Eine gewisse Sympathie
Am 1. Oktober jährt sich die Verhaftung von Franz Fuchs zum zehnten Mal. Was denken Helmut Zilk, Maria Loley und andere Opfer heute über die Bombenjahre 1993-1996? Was blieb vom Bombenterror der Bajuwarischen Befreiungsarmee? Und warum steht fest, dass Fuchs kein politischer Täter gewesen sein soll?
Oktober 1995, Poysdorf im Weinviertel: Der Brief mit dem Absender „Reinhold Elstner, Liga fuer Menschenrechte“ explodiert noch am Postamt in den Händen von Maria Loley. Nichtsahnend hatte die Flüchtlingshelferin das Kuvert mit einem Kugelschreiber zu öffnen versucht.
„Ich war kurz zuvor mit dem Bruno Kreisky Preis für Menschenrechte ausgezeichnet worden“, erinnert sich die heute 83-Jährige, „und hatte den Absender damit in Verbindung gebracht.
Das war mein Irrtum.“ Die Ladung – Sprengstoff mit Glassplittern und Spänen versetzt – verletzte Loley schwer.
Narben sind ihr bis heute geblieben, die Bilder auch: „An der linken Hand ist ein weißer Spieß herausgestanden, das war der Knochen.“ Als die Rettung kam, hatte ihr eine Frau geistesgegenwärtig bereits Verbände angelegt. Kurz darauf, als Loley mit Hilfe der Sanitäter das Chaos verlässt, steht am Ausgang ein Mann.
Seine Worte hat sie noch deutlich im Ohr: „Selber schuld, sie hat sich ja nicht an die Ordnung gehalten.“ Loley heute: „Wissen Sie, was diese Ordnung gewesen wäre? Den Flüchtlingen nicht zu helfen.“
Reiner Zufall
Es ist schon seltsam. Zehn Jahre nach der Verhaftung von Franz Fuchs – dem „genialen“ Bombenhirn, wehrhaften Deutschösterreicher und wahrscheinlich einzigen Exponenten der Bajuwarischen Befreiungsarmee (BBA) – scheint ein einhelliges Urteil gefällt zu sein.
Spricht man Wiens ehemaligen Bürgermeister Helmut Zilk, den steirischen Pfarrer und Flüchtlingshelfer August Janisch oder den Weinviertler Arzt Dr. Mahmoud Abou-Roumie – alle Briefbomben-Opfer – auf Franz Fuchs an, reagieren sie verblüffend gleichförmig: Der Mann sei ein Verbrecher, ein Psychopath, ein armer Irrer gewesen – keinesfalls aber ein politischer Täter.
„Sein Rassenhass war nur ein Vorwand für verletzte Liebe“, glaubt Zilk, „er hätte sich aber auch ein ganz anderes Thema aussuchen können.“ Diese Meinung teilen auch die anderen Genannten.
Freilich ist die Vorstellung, die BBA hätte ihre sechs Briefbombenserien plus Rohrbomben nicht gegen die „Tschuschenhäuptlinge“ und „Ausländerfreunde“ dieses Landes, sondern gegen eine männerdominierte Ministerriege oder die exzessive Ausweitung des Individualverkehrs ausgeschickt, doch eher skurril.
Den Wahn, dem der damals 48-jährige Wassertechniker verfallen war, hatte er schließlich nicht aus den Geschichtsbüchern, von Herzog Oadilo und anderen völkisch erhöhten Recken des antislawischen Abwehrkampfes, sondern aus dem realen Leben dieses Landes geschöpft. Bei aller Paranoia.
Volksbegehren als Vorspiel
Kurz nach der Verhaftung von Fuchs protokollierte der Schriftsteller Josef Haslinger in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“: „Eine gewisse Sympathie, nicht für die Mittel, aber für die allgemeinen ausländerfeindlichen Ziele der BBA kann man einem Teil der Bevölkerung nicht absprechen.
“ Als sichtbares Zeichen dieser „Sympathie“ unterschrieben 417.000 ÖsterreicherInnen im Jänner 1993 das „Anti-Ausländervolksbegehren“ der FPÖ, noch viel mehr Menschen bewiesen dafür zumindest Verständnis.
Doch auch die „Zivilgesellschaft“ formierte ihre Kräfte, SOS Mitmensch mobilisierte in der größten Demonstration der Zweiten Republik 300.000 Menschen für ein „Lichtermeer“ am Heldenplatz. Haslinger: „Das Volksbegehren war aus vielerlei Gründen, nicht zuletzt weil ihm in der Initiative SOS-Mitmensch eine starke, überparteiliche Plattform entgegentrat, nicht so erfolgreich, wie es ursprünglich zu erwarten stand.
“ Aus heutiger Sicht wirkt die FPÖ-Initiative, just ein dreiviertel Jahr vor der ersten Bombenserie der BBA im Dezember 1993, wie dessen makaberes Vorspiel. Während die Freiheitlichen das bis in die 80er Jahre noch neutral bis positiv besetzte Migrationsthema ordentlich aufheizten, zeigte sich die Große Koalition ratlos. Sie reagierte dennoch rasch. Aus Angst vor massiven Stimmverlusten ließ die SPÖ im ganzen Land die Parole „Gesetze statt Hetze“ affichieren.
Damit versuchten Bundeskanzler Franz Vranitzky und Innenminister Franz Löschnak bereits damals, xenophobe bis rassistische Forderungen vor allem durch deren gesetzliche Verankerung zu egalisieren. Die große Koalition beschloss die schärfsten Ausländergesetze Europas, verlorene Stimmen brachte das aber nicht zurück. Im Gegenteil: Haiders Mannen forderten den Systemwechsel. Bei den Nationalratswahlen 1995 – während der Terrorjahre – erhielten sie bereits 22 Prozent der Stimmen.
Krankenhaus sprengen
Wie erfolgreich die Stimmung im Land gegen MigrantInnen verschärft wurde, zeigt sich auch an folgender Episode. Dr. Roumie, seit Jahrzehnten in Stronsdorf praktizierender Arzt, war ein Ziel der ersten Briefbombenserie.
Die Detonation riss ihm den Teil eines Fingers ab. Als er in Mistelbach im Krankenhaus auf dem OP-Tisch lag, „fragte mich der behandelnde Arzt: Können Sie sich das vorstellen – es ist eben ein Anruf eingegangen, dass das Spital gesprengt wird, wenn wir Sie operieren.“ Was Roumie bis heute irritiert: „Zu diesem Zeitpunkt ist noch gar keine Meldung im Radio gesendet worden.
“ Während der Verletzte sich damals fragte, ob der Täter ihn beobachte, liegt ein anderer Verdacht nahe. Wie bei Frau Loley könnte auch hier ein Nachbar sich unmittelbar zum Geschehen geäußert haben.
Dass der damals seit über 30 Jahren in Österreich lebende Arzt die „Ordnung“ gestört hätte. Maria Loley hat am Ende die Konsequenzen gezogen und ist aus Poysdorf weggezogen. Ausgerechnet sie, der es mit ihrem Verein „Bewegung Mitmensch“ viele Jahre lang gelungen war, Flüchtlinge und die BewohnerInnen vieler Weinviertler Orte zusammenzuführen.
Was hat die BBA erreicht, außer vier Tote in Oberwart und zahlreiche Verletzte?
„Zu Beginn meiner Tätigkeit“, erinnert sich Loley, „überwog das Mitleid, Ortsbevölkerungen organisierten selbst Nachbarschaftshilfe für Flüchtlinge. Nach dem Bombenanschlag aber hat meine Ausgrenzung begonnen.
Ich wurde als „Volksschädling“ und gezielte Lügen diffamiert, zum Sündenbock gestempelt.“ Mit dem Glauben aber, ersucht Frau Loley auszurichten, könne man aber selbst aus solchen Situationen gestärkt hervorgehen.
Der Grund für die Anfeindungen war banal: Das Gerücht, dass für die Flüchtlingshilfe Loleys der Steuerzahler aufkommen müsse. Das kommt Ihnen bekannt vor?
Schönstes Deutsch
Wie sehr sich die Stimmung im Land gegenüber MigrantInnen geändert hat, davon weiß auch der Hartberger Pater August Janisch zu berichten.
Als das Innenministerium „ohne viel Einfühlungsvermögen“, wie er sagt, „etwa 1.000 Flüchtlinge in Hartberg unterbrachte, gab es dafür keinerlei Infrastruktur. Die Leute besaßen nichts, ich organisierte Kugelschreiber, Babykleider, Dolmetscher, eine Rechtsberatung, einfach alles.
Schon dass ihnen jemand zuhörte, hat den Leuten gut getan.“ Janisch übte sanften Druck auf die Behörden aus, während er zwischen den Flüchtlingen und Hartbergs Bewohnern vermittelte: „Die Leute fahren ja gerne in exotische Länder auf Urlaub, aber als plötzlich Afrikaner auf dem Stadtplatz saßen, war ihnen das suspekt.“ Viel seiner mühsam geleisteten Vertrauensarbeit ging in den Folgejahren verloren, die Toleranz sei gesunken.
Zu seiner Arbeit steht Janisch wie auch Helmut Zilk, dem mehrfach, nicht nur in einem BBA-Schreiben, während der Jugoslawien-Kriege die „Balkanisierung Wiens“ vorgeworfen wurde. Zilk: „Das ist nicht mein Begriff, war aber eine notwendige Maßnahme.
Was sollten wir mit den schulpflichtigen Kindern denn tun? Ich hab später einmal eine Klasse im 2. Bezirk besucht, mit zwei Drittel Nicht-Österreichern. Dort haben die ‚balkanischen’ Kinder ein schöneres Deutsch gesprochen als die einheimischen. Was gibt es schöneres?“
Millionenfaches Profil
Um Franz Fuchs’ Themenwahl zu verstehen, muss er also nicht zum Neonazi stilisiert werden. Seine Forderungen finden sich auch heute noch im tagespolitischen Geschäft. Etwa „Ausländer“ abzuschieben, auch wenn sich die Idee eines der BBA-Schreiben bisher nicht durchgesetzt hat, das auf Kosten des Erstarbeitgebers abzuwickeln.
Michael Sika jedenfalls wundert sich, „dass es immer noch Leute gibt, die an die Existenz eines rechtsextremen Netzwerks hinter Fuchs glauben.“ „Offenbar“, so der damalige Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, „darf es in diesem Land keine andere Erklärung geben.“ Eigentlich war Fuchs jener unauffällige Bürger, wie ihn schon der Profiler Thomas Müller in einem seiner Täterprofile – das freilich millionenfach zutrifft – beschrieben hatte: katholisch, wohnhaft in einem Einfamilienhaus, Hobbybastler.
Dazu will Sika sich aber wie erwartet nicht äußern, sondern verweist auf sein – vergriffenes – Buch. Dabei beweist er Humor, wenn er meint: „Ich möchte Ihnen das nicht zumuten, aber in der Häftlingsbücherei der Justizanstalt Josefstadt finden Sie ein Exemplar.
“ Bleibt die Frage, was die BBA erreicht hat, außer dem Mord an vier Roma in Oberwart (Interview mit Stefan Horvath in Noment Nr. 7) sowie zahlreiche weitere Menschen lebensgefährlich zu verletzen? Außer polizeiliche Methoden wie die Rasterfahndung zu forcieren; die Durchleuchtung der rechtsextremen Szene auszulösen; Grenzen infamer Diskurse auszuweiten.
„Nichts“, sagen die Betroffenen trotzig. „Einfach vergessen“, rät Zilk. Und Sika: „Vielleicht hat er etwas bewirkt gegen Fremdenfeindlichkeit, zumindest vorübergehend. Aber das bezweifle ich.“