Haben Rechtens gehandelt
Sie hat als Kapitänin Eisbrecher im Polarmeer gelenkt und Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer gerettet. Carola Rackete wurde zur Symbolfigur einer humanitären Mission. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte.
Im Polarmeer manövrierte sie als Kapitänin Eisbrecher, die mehrere Meter dicke Eisschichten durchbrachen. Über das Satellitentelefon berichtete sie ihren Eltern live von ihrer riskanten Mission. Vater Ekkehart, ein ehemaliger Zeitsoldat und Mitarbeiter der „wehrtechnischen Industrie“ sagt dazu: „Sie steht für das, was sie für richtig hält. Natürlich macht es einen stolz.“ Der Spiegel titete „Heldin und Hassfigur“ und stilisierte die 31-jährige Kapitänin des Rettungsschiffes „Sea-Watch 3“ zur Gegenspielerin von Italiens Innenminister Matteo Salvini. In Interviews erweist sich die Frau aus Schleswig-Holstein als nüchtern denkende Person, die es gewöhnt ist, Verantwortung zu übernehmen. Auf das Rettungsschiff der Sea Watch habe sie nicht gedrängt, schreibt sie in einem Buch, sondern den Job übernommen, sofern sich keine besser qualifizierte Person fände. Und weiter: Tatsächlich gab es niemand, der „gleichzeitig blöd oder verrückt genug war, die Verantwortung für einen Einsatz zu übernehmen, den man weder kennt noch einschätzen kann.“
Absurde Logik
Das Mittelmeer ist zur politischen Kampfzone geworden. Ex-Kanzler Sebastian Kurz erklärte im Dezember vergangenen Jahres, die Mittelmeerroute für „de facto geschlossen“, sprach von „NGO-Wahnsinn“ und teilte die Linie Salvinis. Italiens Parlament beschloss vor wenigen Monaten Strafen von bis zu einer Million Euro für Kapitäne, die Menschen aus Seenot retten. Wer Widerstand gegen Beamte leistet, die Rettungsschiffe stoppen wollen, dem drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis. Präsident Sergio Mattarella muss allerdings noch unterschreiben. Das UNHCR übte scharfe Kritik an dem Gestzesvorhaben. In Europa fand ein Kurs wie dieser eine Zeitlang beachtlichen Zuspruch. Die von rechten Populisten vertretene These, wonach Hilfsschiffe wie ein Magnet wirken, bestätigte sich jedoch nicht. Die Flüchtlingszahlen gingen zwar zurück, aber die Anzahl der ertrunkenen Menschen erhöhte sich auf das Dreifache. Carola Rackete hält diese Logik für absurd und meint in einem Standard-Interview: "Das wäre ja so, als würde man behaupten, je weniger Personal es bei der Bergrettung gibt, desto weniger Unfälle gibt es am Berg." Zudem plädiert sie dafür, mit Zahlen vorsichtig umzugehen. Niemand wisse, so Rackete, wie viele Menschen in libyschen Lagern gestorben seien. Tatsächlich stecken geschätzte 500.000 Menschen in dem bürgerkriegszerrütteten Land fest. In jüngster Zeit vernimmt man aber auch andere Töne. Die deutsche Regierung fordert eine neue staatliche Seenotrettungsmission im Mittelmeer, so wie es sie vor Jahren mit der EU-Operation „Sophia“ gab. Während weiter über Verteilungsschlüssel gestritten wird, soll zumindest im Mittelmeer wieder eine Hilfsmission anlaufen.
Europas Verantwortung
Indes wurde Rackete vom Vorwurf freigesprochen, ohne Erlaubnis in italienische Hoheitsgewässer eingefahren zu sein. Wegen der Beihilfe zur illegalen Einwanderung und wegen des Widerstandes gegen Beamte wird weiter ermittelt. Das Verfahren läuft im sizilianischen Agrigent, wo Rackete bei den Vernehmungen ihre Sicht der Dinge erklären kann: „Ich bin überzeugt davon, dass wir rechtens gehandelt haben. Wir haben uns an das maritime Gesetz, Menschen in Seenot zu retten, gehalten.“ Rackete sieht auch Europa in der Verantwortung, das Afrika ausbeutet und Menschen die Lebensgrundlage entziehe. Die Klimaflucht würde die Verhältnisse weiter verschärfen. Ein Anwalt Racketes erklärte inzwischen, dass sie nicht mehr Teil des Sea-Watch-Teams sei und nach Deutschland zurückkehre, um sich neuen Aufgaben zu widmen. Das Schiff „Sea Watch 3“ liegt nach wie vor angekettet in Sizilien. Weniger Öffentlichkeit hat eine Kollegin Racketes, Pia Klemp, die zuvor ebenfalls die Sea Watch 3 lenkte. Der 35-jährigen Kapitänin aus Bonn drohen bis zu 20 Jahre Haft wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Klemp hält dem entgegen, dass sie mit ihren sechs Einsätzen rund 5.000 Menschen das Leben gerettet hat. (red)
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