Parfumdiebe hinter Gittern
Die Kriminalsoziologin Veronika Hofinger kennt die Hintergründe, die ausländische Häftlingszahlen in die Höhe getrieben haben. Sie weiß, warum Afrikaner zu den beliebsten Häftlingen gehören und warum ihnen das oberösterreichische Dorf Suben regelrecht dankbar ist.
Frau Hofinger, Sie haben die Situation von Ausländern in österreichischen Gefängnissen untersucht. Werden ausländische Häftlinge dort diskriminiert?
Ausländer, das versicherten mir Justizbeamte im Rahmen der Studie, würden völlig gleich wie Inländer behandelt. Das Paradoxe daran ist: Genau das kann auch diskriminierend wirken. Fremde haben eine andere Ausgangsituation, sprechen häufig nicht gut Deutsch, erhalten weniger Besuch. Sie verfügen oft über keine feste Wohnadresse und wandern daher schneller in Untersuchungshaft.
Was bedeutet das für den Strafvollzug?
Gefängnisse werden gesetzlich dadurch legitimiert, dass Menschen dort resozialisiert werden. Die Bestrafung ist auch ein Aspekt, der Hauptzweck soll aber die Wiedereingliederung in die Gesellschaft sein. Nun stellt sich die Frage: Wie soll man jemanden in die österreichische Gesellschaft resozialisieren, der nach der Entlassung nicht legal in Österreich leben darf?
Heißt das, Ausländer kommen gar nicht in den Genuss von Resozialisierungsprogrammen?
Es ist nicht so, dass man Ausländer von Resozialisierungsmaßnahmen und Vollzugslockerungen ausschließt, weil sie Ausländer sind. Aber bei ihnen wird öfter Fluchtgefahr angenommen, sie erhalten deshalb viel seltener Aus- und Freigang. Auch die Beschäftigung in Gefängnisbetrieben gestaltet sich schwieriger. Ein Anstaltsleiter sagte mir einmal, wenn er 100 Arbeitsplätze hat und 200 Insassen, dann sei „der Russe“ oder „der Georgier“ der letzte, der drankommt.
Ein modernes Verständnis von Resozialisierung wäre aber: berufliche Ausbildung in Haft und vielleicht sogar eine Arbeitsstelle für die Zeit danach. Durch den Kontakt nach draußen sollten zudem soziale Bindungen gestärkt werden, damit der Häftling nach der Entlassung einen sozialen Empfangsraum vorfindet, wie Experten das nennen.
Wie könnte man hier entgegenwirken?
Die grundsätzliche Frage ist, wieso wir Menschen monatelang einsperren. Ist es wirklich notwendig, ausländische Ladendiebe hinter Gittern zu sehen? Ist das Gefängnis wirklich für jene da, die der gewerbsmäßigen Kleinkriminalität verfallen? Statistiken zeigen ja, dass immer mehr Ausländer wegen kleinerer Delikte sitzen, für die Österreicher meist nicht eingesperrt werden.
Was sind denn die häufigsten Delikte, für die Haft verhängt wird?
Vorweg: Die Mehrheit der Insassen in Österreichs Gefängnissen ist nicht gefährlich und muss nicht zu unserem Schutz weggesperrt werden. Die Hälfte der Gefangenen sitzt wegen Drogen- und Diebstahlsdelikten, bei den Ausländern ist dieser Anteil noch viel höher. Weil diese Leute kein reguläres Einkommen nachweisen können oder immer wieder erwischt werden, nimmt die Justiz Gewerbsmäßigkeit an – dadurch verzehnfacht sich der Strafrahmen. Das Risiko inhaftiert zu werden, steigt also enorm.
Im Gefängnis im oberösterreichischen Dorf Suben gibt’s einen besonders hohen Ausländeranteil. Wieso?
Österreichweit liegt der Ausländeranteil bei rund 45 Prozent, in Suben sind es knapp 70 Prozent – fast die Hälfte der Insassen dort kommt aus Afrika. Suben ist ein interessanter Ort: Die Anstalt liegt mitten in einem kleinen Dorf in Oberösterreich, direkt neben der Kirche. Aus fast jeder Familie arbeitet jemand im Gefängnis.
Die Anstalt hätte vor einigen Jahren zugesperrt werden sollen, weil sie als unmodern galt und als zu weit fernab städtischer Zentren. Man erzählte mir, dass man sich damals informell auf Ausländer spezialisiert hat unter dem Motto: „Dann nehmen wir halt alles“ – so konnte das Gefängnis samt den damit verbundenen Arbeitsplätzen erhalten werden.
Die inhaftierten Ausländer haben den Subenern also die Jobs garantiert?
Genau. Das kann man dem Dorf freilich nicht vorwerfen. Aber das erklärt auch ein wenig, warum die Situation in den Interviews, die wir geführt haben, nicht als änderungsbedürftig erlebt wurde.
Sie haben auch in anderen Justizanstalten Interviews geführt. Welche Probleme sehen Justizbedienstete mit ausländischen Insassen? Sie klagen insgesamt weniger über den hohen Ausländeranteil als über den Überbelag – die Gefängnisse sind voll wie seit Jahrzehnten nicht.
Ausländer werden nicht als prinzipiell schwierige Insassen gesehen, außer jene aus den Ex-Sowjetrepubliken.
Mit ihnen gibt es zum Teil große Verständigungsschwierigkeiten; ein Personalvertreter beklagt im Interview, man habe die Kommunikation verloren. Die Beamten fürchten vor allem auch eine ausgeprägte Gefängnis-Subkultur. Manche dieser Insassen bringen Bürgerkriegserfahrung mit, oft sind sie traumatisiert, und viele sind drogensüchtig.
In ihrer Studie schreiben Sie, dass Afrikaner besonders beliebte Insassen sind. Das wichtigste im Gefängnis ist die Anpassung der Insassen an den Gefängnisalltag. Afrikaner, so erzählen es die Beamten, würden sich besonders gut anpassen. Ich habe ungewöhnliche Szenen beobachtet: In Suben sitzen Afrikaner in Werkstätten und basteln Mausefallen, so genannte Hausarbeiter wünschen Besuchern höflich „Mahlzeit“. Ich dachte: Hier also finden sie Arbeit! Das Paradoxe
Die grundsätzliche Frage ist, wieso wir Menschen monatelang einsperren. Ist es wirklich notwendig, ausländische Ladendiebe hinter Gittern zu sehen?
ist ja, dass Ausländer, die in Freiheit nicht arbeiten dürfen, plötzlich in Strafhaft zur Arbeit verpflichtet sind. Dieses kleine Dorf ist schon ein Panoptikum weltpolitischer Phänomene.
Menschen, die es aus Subsahara-Afrika bis nach Österreich schafften und irgendwann in Wien Drogen verkauften, töpfern dann in Suben Vasen, die am örtlichen Weihnachtsmarkt alle irrsinnig kreativ finden. Nicht alle sind gegenüber Inhaftierten positiv eingestellt.
Wie stehts um die Haltung der Beamten? Da gibt’s sehr reflektierte Beamte und dann gibt’s solche, die als Hardliner auftreten – letztere vor allem in der Personalvertretung. Es wäre zu einfach, Beamten pauschal Ausländerfeindlichkeit vorzuwerfen.
Dennoch behaupten manche, dass das Gefängnis in Österreich für Ausländer überhaupt nichts Schlimmes ist, sondern ein Fünf-Stern Hotel. Unangenehm wird es dann, wenn Beamte nur noch die eigenen Belastungen sehen, etwa dass sie in Zellen hinein gehen müssen, in denen es 45 Grad hat, und wo zehn Mann drin sitzen.
Sprechen wir über den hohen Ausländeranteil in Haft. Sind Ausländer denn krimineller?
Bestimmte Nationalitäten sind in der Anzeigenstatistik überrepräsentiert, besonders bei den genannten Delikten Diebstahl und Drogenhandel. Ausländer wandern aber auch schneller ins Gefängnis. Zum einen profitieren sie weniger von der so genannten Diversion also Geldbußen, gemeinnützigen Leistungen oder dem außergerichtlichen Tatausgleich.
Ein anderer Nachteil ist die häufiger verhängte Untersuchungshaft – ist jemand einmal inhaftiert, werden meist teilbedingte Haftstrafen verhängt und keine reinen Geldstrafen. Wegen Diebstahl kommt man als Österreicher nicht in Haft. Zumindest nicht wegen ein paar Parfumflaschen.
Wieso sind manche Gruppen von Ausländern bei den Anzeigen Überrepräsentiert?
Ein Grund ist sicher die Arbeitssituation. Asylwerber aus Afrika beispielsweise haben oft enorme Schulden und stehen unter dem Druck ihrer Schlepper. Auch ihre Verwandten erwarten Geld. Doch in Europa ist ihnen der legale Arbeitsmarkt versperrt.
Nun treffen sie auf Communities, die ihnen illegale und scheinbar lukrative Jobangebote machen – etwa Drogenhandel oder Prostitution.
Sie sind bereit ein enormes Risiko einzugehen. Ziel muss es sein, diese Communities besser verstehen zu lernen. Dazu gibt es leider kaum wissenschaftliche Forschungen.