Man will die Zivilgesellschaft aussperren
Ab 2021 sollen neben der Grundversorgung und Unterbringung von Schutzsuchenden auch die Asylrechts- und Rückkehrberatung in die Hände des Bundes wandern. Kritiker sehen den Rechtsstaat in Gefahr, wenn das Innenministerium über Anfechtungen seiner eigenen Bescheide berät. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Florian Bayer
Nur einen Tag bevor das Ibiza-Video an die Öffentlichkeit kam, beschloss der Nationalrat am 16. Mai das sperrig klingende „Bundesgesetz über die Errichtung der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen“ (BBU). Damit sollen große Teile des Flüchtlingswesens, etwa die Grundversorgung, die Unterbringung sowie die Rechts- und die Rückkehrberatung in eine staatliche Behörde überführt werden. Läuft alles nach Plan, soll sie spätestens ab 2021 die bisherigen Leistungsträger ersetzen. Das sind u.a. die ORS Service GmbH, die mit der Grundversorgung für geflüchtete Menschen beauftragt war, sowie die sozialen Hilfsorganisationen Diakonie und Volkshilfe, und auch der Verein Menschenrechte Österreich, der in der Beratung aktiv ist. Die Verstaatlichung des Asylwesens argumentierte die schwarzblaue Regierung damit, dass sie das “System Bundesbetreuung“ effizienter gestalten und eine „objektive Rechtsberatung“ gewährleisten wolle.
Die Regierungspläne, einen sensiblen Bereich wie den der Asylfrage unter ministerielle Aufsicht zu stellen, sorgten für einige Unruhe in der Zivilgesellschaft. Ein Minister, der Erstaufnahmezentren in „Ausreisezentren“ umbenennen ließ, wäre gegenüber der neu geschaffenen Bundesagentur weisungsbefugt und würde damit auch die Richtung des Unternehmens vorgeben. Mit dem vorzeitigen Ende von Schwarzblau ist vorerst auch die Umsetzung der Bundesagentur ins Stocken geraten. Die Verträge mit den NGOs laufen noch bis 2021, was aber vor allem damit zu tun hat, dass das Justizministerium von den Plänen des Innenministeriums wenig überzeugt war und das Projekt aufschob.
Objektivität schwer vorstellbar
Dass die neue Agentur für Objektivität sorgen würde, halten zahlreiche KritikerInnen indes für wenig glaubwürdig. Sie befürchten, dass diese mit der neuen Regelung vielmehr abgeschafft wird: „Wie kann jemand, der beim Innenministerium tätig ist, eine unabhängige Rechtsberatung leisten?“, fragt Christoph Riedl, der als Experte für Asyl, Integration und Menschenrechte bei der Diakonie arbeitet. „Selbst wenn die neue Behörde ausgelagert ist, untersteht sie dem Ministerium, das über die Besetzung des Aufsichtsrats und der Geschäftsführung auch die Ausrichtung der Stelle bestimmen kann“, so Riedl. Die Diakonie bildet gemeinsam mit der Volkshilfe Oberösterreich die ARGE Rechtsberatung, die gemeinsam mit dem Verein Menschenrechte Österreich die amtswegig zugeteilte Rechtsberatung in asyl- und fremdenpolizeilichen Verfahren durchführt. Ihre Aufgaben sind vielfältig: sie informieren die Schutzsuchenden, klären deren Perspektive auf Asyl bzw. subsidiären Schutz, sie begleiten sie bei der Einvernahme und bei den Verhandlungen und sie bieten eine rechtliche Vertretung bei der Anfechtung von Erstbescheiden. Gerade das ist besonders wichtig, denn im Asylbereich, in dem es um existenzielle Fragen für die Betroffenen geht, gibt es kaum Rechtssicherheit. 42 Prozent aller angefochtenen Entscheidungen, die das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) in der Erstinstanz trifft, sind mangelhaft. Das heißt, dass nahezu jeder zweite Bescheid abgeändert oder aufgehoben wird. Dies zeigte kürzlich eine parlamentarische Anfrage der NEOS auf.
Bricht man diese Zahlen auf einzelne Nationalitäten herunter, ist das Ergebnis nochmal erschreckender: 2017 lag die Zahl der aufgehobenen Bescheide bei Afghanen bei 66 Prozent, derzeit liegen sie mit 54 Prozent immer noch deutlich über dem Durchschnitt. Auch bei Menschen aus Somalia und Syrien ist die Fehlerquote überdurchschnittlich hoch. Warum ausgerechnet bei diesen Gruppen? Riedl glaubt nicht an einen Zufall: „Das BFA ist eine weisungsgebundene Behörde des Innenministeriums. Natürlich sind dortige Entscheidungen politische Entscheidungen.“
Dem beschlossenen BBU-Gesetz kann auch Silvia Zechmeister wenig abgewinnen. Die Bereichsleiterin für „Soziale Arbeit“ bei der Volkshilfe Wien hält es für „außerordentlich wichtig, dass Asylwerber Zugang zur Zivilgesellschaft haben und sich nicht nur im abgeschotteten System einer Bundesbehörde bewegen. In einer zentralen Stelle hat das Ministerium die absolute Kontrolle und volles Durchgriffsrecht.“ Auch eine Ersparnis, mit der die neue Bundesagentur begründet wird, kann Zechmeister nicht erkennen. Sie rechnet im Gegenteil mit höheren Kosten als jetzt.
Auch Christoph Riedl geht davon aus, dass eine verstaatlichte Stelle mindestens so teuer kommt wie die aktuelle Variante. Wohl auch deshalb, weil die NGOs derzeit ohnehin mit moderaten Beträgen vergütet werden, die die Kosten bei weitem nicht decken. So würden in der Wohnungslosenhilfe deutlich höhere Tagessätze für die Unterbringung bezahlt (23 bis 35 Euro pro Kopf und Tag), als in der Unterbringung von Flüchtlingen (aktuell: 21 Euro). Der Unterschied sei symptomatisch für den Stellenwert, den die Regierung dem Asylwesen beimesse, sagt Zechmeister.
Beschlüsse ohne Diskussion
Nicht grundsätzlich negativ sieht Günther Ecker, Leiter des Vereins Menschenrechte Österreichs, die BBU: „In der Bevölkerung gab es 2015 und 2016 das Gefühl eines Kontrollverlusts, weswegen es nachvollziehbar ist, dass die Regierung eine stärkere Kontrolle über Flucht und Migration haben möchte.“ Während Ecker der geplanten Unterbringung durch den Bund durchaus etwas abgewinnen kann, verstehe er die Bedenken bezüglich Rechts- und Rückkehrberatung. Wie Zechmeister und Riedl kann auch er dem Argument einer Kostenersparnis nichts abgewinnen: „Bereits bei der Privatisierung wurde argumentiert, damit werde alles effizienter und billiger. Nun, 16 Jahre später, ist angeblich wieder das Gegenteil billiger. Da stimmt etwas nicht.“ Generell vermisst Ecker eine dem Gesetzesbeschluss vorangegangene Debatte, insbesondere zu den behaupteten Mängeln bei der Rechtsberatung und wie diese auch ohne eine Verstaatlichung verbessert werden können. „So eine Diskussion gab es aber nicht.“ Diskutiert wurde auch die Verstaatlichung der Rückkehrberatung in Österreich nicht, diese sei ursprünglich auch gar nicht in Kritik gestanden. Sie bringe im Europavergleich mit den privaten Trägern Caritas und dem Verein Menschenrechte Österreich sehr gute Ergebnisse, so Ecker: „Mir ist kein anderes Land bekannt, in dem unabhängige NGOS eine derart gut aufgestellte Rechts- und Rückkehrbertung bieten wie in Österreich“.
Zu viele Fehlentscheide
Inzwischen hat sich die Lage insofern entspannt, als dass es bei den Asylverfahren keinen eklatanten Personalmangel mehr gibt. Das war längere Zeit ein Problem, erzählt Christoph Riedl, mittlerweile gäbe es mit rund 1.500 erstinstanzlich entscheidenden MitarbeiterInnen aber deutlich mehr Personal, als in Zeiten sinkender Asylanträge nötig wäre. Diesem fehle es aber mitunter an den nötigen Qualifikationen, glaubt Riedl, der das an den vielen Fehlentscheiden festmacht: „Das Ziel muss sein, schon in der ersten Instanz möglichst viele richtige Entscheidungen zu treffen. Wobei natürlich auch eine negative Entscheidung ‚richtig‘ sein kann, wenn sie gut begründet ist und einer Überprüfung standhält.“ Grund für die Fehlentscheide sind zumeist mangelhafte Ermittlungsverfahren, sodass das Berufungsgericht den Fall von Grund auf neu aufrollen muss. Die Fehlerquote müsse von derzeit über 40 auf deutlich unter zehn Prozent sinken, fordert Riedl: „Dann – aber auch nur dann – würde auch das politische Ziel von weniger Beschwerden erreicht.“ Voraussetzung dafür wäre eine unabhängige Rechtsberatung, quasi als Korrektiv und Ergänzung zu korrekt arbeitenden Behörden.
Ganz wesentlich ist, und darin sind sich alle drei befragten Organisationen einig, dass der Zugang zur Rechtsberatung und Vertretung vor Gericht frei und kostenlos bleiben muss. Die Diakonie betont auch eine österreichische Besonderheit: Dass der Rechtsvertreter auf Wunsch des Asylwerbers auch dann eine Beschwerde schreiben muss, wenn er von deren Erfolgsaussicht nicht überzeugt ist. In den meisten anderen europäischen Asylsystemen ist das nicht so. „Aber selbst in diesen Ländern muss die Entscheidung auf Aussichtsreichtum einer Überprüfung durch ein unabhängiges Gericht Stand halten“, sagt Riedl. Kein dem Ministerium unterstellter Rechtsberater könne diese Entscheidung treffen. Wenn aber in der zentralen Bundesagentur von vornherein Asylsuchenden eine Beschwerde ausgeredet würde, wäre das ein Bruch des geltenden europäischen Asylrechts, ist sich Riedl sicher.
Wie also wird es weitergehen? Im Moment deutet viel darauf hin, dass das Bundesagentur-Gesetz so umgesetzt wird wie beschlossen, dass also ab 2021 die geplante Bundesagentur ein Monopol auf die Betreuung, Rechts- und Rückkehrberatung von Asylwerbern haben wird. Die derzeitige Übergangsregierung wird dieses heiße Eisen vor den Neuwahlen Ende September eher nicht mehr anpacken. Riedl: „Wir und ein Gutteil der Zivilgesellschaft werden jedenfalls nach der Wahl darauf drängen, die BBU doch noch zu hinterfragen. Denn das Gesetz verfolgt ein Gesamtkonzept. Es geht ja nicht nur um die Rechtsberatung, sondern auch darum, die Zugänge zu den Betroffenen zu kappen. Man will die Zivilgesellschaft aussperren.“
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo