Sie nannten mich Ali
Akan Keskin, Betreiber des eben eröffneten Naschmarkt- Lokals „Orient-Occident“ erzählt, wie es ist, wenn man von 6 bis 22 Uhr arbeitet und trotzdem weniger verdient als der österreichische Kollege: Man macht sich selbstständig.
Herr Keskin, dürfen wir Sie Ali nennen?
Wie? Ach so, Sie spielen auf meine erste Lehrstelle an. Ich hab 1972 eine Lehre als Autoschlosser begonnen.
Damals anscheinend als einer der ersten mit Migrationshintergrund. Ich hab gesagt, Akan heiß ich. Sie haben geantwortet: Bei uns heißen alle Türken Ali, du heißt jetzt auch Ali. Da hab ich gesagt, OK, sagts zu mir auch Ali.Als 15-jähriger Bursche wehrst dich halt nicht so.
Ist diese Ignoranz nicht typisch für Österreich?
Diesen Eindruck hatte ich damals auch. Ich möchte aber betonen, dass ich auch viel aus dieser Zeit gelernt habe. Ich wäre nicht da , wo ich jetzt bin. Trotzdem haben Sie sich selbständig gemacht. Im nächsten Betrieb hab ich von 6 bis 22.00 Uhr gearbeitet, sieben Tage die Woche. Und weniger verdient, als die anderen.
Trotzdem hab ich mir etwas gespart und gedacht: Soviel arbeiten kann ich auch für mich.
Ist das ein Grund für viele MigrantInnen, sich selbstständig zu machen?
Ja. Viele fühlen sich schon ein bisschen unterdrückt in einem Betrieb. Ich selbst habe für die gleiche Arbeit nicht den gleichen Lohn wie die Kollegen erhalten. Es wurde mir auch nicht gezeigt, dass man meine Leistung honoriert. Das sind Kleinigkeiten, dass man nie als erster – oder auch weniger freundlich – begrüßt wird. Der Chef sagt: Grias di, Seavas Franzl! aber Grüss Sie, Herr Keskin. Drum hab ich mich zuerst am Hannovermarkt, dann am Naschmarkt selbstständig gemacht. Und eben das Lokal Orient-Occident hier am Naschmarkt eröffnet.
Was sagt uns der Name?
Ich komme vom Orient, hier ist der Okzident, wir wollten beides verbinden. Orient sind die Betreiber, Okzident seids Ihr. In Ihrem Lokal gibt’s Frühstück bis 17 Uhr.
Wie kommt man als Frühaufsteher auf die Idee, für Langschläfer ein Lokal zu machen?
Das kann ich aus meinem Leben beantworten. Wenn man um drei oder vier Uhr das Gemüse am Großmarkt einkauft, bleibt keine Zeit fürs Frühstück. Bis alles fertig eingeräumt und hergerichtet ist, wird’s schon zwölf oder eins. Eigentlich ungesund.
Als Obmann der Marktstandler in der Wiener Wirtschaftskammer treten Sie dafür ein, die deutsche Sprache zu erlernen.
Sprache ist sehr wichtig. Ich steh immer noch zwei Tage die Woche hinterm Stand und spreche ein bisschen Persisch, Jugoslawisch und Ungarisch. In ein Geschäft kommen aber auch Einheimische und wenn einer dann nicht Deutsch kann, dann hat er ein bisserl ein Problem. Ich glaube, wer hier lebt, muss auch die Sprache können. So ist man erfolgreich.
Der Anteil migrantischer Unternehmer in Wien ist sehr hoch. Sollte das auch am Arbeitseinsatz liegen?
Migranten können auf den Märkten tatsächlich nur überleben, weil sie ausbeuten: sich selbst, die Familie und die wenigen Angestellten.Meine zwei Kinder gehen ihrer eigenen Arbeit nach, aber am Wochenende kommen sie auf den Markt, um mitzuhelfen. Unsere Arbeitswoche endet am Sonntag um zwölf und die nächste hat schon um elf begonnen. So wars zumindest zwanzig Jahre lang. Das heisst wenig Lebensqualität.
Dafür aber Chancen auf sozialen Aufstieg?
Als Kleinunternehmer gibt’s das glaub ich nicht. Egal wie gut du Deutsch sprichst, du kannst dir nicht leisten, jemanden anzustellen. Du musst immer selbst im Geschäft stehen. Bei Einheimischen funktioniert das manchmal, aber bei den Migranten spür ich die Angst sehr stark, dass es nicht gut genug laufen könnte, wenn man nicht selbst vor Ort ist.
Die Stadt Wien jedenfalls freut sich: Sie will 150 Lehrlinge bei migrantischen Unternehmen unterbringen. Wie soll das bei Einzelunternehmen gehen?
Das Problem sind die Ausbildner. Als Ausbildner muss man eine Meisterbrief haben, den besitzen viele Migranten nicht. Ich hab das auch nicht. Aber die Staträtinnen Renate Brauner und Sandra Fraunberger haben die Absichtserklärung gegeben, dass sie den 150 Lehrlingen 150 Ausbildner beistellen.
Und dann...?
Geht das so: Wenn ich einen Lehrling aufnehme, stellt die Stadt Wien mir unentgeltlich einen Ausbildner zur Verfügung. Der kommt hierher, überprüft die Arbeitssituation und erzählt dem Lehrling, was er zu wissen hat. Wie er kellnern soll und so weiter. Was ein Ausbildner eben so macht.
Wieviele Lehrlinge werden Sie aufnehmen?
Ich könnte zwei aufnehmen. Aber ich bin ja nicht nur Unternehmer, sondern auch Funktionär in der Wirtschaftskammer. Ich habe bei anderen Betreibern schon zehn Lehrlinge untergebracht. Ich persönlich. Die meisten wissen über die Förderungen ja gar nicht Bescheid. Außerdem gibt’s bei den Unternehmern eine gewisse Angst vor Lehrlingen. Ich weiß nicht warum. Das war früher anders. Man hat viel leichter einen Platz gekriegt.
Weil die Unternehmensstruktur anders war?
Vielleicht hat sich das Verhalten der Lehrlinge geändert? Ich weiß es nicht. Naja, ich war als Lehrling auch nicht gerade einfach. Ich hatte Tage, wo ich nicht zur Arbeit gegangen bin. Vereinzelt. Aber das hat der Chef mir nicht übel genommen. Hab ich den Tag halt eingearbeitet. Vielleicht ist heute ja auch die Konkurrenz zu stark.
Finden Sie es komisch, dass man migrantische UnternehmerInnen jetzt so speziell hervorhebt?
Ich finde das nicht komisch, ich freue mich darüber. Ich mach ja deshalb diesen Job, weil ich will, dass das in der Öffentlichkeit vorkommt. In der EU gibt’s schon ganz andere Förderungen und Möglichkeiten. In Belgien und Holland ist die Stellung der Migranten auch eine ganz andere.
Geht’s um das bessere Image?
Sicherlich. Aber auch um gesetzliche Fragen wie das passive Wahlrecht. Das ist eines meiner Ziele. Bis zur Kammerreform 2010 spielt‘s das aber nicht. Der ÖVP-Wirschaftsbund und die Fachliste Freiheitliche Unternehmer haben abgelehnt.
Braucht Wien mehr ausländische Unternehmensgründungen?
Das weiß ich nicht. Aber wenn jemand Unternehmer werden will, dem stehe ich zur Seite.
Zu einem anderen Thema: Fallen ihnen rassistische Beschmierungen an Wiens Hauswänden auf?
Besonders vor den Wahlen.
Hauseigentümer sagen meist, wie komme ich dazu, ständig meine Fassade zu renovieren?
Da haben sie Recht. Da müsste man den Hauseigentümern etwas zuschießen. Dafür müssten sie aber auch gesetzlich verpflichtet werden, die Beschmierungen zu entfernen.
Bürgermeister Häupl bezeichnet das als Unsinn. Nach dem Motto: Ein öffentlicher Fonds bedeutet eine Benachteiligung der sozial Schwachen.
Ich kommentiere das jetzt nicht. Ich bin nicht dieser Meinung. Steuern sind dazu da, um das Zusammenleben zu verbessern. Wie man den Mist in der Stadt wunderbar wegräumt, sollte man auch rassistische Beschmierungen wegräumen. Und das sollte man aus dem Steuertopf finanzieren.
Zur Person:
Akan Keskin wurde 1957 in Istanbul geboren. Mit elf Jahren holten ihn seine Eltern nach Österreich. Nach einer KFZ-Lehre und der Arbeit als Schlosser machte er sich als Marktstandler selbständig. Schon bald kürten ihn die Standler des Naschmarktes zu ihrem Sprecher. Später wurde er Obmann der Markstandler in der Wirtschaftskammer Wien und Vizepräsident des Sozialdemokratischen Wirschaftsverbandes. Keskin ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.