Hier geblieben!
Khan Waheed hat sich vor fünf jahren nach Österreich durchgeschlagen. Seit damals wartet der Flüchtling aus Pakistan auf den endgültigen Asylbescheid der Behörden. Viele europäische Staaten räumen in solchen - auch nach jahren nicht entschiedenen - Fällen ein Bleiberecht ein. Moment hat recherchiert, wo der Langzeitflüchtling zu seinem Recht kommen würde.
Khan Waheed humpelt. Das Gebrechen ist ein Souvenir aus seiner Heimat. Der Mann war einmal Generalsekretär der Pakistanischen Volkspartei in Kahuta.
Dort, 40 Kilometer östlich von Islamabad, zerschossen ihm Schergen des politischen Gegners 1998 die Beine. Waheed konnte bis nach Österreich fliehen. Aber Waheed schlug sich bis Österreich durch. Die heimischen Behörden lehnten seinen Antrag auf Asyl ab.
Der Pakistani ging in Berufung und legte neue Beweismittel vor. Derzeit prüft der Unabhängige Bundesasylsenat Waheeds Glaubwürdigkeit. Ein Papier fehlt im noch, er soll seine Haftzeit in Pakistan offiziell bestätigen lassen. Das lange Warten auf einen endgültigen Bescheid verbringt der Mann in diversen Notquartieren. Das bedeutet: fünf Jahre ohne Arbeit, ohne Perspektive.
In Österreich ist die Diskussion um das Bleiberecht voll entbrannt. Wer soll überhaupt in den Genuss des Bleiberechts kommen? Menschen, die hier um Asyl angesucht haben und seit Jahren auf einen Bescheid warten? Ehemalige SaisonarbeiterInnen, die sich bis heute in Österreich aufhalten? TouristInnen, die seit vielen Jahren im Land geblieben sind? Und was passiert mit jenen Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die aber nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden können, weil dort Krieg herrscht?
Während Österreich um ein Bleiberechtsmodell ringt, lässt Karl Korinek, Präsident des Verfassungsgerichtshofs, aufhorchen. Er verwies im Juni auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EuGH), wonach Drittstaatsangehörige, die sich seit fünf Jahren im Land aufhalten und integriert sind, nicht abgeschoben werden dürfen.
Dieses Bleiberecht, so Korinek, sei eine Tatsache. Hält sich Österreich nicht daran, riskiert es mit jedem Fall eine neuerliche Verurteilung durch den EuGH. Denn, die europäische Menschenrechtskonvention steht über nationalem Gesetz.
Die Bleiberechtsmodelle europäischer Staaten lassen sich nur schwer vergleichen. Um für die heimische Diskussion dennoch etwas Licht in die Sache zu bringen, hat Moment Khan Waheed auf eine virtuelle Reise durch einige Länder Europas geschickt. Welche Personengruppen profitieren von welchem Modell? Welche Interessen stecken hinter den jeweiligen Modellen? Und welche politischen Akteure und gesellschaftlichen Kräfte haben diesen Modellen zum Durchbruch verholfen?
ÖSTERREICH - GERICHTE STATT POLITIK
Ehepaare werden auseinander gerissen, Familien im Morgengrauen abgeholt, Kinder von der Schulbank weg abgeschoben. Immer öfter treffen die Härten des Fremdenrechts integrierte Ausländer; doch immer öfter stellen sich Einheimische schützend vor jene, die sich in Österreich eingelebt haben, die arbeiten und Steuern zahlen.
Kürzlich drohte einer 80-jährigen, pflegebedürftigen Türkin die Abschiebung in die Türkei, wo sie kaum jemanden kennt. Ihre Verwandten leben seit langem in Vorarlberg. Lauter Einzelfälle. Das Innenministerium hatte die Parole ausgegeben: Darüber könne man reden, am heimischen Fremdenrecht aber sei nicht zu rütteln. Kürzlich warf SPÖ-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer eine sehr eingeschränkte Bleiberechtsvariante in die Debatte: Nach zehn Jahren Aufenthalt sollten Drittstaatsangehörige ein Bleiberecht erhalten.
Doch wenig später ruderte der Regierungschef schon wieder zurück. An ein automatisches Bleiberecht habe er nicht gedacht, bloß an humanitäre Lösungen. Auf eine ähnliche Linie hatte sich Innenminister Günther Platter (ÖVP) eingeschworen. Ein „generelles Bleiberecht“ komme nicht in Frage, lautet die stereotype Antwort. Daran denken auch die Grünen nicht.
Sie haben ein umfassendes Bleiberechtsmodell ins Parlament gebracht. Mit einer Einmal-Aktion soll der Rucksack bei den Asylverfahren abgebaut werden: Flüchtlinge wie der Pakistani Khan Waheed, der bereits länger als drei Jahre auf seinen Bescheid warten muss, würden zur Entlastung der Behörden einen Aufenthaltsstatus erlangen.
Auch das De-Facto-Bleiberecht, auf das Höchsrichter Korinek hingewiesen hat, wollen die Grünen gesetzlich verankern. Derzeit muss dieses Recht von den Betroffenen erstritten werden, wenn die Fremdenpolizei bereits ein Ausweisungsverfahren eingeleitet hat. Meist bis vor den Höchstgerichten. Eine Hürde, die für viele nicht zu nehmen ist. Die 80-jährige Frau aus der Türkei etwa ihr Bleiberecht in einem gewöhnlichen Verwaltungsverfahren beantragen. Und die pflegebedürftige Frau hätte beste Chancen.
Neben der Dauer des Aufenthalts muss laut Menschenrechtskonvention auch die familiäre und wirtschaftliche Verankerung des Antragstellers in Gast- und Herkunftsland berücksichtigt werden. Im Gegensatz zum jüngst beschlossenen Modell unserer deutschen NachbarInnen haben die Grünen nicht detailliert festschrieben, wer als integriert anzusehen ist. Diese Entscheidung überlassen die gelernten ÖsterreicherInnen lieber unabhängigen Gerichten als der parlamentarischen Mehrheit.
DEUTSCHLAND - DEUTSCHE GRÜNDLICHKEIT FÜR GESUNDE LEISTUNGSTRÄGERINNEN
Ein 23-jähriger Somalier flieht als Kind nach Deutschland. Ohne seine Eltern, ganz auf sich gestellt. Bald schon spricht er wie ein Einheimischer. Sein Asylbescheid wird abgelehnt. Weil er nicht in sein Land – ein Kriegsland – zurück kann, „duldet“ die Fremdenpolizei seinen Aufenthalt. Alle drei Monate muss sich der Geduldete bei den Behörden melden, um seinen aufenthaltsrechtlichen Dispens zu erneuern.
Im vergangenen Herbst einigten sich die Innenminister auf ein Bleiberecht. In Frage kommen dafür aber nur Familien, die mindestens sechs Jahre in Deutschland gelebt haben und hier ohne staatliche Hilfe über die Runden gekommen sind, sowie Alleinstehende, die dasselbe acht Jahre lang geschafft haben. Das Eintrittsticket für Deutschland ist also ein regulärer Job. Laut ExpertInnen hat dies nur jeder Zehnte.
Mitte Juni beschloss der deutsche Bundestag daher eine weitere Bleiberechtsregelung, von der nochmals einige Tausend profitieren könnten: Nämlich all jene, die es bis Ende 2009 geschafft haben, ihre Familie ohne staatliche Hilfe über Wasser zu halten. Kinder, Kranke und alle, die nicht arbeiten können, bleiben ausgeschlossen. Auch für Khan Waheed stünden die Chancen dort schlecht. Mit seinen zerschossenen Beinen hat der Flüchtling kaum eine Chance auf Arbeit.
FRANKREICH - REPUBLIKANISCHE PATENSCHAFTEN FÜR "ILLEGALE SCHULKINDER"
Als Nicolas Sarkozy, damals Innenminister von Frankreich, im Vorjahr drohte, „illegale Schulkinder“ abzuschieben, brachte er das halbe Land gegen sich auf. Wütend protestierten Eltern, LehrerInnen, PolitikerInnen, KünstlerInnen, JournalistInneen und VertreterInnen gegen die Ausweisung junger Papierloser („sans papiers“). Und in den Medien wurde Sarkozy als feiger „Kinderjäger“ verunglimpft.
Unter großem medialem Getöse unterzeichneten prominente FranzosInnen „republikanische Patenschaften“, sogar die Tageszeitung „Liberation“ nahm einen jungen Abschiebekandidaten unter ihre Fittiche. Unter dem Druck dieser landesweiten Solidaritätswelle erließ der Innenminister schließlich großzügige Ausnahmeregelungen. Ein generelles Bleiberecht will der inzwischen zum Präsidenten gewählte Sarkozy illegal im Land lebenden AusländerInnen aber nicht gewähren. Im Gegenteil.
Für MigrantInnen, die am Arbeitsmarkt nicht gebraucht werden, wird die Latte immer höher gelegt. So wurde etwa die Frist für die Familienzusammenführung verlängert. In der Praxis müssen EhepartnerInnen und Kinder vier Jahre lang warten, bevor sie nachziehen dürfen. Selbst ein Ehering ist kein Garant mehr, im Land bleiben zu dürfen.
Wer nach der Heirat mit einem/einer französischen Staatsangehörigen eingebürgert werden möchte, muss den Behörden nachweisen, dass er mit dem oder der Angetrauten mindestens vier Jahre in einem Haushalt zusammen gelebt hat.
SPANIEN - LEGALISIERUNG GEGEN SCHATTENWIRTSCHAFT
Ein Armutsflüchtling aus einem afrikanischen Land. Einmal am spanischen Festland, erwartet die Flüchtlinge das anstrengende Leben eines „Clandestinos“. Doch die Chancen stehen gut, dass eine Amnestiewelle sie irgendwann daraus erlöst. Seit 1985 gab es in Spanien davon sieben, die meisten noch unter der früheren konservativen Regierung von José María Aznar.
2005 gewährte die Regierung rund 600.000 Papierlosen einen gesicherten Aufenthalt. Illegal aufhältige EinwandererInnen hatten drei Monate lang Zeit, in einem der landesweit knapp 200 Büros der Sozialversicherung eine Arbeits- und Aufenthaltsgenemigung zu beantragen. Sie mussten bloß ihren Pass vorlegen, ein polizeiliches Leumundszeugnis und einen Meldezettel, der zeigte, dass sie vor dem August 2004 ins Land gekommen waren.
Zudem mussten sie sechs Monate lang gearbeitet haben. Aus der Sicht der SpanierInnen waren damit brennende sozialpolitische Probleme gelöst. Ein Teil der Bevölkerung, der vorher offiziell nicht einmal existiert hatte – unter ihnen viele StaatsbürgerInnen aus Ecuador, Rumänien, Marokko, Kolumbien und Bolivien –, zahlt nun brav Steuern und Sozialabgaben. 1,4 Milliarden Euro jährlich bringe die einmalige Aktion, triumphierte der spanische Arbeitsminister Jesús Caldera, der das Paket mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ausgehandelt hatte.
Andere EU-Länder, allen voran Österreich, die Niederlande und Deutschland, fühlten sich übergangen und kritisierten den Alleingang: Schließlich könne jeder, der legal in Spanien lebe, sich im gesamten EU-Raum niederlassen. Madrid spricht hingegen von einer “intelligenten Legalisierung”. Die Begünstigten seien schließlich wegen ihrer Arbeitsplätze an Spanien gebunden und dort integriert.
SCHWEIZ - AUFENTHALT FÜR OPFER HÄUSLICHER GEWALT
In der Schweiz wird das Bleiberecht als Mittel gegen häusliche Gewalt eingesetzt. Opfer prügelnder Ehegatt-Innen ebenso wie Zwangsverheiratete, deren Aufenthaltsbewilligung nach einer Scheidung erlischt, sollen nicht ausgewiesen werden.
Im Kanton St. Gallen wirft die Polizei seit 2003 Gewalttäter aus der Wohnung. Die Hälfte der TäterInnen stammt aus dem Ausland, ähnlich hoch ist der Anteil bei den Opfern. Oft sind es Frauen, die im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz kamen und die ihr Aufenthaltsrecht verlieren, wenn sie sich vom Mann trennen.
Viele nahmen bisher lieber Demütigungen und Prügel in Kauf, als ins Herkunftsland zurückzukehren, wo sie oft sogar von der eigenen Familie geschmäht würden. Allerdings erhalten vermeintliche Opfer häuslicher Gewalt nicht automatisch einen Aufenthaltstitel. Es muss glaubhaft gemacht werden, dass ein Opfer wirklich Opfer ist.
Dabei hält sich die Ausländerbehörde auch an die Aussagen von Frauenhäusern, Opferhilfe, Migrantenvereinen und natürlich Polizei und Staatsanwaltschaft. Khan Waheed würde laut Statistiken über die Geschlechterverteilung bei häuslicher Gewalt leer ausgehen. Statistiken zufolge sind GewalttäterInnen fast ausnahmslos Männer.