Mit Mut gegen Hass
In einem langfristig angelegten Projekt beschäftigte sich die Muslimische Jugend Österreich mit dem Antisemitismus in der eigenen Community. Ein Gespräch mit Andreas Peham (DOEW) und Canan Yasar (MJÖ) über das bemerkenswerte Projekt und seine Erfolge. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Muhamed Beganovic
Die schlechte Nachricht ist, dass es unter muslimischen Jugendlichen unleugbar antisemitische Tendenzen gibt, die größer sind als in jeder Vergleichsgruppe, sagt Andreas Peham, Rechtsextremismus- und Antisemitismusforscher beim Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW). Peham, ein Mann mit fröhlicher Miene und klarer Stimme, gehört aber zu den Menschen, die sich auf die gute Nachricht konzentrieren: wenn man die Arbeit richtig macht, ist ihnen präventiv besser beizukommen. Er musste also nicht lange nachdenken, als ihn die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ) fragte, ob er bei einem Projekt namens „MuslimInnen gegen Antisemitismus“ mitmachen will.
Das war noch 2017, ein Jahr in dem in der Öffentlichkeit besonders stark über den sogenannten „muslimischen Antisemitismus“ oder den „importierten Antisemitismus“ gesprochen wurde. Natürlich wurden diese Begriffe von politischen Parteien übernommen, die damit vom Antisemitismus in den eigenen Reihen ablenken wollten (und damit ist nicht nur die FPÖ gemeint). Und natürlich haben viele muslimische Verbände so getan als wäre dies nur eine Schmutzkampagne und so als gäbe es keinen Antisemitismus in der Community, weil sie, wie Peham erklärt, wussten, dass jede Argument verwendet werden könnte, um so noch mehr antimuslimische Ressentiments zu schüren. Für Peham war es also sehr mutig, dass sich die Jugendorganisation ein Jahr lang mit der Thematik befasst hat. „Wir haben den Schwerpunkt Antisemitismus gewählt, weil wir uns aus innermuslimischer Perspektive mit dem Thema befassen möchten“ sagte die Bundesvorsitzende Canan Yasar, die auch Leiterin des Projekts war, bei der ersten Pressekonferenz Anfang 2018.
Hohe Reflexionsfähigkeit
Yasar, Lehramt-Studentin der Kirchlichen Pädagogischen Hochschulen Wien/Krems, beklagt, dass in den Medien und bei Podiumsdiskussionen überproportional viel über den muslimischen Antisemitismus diskutiert wurde, aber auch, dass kaum muslimische Stimmen an diesem Diskurs beteiligt waren. „Wir empfanden es als wichtig, dass MuslimInnen sich aktiv zu Wort melden. Im Diskurs über Antisemitismus wurden MuslimInnen fast schon als Hauptverursacher des Antisemitismus in Österreich dargestellt, während über jenen in der gesellschaftlichen Mitte oder der Rechten geschwiegen wurde“, so Yasar. „Sieht man sich aber die Zahlen für Österreich an, ist ersichtlich, dass die größte Gefahr nach wie vor nicht von MuslimInnen, sondern von Rechtsextremen und Neonazis ausgeht“, fügt sie hinzu. Diese Vorgehensweise trage zu keiner Minderung der Problematik bei. „Sie führt rein dazu, dass sich jede Gruppe aus ihrer Verantwortung stiehlt und stattdessen Antisemitismus auf andere projiziert“, so Yasar. Die MJÖ wollte aber gerade nicht in dieses Schema der Schuldzuweisung tappen. Ihnen war es wichtig, sich auf Basis von Fakten mit dem Thema zu beschäftigen. „Jeder einzelne Fall von Antisemitismus innerhalb der muslimischen Community ist einer zu viel. Deshalb wollten wir handeln und haben ein vielseitiges Projekt gestartet, in dem sich muslimische Jugendliche mit dem Thema beschäftigen“, erklärt Yasar. Es ging darum, muslimische Jugendliche in der Frage des Antisemitismus zu sensibilisieren und eine tiefgehende Auseinandersetzung zu ermöglichen. Man veranstaltete Vorträge und Workshops über die historischen Entwicklung und die aktuellen Formen des Antisemitismus. Zudem fanden im Rahmen des Projektes auch ein Gespräch mit einer der letzten Zeitzeuginnen, Begegnungen zwischen jüdischen und muslimischen Menschen sowie eine Studienfahrt in das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau statt. Laut MJÖ nahmen etwa 1.500 bis 2.000 Jugendliche an den Veranstaltungen in ganz Österreich teil. Peham war begeistert von der hohen Reflexionsfähigkeit der teilnehmenden Jugendlichen. Auch Yasar zeigt sich zufrieden mit Projekt. „Ich traue mich zu sagen, dass wir unser Ziel erreicht haben“, so Yasar. Als Beweis führt sie die spontane Mahnwache der muslimischen Jugendlichen an den wiederholt von Neonazis beschädigten Bildern von Holocaust-Überlebenden der Ausstellung „Gegen das Vergessen“ im Mai des heurigen Jahres an. „Das ist für mich das beste Beispiel, dass das Projekt gefruchtet hat. Wir haben Bewusstsein geschaffen, dass man gegen Antisemitismus aufstehen muss“, so Yasar.
Gemeinsame Erfahrungen
Andreas Peham wurde bereits in der Konzeptionsphase des Projektes ins Team geholt. Durch langjährige Erfahrung weiß er, wie muslimischer Antisemitismus am effektivsten bekämpft werden kann. Den als politische Parole genutzten Begriff findet Peham aber falsch. Er spricht von einem „islamisierten Antisemitismus“. Vereinfacht erklärt heißt das, dass der Ursprung nicht religiöser sondern völkischer Natur ist. Der Antisemitismus in der muslimischen Community drückt sich in Vorurteile, Verschwörungstheorien, Zuschreiben von überwältigender politischer und wirtschaftlicher Macht aus. Auch darüber klärt er regelmäßig auf. Die von ihm geleiteten Workshops wirken holistisch, weil sie das Thema gesamtheitlich behandeln. Wie geht er dabei vor? Es gibt bekanntlich vieles, dass die beiden Religionen verbindet und darunter fallen zum Teil auch jene Erfahrungen, die Juden und Jüdinnen genauso wie Muslime und Musliminnen im Alltag machen. Daher widmet Peham fast die Hälfte der Zeit seiner Workshops der Frage, welche Erfahrungen die Jugendlichen direkt oder indirekt mit Rassismus, Abwertung und Hass gemacht haben. Es geht darum, in Erinnerung zu rufen, wie man sich in solchen Situation selbst gefühlt hat. In einem zweiten Schritt werden Fragen gestellt wie etwa: Was verbindest du mit Juden? Es geht darum zu klären und aufzuzeigen, wo man sich selbst dabei ertappt, andere abzuwerten. Mit diesem Perspektivenwechsel und mit einer gewissen Empathie verbucht man deutlich mehr Erfolge, sagt Peham. Dabei ist ihm auch aufgefallen, wie wenig Ahnung muslimische Jugendliche von der eigenen Religion haben. Das macht die jungen Leute auch anfälliger für den islamisierten Antisemitismus. Peham erzählt die Geschichte eines Workshops in einer Schulklasse, in dem unter anderem ein syrischer Bursche und ein syrisches Mädchen anwesend waren. Als der Junge sich antisemitisch äußerte, wies ihn das muslimische Mädchen zurecht und klärte ihn theologisch und geopolitisch auf. Peham: „Ich habe bei ‚autochton österreichischen‘ Jugendlichen noch nie erlebt, dass jemand aus der eigenen Gruppe die Person, die Antisemitisches von sich gibt, öffentlich zur Rede stellt.“ Das gibt Hoffnung, sagt Peham.
Fröhlich stimmt auch die Tatsache, dass das Ende des Projektes nicht mit einem Ende der Kontakte einhergegangen ist. „Die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus, Reisen zu ehemaligen Konzentrationslagern und die Begegnung mit JüdInnen wie etwa beim koscheren Iftar, das ist während des Ramadan die erste Mahlzeit nach dem Fasten, oder dem gemeinsamen Shabbat-Mahl wollen wir beibehalten und intensivieren“, sagt Yasar. Masel tov!
„MuslimInnen gegen Antisemitismus“, so lautet der Titel eines Projekts, mit dem sich die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ) gegen antisemitische Haltungen in der Community engagierte. „Wir sind überzeugt, dass Antisemitismus und Islam unvereinbar sind. Gerade in Zeiten von steigendem Antisemitismus haben wir uns bewusst damit beschäftigt und präsentieren unsere Erfahrungen und Erkenntnisse einer breiten Öffentlichkeit“, so die MJÖ-Bundesvorsitzende und Projektverantwortliche Canan Yasar. „Wir möchten mit unserem Projekt Solidarität zeigen und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken.“
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