta und hin zu den Provinzen und ihren Vorstehern – den so genannten Bupatis – verschoben. Der zuvor im Zentrum ausgetragene Machtkampf um Ressourcen ist nun in den regionalen Zentren der Peripherie unter den lokalen Eliten entbrannt. Korruption und politisch motivierte Gewalt – einst fest in der Hand der Zentralregierung – haben sich dezentralisiert und eine nur schwer zu kontrollierende Eigendynamik entwickelt. Auf die wiederkehrenden zivilgesellschaftlichen Proteste reagiert der Staat nicht selten brutal. Polizei und Militär lassen sich zudem von lokalen Regierungen und den auf Plantagen und in der Bergbauindustrie tätigen Unternehmen für „Sicherheitsdienste“ großzügig bezahlen. Sie sind tief in die Machtkämpfe um Einfluss und Kontrolle über die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen verwickelt.
Ein Bauer erzählt: „Früher gab es hier Wald und auf unseren Feldern haben wir Mais, Reis, Mangos und andere Früchte für unseren Eigenbedarf angebaut. 2011 gab die Regierung dann dem Sanda Indah Lestari (PT SIL)-Konzern die Konzession für unser Land, ohne uns zu fragen. „PT SIL“ schüchtert uns ein und hat viele von uns dazu gezwungen, ihnen das Land zu überschreiben. Sie sagen, dass wir ihnen das Land überschreiben sollen, weil wir von ihnen jetzt noch eine Abfindung bekommen. Später würden sie es einfach nehmen und wir gar nichts mehr dafür bekommen.“
Auf die Frage, wie es sich hier mit den Landrechten verhalte, antwortet er: „Wir leben auf dem Land unserer Großeltern, aber wir haben keine schriftlichen Besitzurkunden. Es ist sehr schwer für uns, unsere Landrechte verbrieft zu bekommen – während es für die Unternehmen ein Leichtes ist, Konzessionen über tausende von Hektar zu erhalten.“ Warum sie auf den verbliebenen Feldern keinen Reis mehr anbauen, will ich wissen. Da deutet Osim (Name geändert, Anm.) auf einen etwa drei Meter tiefen Kanal, der sich durch die Landschaft schneidet: „Den Kanal hier hat „PT SIL“ unter Polizei Schutz gebaut, um das Grundwasser abzusenken. Damit sind auch die uns verbliebenen Felder ausgetrocknet. Wir können auf ihnen keinen Reis mehr anbauen.“
Hoffnung auf Wirtschaftswachstum
Die Erträge aus dem eigenen Anbau werden immer kleiner, daher müssen sie immer mehr Grundnahrungsmittel zukaufen. Einen Arbeitsplatz auf den Plantagen knüpfen die Palmölkonzerne jedoch häufig an die Bedingung, das verbliebene Land an das Unternehmen zu überschreiben. Und nach zwei bis drei Monaten wird der oder die ArbeitnehmerIn dann wieder entlassen. Die großen Versprechungen über wirtschaftliches Wachstum in der Region stellen sich als große (Ent-)Täuschung heraus.
In Riau – einem der Zentren der Indonesischen Palmöl-Produktion – erfassen wir das wahre Ausmaß der Palmöl-Epidemie. Ölpalmen-Monokulturen soweit das Auge reicht. Ein bedrückendes Gefühl beschleicht mich.
Unvorstellbar, dass hier noch vor weniger als dreißig Jahren dichter Urwald stand, der mit seinen meterdicken Urwaldriesen Tigern, Orang-Utans und dem Sumatra-Nashorn ein Zuhause bot. Heute sind all diese Tierarten akut vom Aussterben bedroht. Zusätzlich wirkt sich auch das Trockenlegen der weitläufigen indonesischen Moore für neue Plantagen verheerend auf den Klimawandel aus. Viele Böden in den Tiefebenen von Riau und Borneo bestehen aus meterdicken Moorböden, in denen über Jahrtausende Biomasse und damit CO2 gespeichert ist.
Kinder: leiden an den Folgen
Diese Böden werden nun von den Palmöl-Konzernen trockengelegt. Dadurch kommt ein Abbauprozess in Gang, durch den Unmengen an klimaschädlichem CO2 freigesetzt werden. Und nicht nur das: Während Indonesiens Trockenzeit – die aufgrund des Klimawandels immer extremer wird – kommt es regelmäßig zu verheerenden Torfbränden. Plantagenfirmen stehen immer wieder in Verdacht, die Feuer absichtlich zu legen, um Flächen billig zu entwalden. Sicher ist jedenfalls, dass sie durch das großflächige Trockenlegen der Moorböden maßgeblich zu den Bränden beitragen. Immer wieder ist die ganze Region bis hinauf nach Singapur wochenlang in Rauchwolken gehüllt, mit katastrophalen gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung. Mehr als eine halbe Million Menschen leiden bereits unter Atemwegsbeschwerden, vor allem Kinder leiden und sterben an den Folgen dieser Umweltkatastrophe.
In Riau besuchen wir noch ein kleines Dorf, eine halbe Tagesreise flußaufwärts von der nächsten größeren Stadt. Seit fast zwei Jahren kämpft das Dorf um sein Überleben. Der für den Bootsbau unerlässliche Gemeindewald wurde vom korrupten Dorfvorsteher ohne Wissen der DorfbewohnerInnen an einen Palmöl-Konzern verkauft. Als die Bagger auftauchten und anfingen den Wald zu roden, erhoben die fassungslosen DorfbewohnerInnen Einspruch bei ihrem Bupati. Eigentlich hätte dies bis zur rechtlichen Abklärung des Falls zu einem Rodungsstopp führen sollen. Tatsächlich setzte die Firma ihre Arbeit jedoch unbeirrt fort. Als einige DorfbewohnerInnen daraufhin das Symbol der Waldzerstörung – den Bagger – anzündeten, stürmten zweihundert Polizisten das Dorf und verhafteten alle Männer, die sich nicht rechtzeitig verstecken konnten. Im Gefängnis wurden sie mit brennenden Zigaretten und Schlägen gefoltert, um ihnen ein Schuldgeständnis zu entlocken. 16 Männer wurden schließlich verurteilt und inhaftiert. „Ich habe das Vertrauen in unser Rechtssystem völlig verloren. Wer mehr Geld hat, gewinnt – nicht der, der eigentlich im Recht ist,“ beklagt sich einer der betroffenen Männer.
Austrocknung der Böden
Dirwan Mahmud, der neue Bupati des Süd-Bengkulu-Distrikts, ist einer der wenigen AmtskollegInnen, der versucht, eine Politik umzusetzen, die das Wohl der breiten Bevölkerung zum Ziel hat. „Vor etwa 30 Jahren kam das Palmöl nach Süd-Bengkulu, die lokale Regierung war an den Plantagen beteiligt. Die negativen Auswirkungen auf die Umwelt machten sich bald bemerkbar. Palmöl verbraucht nämlich sehr viel Wasser. Während der Trockenzeit gibt es dann kein Wasser mehr und während der Regenzeit gibt es dafür Überschwemmungen. Die Bupatis haben die Palmölfirmen willkommen geheißen, ohne an die Folgen für Mensch und Umwelt zu denken. Sie verschenkten unser Land und bekamen für jeden so genannten „Permit“ einen persönlichen Bonus ausgezahlt. Wir werden diese Permits nun alle überprüfen und gegebenenfalls zurückziehen. Die Menschen wünschen sich, Palmöl wieder durch anderen Kulturen zu ersetzen. Kulturen, die Nutzen bringen und umweltfreundlich sind.“, führt Dirwan aus. Wir verlassen South-Bengkulu mit dem guten Gefühl, dass es auch anders geht. Zenzi, unser Kollege von WALHI, hofft, dass Dirwan Mahmud und seine Politik in South-Bengkulu zum Vorbild für andere indonesische Distrikte wird.
Palmöl einschränken, aber wie?
Ein Schritt in Richtung nachhaltigerer Palmölproduktion sind sicherlich Zertifizierungssysteme, wenn sie auch bei weitem nicht alle Probleme lösen können. RSPO, das derzeit am meisten genutzte Zertifizierungssystem für Palmöl, geht zudem noch nicht weit genug, da es zum Beispiel den Palmöl-Anbau auf Torflandschaften und den Einsatz von hochgiftigen Pflanzenschutzmitteln zulässt und nicht genug Transparenz in den Lieferketten einfordert.
Wir KonsumentInnen können nachhaltigeres Palmöl kaum von Palmöl aus Raubbau unterscheiden. Eines ist allerdings sicher: Selbst wenn wir dies könnten, kann und darf die Verantwortung nicht auf die moralische Entscheidung der KonsumentInnen reduziert werden. Bei vielen Produkten ist es zudem nicht einmal ersichtlich, ob Palmöl überhaupt darin enthalten ist. Es sind hier also sowohl die Politik gefragt, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, als auch die Unternehmen selbst, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Eine nachhaltige Zukunft braucht strukturelle Veränderungen, die einen sozial und ökologisch fairen Handel zur Regel und nicht zur marketingtauglichen Ausnahme machen!
Lisa Kernegger studierte Biologie/Ökologie in Wien und Montpellier, war im Joint Research Center (JRC) der Europäischen Kommission tätig und ist seit fast zehn Jahren für GLOBAL 2000 aktiv. Derzeit beschäftigt sie sich hauptsächlich mit den Folgen des Hoch-Konsum-Lebensstils und dessen negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt weltweit.
Martin Wildenberg studierte Ökologie und Soziale Ökologie in Wien und ist seit sieben Jahren für GLOBAL 2000 aktiv. Er beschäftigt sich vor allem mit den globalen Auswirkungen unseres Konsums auf Natur und Mensch, globalen Wertschöpfungsketten, nachhaltigen Transformationen und Impact Measurement.
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