Der Nicht-Minister
Unterm Strich hat Herbert Kickl als Minister atmosphärisch sehr vieles zum Schlechteren verändert. Weil er oft aufwiegelte und selten verbindend auftrat; weil er zu oft angriff statt verstehend zuzuhören. Was ist inhaltlich von seiner Amtszeit geblieben? Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Kommentar: Christian Böhmer
Bestückt mit Schraubenschlüsseln und einer Stehleiter rückten am Morgen des 23. Mai Aktivisten beim Flüchtlingserstaufnahmezentrum im niederösterreichischen Traiskirchen an, um etwas Bemerkenswertes zu unternehmen: Mit Hilfe eines Schlossers machten sich die Aktivisten an einem Schild beim Eingang zu schaffen – und demontierten es. „Die Tafel ist eine Dokumentation der Unanständigkeit und Menschenverachtung“, sagte einer der Aktivisten später.
Um zu verstehen, was ihn derart empörte, muss man wissen, was auf dem Schild stand: „Ausreisezentrum“. Auf Flüchtende musste dieser Name irritierend, ja abstoßend wirken. „Über kurz oder lang habt ihr zu verschwinden“, rief das Schild den Hilfesuchenden entgegen.
Kein Geringerer als der Innenminister, Herbert Kickl, hatte sich den Namen Monate zuvor ausbedungen. Es ging für ihn um ein Signal, quasi um eine „Schlagzeile“, wie er sagte. Dass die Tafel unerhört zynisch anmutete, war für Kickl kein Problem. Es war ein kommunikativer Kollateralschaden – und jedenfalls akzeptabel.
Die verhöhnende Traiskirchner Namenstafel steht stellvertretend für vieles, was Herbert Kickl in 17 Monaten als Ressortchef getan, man könnte auch sagen, angerichtet, hat.
Kickl war nie ein tauglicher Innenminister. Allerdings nicht, weil er dies nicht konnte, sondern weil er sich bewusst dazu entschieden hat, es nicht zu sein.
Machen wir einen Schritt zurück.
Worin bestehen die Herausforderungen und Qualitäten eines Innenministers?
Er oder sie hat 30.000 teils schwer bewaffnete Sicherheitskräfte zu führen. Damit, was der Innenminister sagt und tut, prägt er die Art und Weise, wie seine MitarbeiterInnen im Ressort agieren.
Sind die Aufgaben fordernd? Zweifellos – immerhin geht es nur allzu oft um Leib und Leben, um existenzielle Fragen und Gefahren. Der Innenminister hat demnach souverän und ausgleichend zu agieren und jene Regeln und Werte zu verteidigen, die die Gesellschaft im Innersten zusammenhalten.
Herbert Kickl, und damit ist man beim Kern des Problems, wusste all das – und hat sich trotzdem dagegen entschieden.
Woran kann man das festmachen?
Am deutlichsten wohl an seiner Rhetorik: Sie blieb auch in der Regierungsfunktion so aggressiv und angriffig, als wäre Kickl weiterhin Generalsekretär der Freiheitlichen.
Wer seine Asyl- oder Zuwanderungspolitik kritisierte, dem begegnete er nicht mit Zahlen oder trockenen Argumenten, nein: Vorzugsweise antwortete der kühle Rhetoriker mit emotionalen und abwertenden Phrasen.
„Gefühlsduselei“ war so ein Begriff, den er für die bereithielt, die seine Migrations- und Asylpolitik kritisierten.
Doch es waren beileibe nicht nur die abschätzigen Phrasen, die mit dazu beigetragen hat, dass Herbert Kickl im Vertrauensindex von APA und OGM verlässlich auf den hintersten Plätzen firmiert. Einen Gutteil seiner Ablehnung verdankt der freiheitliche Provokateur dem Umstand, dass er selbst Grundwerte in Frage stellte, die verantwortungsvolle Politiker nur im Ausnahmefall, verantwortungsvolle Innenminister aber auf gar keinen Fall zur Disposition stellen dürfen.
Die Menschenrechtskonvention war so etwas.
Während es über Jahrzehnte hinweg de facto zum innenpolitischen Konsens gehörte, dass man auf diese, in der Verfassung verankerte Zusammenschau der wesentlichen Grundrechte zu Recht stolz war und diese mit Verve verteidigte, verstieg sich Kickl zu der Aussagen, man könne und müsse die Menschenrechtskonvention überdenken und auch überarbeiten.
Dass er damit eigentlich nicht verhandelbare Gebote wie das Recht auf Leben, Bildung oder Religionsfreiheit, ja den Grundkonsens der Zweiten Republik in Frage stellte, war Kickl in diesem Fall egal.
Er selbst würde genau das wohl brüsk in Abrede stellen.
In der Welt des Herbert Kickl reizen vermeintliche Flüchtlinge die juristischen Möglichkeiten unserer Rechtsordnung in einem Maße aus, dass sich diese teils selbst ad absurdum führt.
Doch selbst wenn das stimmen sollte, selbst wenn Flüchtende unsere Rechtsordnung im Einzelfall mitunter über Gebühr strapazieren: Herbert Kickl ist der Falsche, um auf diesem Terrain eine sachliche Debatte zu führen.
Denn Sachlichkeit war nie seine Sache.
Wer selbst als Minister von der Regierungsbank noch gegen Abgeordnete ätzt und vor Rechtsextremen lächelnd erklärt, dass ihm dieses Publikum beileibe besser gefalle als mancher Zuhörer im Parlament, der darf für sich nicht in Anspruch nehmen, dass man ihm abnimmt, ihm gehe es um juristische Grundsatzprobleme oder Fragen.
Unterm Strich hat Herbert Kickl als Minister atmosphärisch sehr vieles zum Schlechteren verändert.
Weil er oft aufwiegelte und selten verbindend auftrat; weil er zu oft angriff statt verstehend zuzuhören.
Was ist inhaltlich von seiner Amtszeit geblieben?
Um es kurz zu machen: Die Liste auf der „Haben-Seite“ ist überschaubar.
Als erster Punkt ist unweigerlich die Affäre um den Verfassungsschutz, kurz BVT, zu nennen.
Selbst wenn man Kickls Rolle ausnehmend wohlwollend, weil strikt auf die Frage hin betrachtet, ob er seiner Rolle als Krisenmanager gerecht geworden ist, muss man festhalten: Gelungen ist hier wenig bis gar nichts. Das Ministerium hat durch den Monate währenden Konflikt – einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss inklusive – nicht nur Schaden genommen. Es ist zudem nicht absehbar, wie viele Jahre es dauert, ehe sich befreundete Nachrichtendienste aus dem Ausland wieder dazu durchringen, mit den Österreichern umfassend Informationen zu teilen.
Eines von Herbert Kickls ausgewiesenen Leuchtturm-Projekten, die berittene Polizei, wird angesichts von fehlenden Pferden, Personalproblemen und einer eher ungünstigen Kosten/Nutzen-Rechnung vom nächsten Ressortchef über kurz oder lang wohl eingestellt.
Und bis auf einige Verschärfungen im Asylrecht und eine erhöhte Anzahl an Abschiebungen waren in der Ära Kickl keine großen Reformen in der Exekutive zu verzeichnen.
Seine inhaltlichen oder politischen Errungenschaften sind es also nicht, die Herbert Kickl einen herausragenden Platz in der jüngeren Zeitgeschichte verschaffen werden.
Allerdings gibt es eine andere, unfreiwillige Premiere, die dafür sorgen könnte. Denn in der Zweiten Republik war der 50-jährige Kärntner der erste Bundesminister, der vom Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundeskanzlers entlassen wurde.
Das ist alles andere als eine Leistung. Im Falle des Herbert Kickls ist es aber irgendwie passend.
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo