Nicht zu stoppen
An Österreichs Schulen reden Vereine mit Jugendlichen über Sexualität und Aufklärung. ÖVP und FPÖ wollen das gesetzlich beenden und den Lehrkräften umhängen. Keine gute Idee, finden externe Vereine und auch die Schulen selbst. Zurecht. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Zoran Sergievski
„Let’s talk about sex“, salopp: „Red’ ma über Sex“, forderten die New Yorker Hip-Hopperinnen „Salt ‚n’ Pepa“ 1991. Egal, ob man weghöre oder es kleinrede, vermeide – jetzt spräche sogar das Radio davon, das Fernsehen. Und man müsse drüber reden, was Sex war und ist, wie es sein kann und sein sollte.
Es gibt aber auch Leute, denen offenbar lieber ist, dass gar nicht darüber geredet wird. Im Juli verabschiedeten ÖVP und FPÖ dazu einen Initiativantrag im Nationalrat. Er erlaubt externen Vereinen nur mehr außerhalb des Schulunterrichts, Aufklärung zu unterstützen. Bis dato durften sie das aktiv im Unterricht.
Grundlage dafür war ein Grundsatzerlass des Bildungsministeriums von 2015. Darin erhielt sexuelle Aufklärung (genauer:
Sexualpädagogik) einen klaren Rahmen. Jener Erlass erkennt sexuelle Entwicklung als entscheidend für die Persönlichkeitsbildung an. So soll Sexualpädagogik ab der Kindheit altersgerecht vermittelt werden – wertfrei, lustfreundlich, gegen Gewalt sensibilisierend und wissenschaftlich fundiert. So sollen nicht nur Ängste abgebaut und Neugier geweckt werden. Ziel ist es, verantwortungsvolle, selbstbewusste Menschen zu bilden.
Ausschluss kommt Verbot gleich
In diesem Feld engagiert sich eine Vielzahl von Gruppen und Institutionen. Dazu gehören nicht nur „die üblichen Verdächtigen“, etwa die Homosexuellen Initiativen (HOSI) oder Kinderschutzorganisationen. Es sind auch einige kirchliche Träger dabei, etwa das Frauenreferat der Diözese Innsbruck. Sie haben sich bundesweit zu Plattform Sexuelle Bildung (PSB) vereint, um das neue Gesetz zu kippen. Sie fürchten, dass der Ausschluss de facto einem Verbot gleichkommt. Über die Plattform Sexuelle Bildung haben sie die Kampagne #redmadrueber gestartet, die auch von SOS Mitmensch unterstützt wird. Der Hashtag erinnert nicht umsonst an Salt-N-Pepa.
Verena Krall von der Fachstelle Niederösterreich für Suchtprävention und Sexualpädagogik ist optimistisch. Auf eine Anfrage antwortet sie: „Der Entschließungsantrag hat derzeit keine rechtliche Bindung und es ist abzuwarten, wie es nach der Nationalratswahl weitergehen wird. Wir stehen in regelmäßigem Austausch mit der Bildungsdirektion. Derzeit sind uns keine Veränderungen bekannt.“
Krall ist Leiterin der Abteilung Sexualpädagogik der Fachstelle, sie beschreibt, wie Vereine das Thema in der Regel angehen: „Wir arbeiten seit mittlerweile sechs Jahren mit Schulen in Niederösterreich zusammen. Wir führen im Auftrag des Landes sexualpädagogische Workshops für Kinder und Jugendliche durch und organisieren Elternabende und Fortbildungen für PädagogInnen. Die Nachfrage von Schulen und Eltern ist sehr groß, der Bedarf an sexualpädagogischen Angeboten wächst.“
Intimes nicht mit Lehrkräften besprechen
Bundesschulsprecher Timo Steyer von der ÖVP-nahen Schülerunion sieht Externe deshalb als wichtige Ergänzung zu Lehrkräften. Das erklärt er in einem Statement zur Kampagne. In der Bundesjugendvertretung, sie vertritt die Interessen von Menschen bis 30 Jahren in Österreich, ist man überzeugt, dass Teenager ungern mit Lehrkräften über Intimes reden, von denen sie anderntags benotet werden. Das sieht auch Verena Krall von der Fachstelle Niederösterreich ähnlich, wenn sie sagt: „SchülerInnen wollen nicht all ihre intimen und persönlichen Fragen mit PädagogInnen besprechen – und auch umgekehrt. Auch in der Ausbildung der PädagogInnen sind sexualpädagogische Themen kaum Inhalt.“
Es gibt also einen Punkt, an dem die Schule diesen Bedarf nicht mehr decken kann oder will. Workshops wie jene, die die Fachstelle organisiert, sollen dort für Möglichkeiten sorgen, die die Schule nicht leisten kann. So wird auch verständlich, warum die Nachfrage nicht abreißt. Verena Krall führt fort: „PädagogInnen und Eltern schätzen die Zusammenarbeit mit der Fachstelle und erkennen die Wichtigkeit und Notwendigkeit einer Einbeziehung von externen ExpertInnen an, vor allem im Sinne der Prävention.“
Warum die Vereine weg sollen
Nach 1945 waren Themen wie Missbrauch, aber auch Masturbation, jugendliche Lust und Sex vor der Ehe lange Zeit Tabus. Das schreibt die Erziehungswissenschaftlerin Christin Sager in ihrem Buch „Das aufgeklärte Kind“. Erst mit der 68er-Bewegung, die den Komplex erfolgreich in die Hörsäle und Klassenzimmer brachte, kam die Wende. Das hielt konservative Kräfte nicht davon ab, Sexualität weiter in Watte zu packen – während sie gleichzeitig omnipräsent wurde: durch Musik, Werbung und letztlich auch Internet-Pornographie.
Auslöser der aktuellen Debatte ist der christlich-fundamentalistische Verein TeenSTAR, der sich – im Gegensatz zu den UnterstützerInnen der Plattform Sexuelle Bildung – nicht an die Vorgaben des Ministeriums hielt. TeenSTAR beschränkte sich nicht auf geschlossene, unverkrampfte Workshops, in denen vorurteilsfrei gefragt und geplaudert werden kann. – Vielmehr luden, wie der „Falter“ aufdeckte, die Trainer und Trainerinnen von TeenSTAR Jugendliche einzeln zum Essen oder zu Spaziergängen ein, um auf sie einzuwirken, u.a. wurde Homosexualität als heilbar und Selbstbefriedigung als Sünde bezeichnet. Die Mitglieder der Plattform werten Methoden des Vereins als eindeutigen Übergriff, dem sich Jugendliche schwer entziehen können.
Bei der ÖVP und FPÖ konstruierte man daraus den Vorwurf, dass sich sexualpädagogische Vereine an gar keine Standards hielten. Anders als TeenSTAR bezieht sich die Plattform Sexuelle Bildung hingegen explizit auf den ministeriellen Erlass aus dem Jahr 2015 sowie internationale Kataloge. KritikerInnen vermuten nun, es gehe den politischen Parteien um eine Unterdrückung von Lust und queeren Ansätzen. Wenn man so will, half TeenSTAR unfreiwillig dabei mit. Der Verein vertritt ein erzkonservatives Menschenbild, auf seiner Website gibt er an, die „humanistischen Werten der jüdisch-christlich geprägten Kultur“ zu vertreten. Darunter zu verstehen ist ausschließlich die Hetero-Ehe, hetero-ehelicher Sex, natürliche Empfängnis und die Ächtung der Abtreibung. So argumentiert oftmals auch die Bundes-ÖVP und noch deutlicher die FPÖ.
In Niederösterreich bewertet man die Dinge etwas anders, wohl auch aufgrund der Erfahrungen, die man im Rahmen der Projekte mit den Schulen gemacht hat. Die Landesregierung unterstützt die Fachstelle jedenfalls weiterhin, ÖVP-Landesrätin Christiane Teschl-Hofmeister ist ihres Zeichens Vorsitzende des Trägervereins der Fachstelle.
Aufklärung als Menschenrecht
Der Komplex ist auch menschenrechtlich relevant. Wer Vereine verdrängt, beschneidet die Artikel 19 und 26 der UN-Menschenrechtscharta. Ersterer schützt die Meinungs- und Informationsfreiheit, letzterer das Recht auf Bildung. Wer Jugendliche von fachlich hochwertigen Infos ausschließt, beeinträchtigt ihre Entwicklung zu selbstbestimmten Personen. Im schlimmsten Fall lernen sie nicht, sich abzugrenzen, vor Missbrauch und Krankheiten zu schützen. Sexualität ist eine über den Biologie-Unterricht hinausführende Querschnittsmaterie, die auch deshalb umfangreich behandelt werden sollte.
„Those who think it‘s dirty have a choice / Pick up the needle, press pause, or turn the radio off / Will that stop us, Pep? I doubt it“, heißt es bei Salt ‚n’ Pepa. Wer Sex für schmutzig hält, sollte einfach abdrehen. Das kann das Gerede jedenfalls nicht stoppen.
Das Frauenreferat der Diözese Innsbruck lehnte mehrere Anfragen von MO zu #redmadrueber ab. Bei der AIDS Hilfe Wien war zu Redaktionsschluss Sommerpause.
Weitere Infos:
http://sexuellebildung.at/redmadrueber/
Christin Sager: Das aufgeklärte Kind.
Transcript Verlag 2015
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