Wir haben das Wissen
Es ist nicht zu spät, sagt die brasilianische Sprecherin der Indigenen, Sonia Guajajara. Wir können den Planeten retten, mit dem Wissen unserer Vorahnen. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte.
Ein Meilenstein für den Schutz der Natur: Im Jahr 2016 erklärte der Internationale Strafgerichtshof, dass er seine Kompetenzen neben Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf den Umweltschutz ausweiten werde, und zwar für eine „unzulässige Ausbeutung natürlicher Ressourcen“. Wer weiß, vielleicht ist Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro bald ein Kandidat, schon kurz nach seinem Amtsantritt kündigte er an, Schutzgebiete und Territorien der indigenen Bevölkerung für die wirtschaftliche Nutzung freizugeben. Zu prüfen wird sein, ob die Tausenden Brände, die im August im Regenwald loderten, für solche Interessen gelegt wurden. Mit Sonia Guajajara hat der rechtskonservative Politiker Bolsonaro zumindest auf der symbolischen Ebene eine wirkungsmächtige Gegenspielerin. Die 45-jährige Brasilianerin, selbst im Regenwald im nordöstlichen Bundesstaat Maranhão geboren, führt eine Bewegung der Indigenen an, die “Articulation of the Indigenous Peoples of Brazil“, die 300 verschiedene ethnische Gruppen des Landes vertritt. Guajajara ist eine der prominentesten indigenen Aktivistinnen Brasiliens, die Bolsonaro scharf kritisiert. Dessen Machismo, der Frauen als Objekte ansieht, und dessen Rassismus, der über den institutionellen Rassismus insofern hinausgehe, als er es gesellschaftlich legitimiere, anders über Indigene zu sprechen. „Früher wurden wir in der Gesellschaft ignoriert, so, als wären wir gar nicht vorhanden“, sagt Guajajara. Heute werde aber Stimmung gemacht, die sich auch in Gewalt entlädt. 2016 wurden 118 indigene Menschen ermordet, entweder aus rassistischen Motiven, die von der Regierung geschürt werden. Guajajara spricht von einem regelrechten Hate-Movement über Social Media, das 30 Jahre Kampf für die Rechte der Indigenen innerhalb eines halben Jahres fast zunichte machen würde. Oder es geht um die illegale Landnahme, für die Menschen getötet oder vertrieben werden, um Geschäfte der Agrarkonzerne, der Rinderfarmen und der Bauindustrie. „Der Präsident produziert so viele Verluste“, sagt die dreifache Mutter, „dass man noch gar nicht abschätzen kann, wohin das führt.“ Ein Konflikt, von dem Europa sich nicht distanzieren kann. Die Soja-Futtermittel für die Rinderzucht sind ein massiver Faktor, „Soja frisst Regenwald“ (Gobal 2000), das weiß heute jede/r. Während der Bedarf für Sojamilch und Sojaprodukte etwa in Österreich produziert wird, müssen die enormen Futtermengen für die Fleischindustrie importiert werden. Zwischen 2000 und 2010 verschwand eine Fläche Regenwald, die zweieinhalb mal so groß wie Österreich ist.
Eine Million von über 200 Millionen Menschen in Brasilien gehören indigenen Minderheiten an. Seit Bolsonaros Antritt wurden ihre Schutzgebiete dem Landwirtschaftsministerium unterstellt, ein klassischer Interessenskonflikt, in dem letztlich die Interessen der Wirtschaft deutlich stärker gewichtet sind. Das verhält sich ähnlich wie in einem Ministerium, das Umwelt und Landwirtschaft gleichermaßen vertritt. Theoretisch klingt das nicht unschlüssig, in der Praxis hat die Umwelt aber dann doch deutlich weniger Gewicht. In Brasilien heißt das etwa, dass über die Grenzziehungen der Territorien der Indigenen nun das Landwirtschaftsministerium entscheidet. Dabei geht es nicht nur um Umweltschutz und ökonomische Interessen, sondern um wertvollen Lebensraum. Sonja Guajajara sagt, „Für uns ist das Leben untrennbar mit der Natur verbunden. Wir haben über viele Generationen hinweg ein Wissen über die Natur, das niemand sonst hat.“ Tatsächlich wurde durch die Industrialisierung der Landwirtschaft seit den Sechziger Jahren viel Wissen verschüttet, das der ökologische Landbau wieder rekonstruiert. 2017 hat die US-amerikanische R&B-Sängerin Alicia Keys bei ihrem Konzert in Rio Sonja Guajajara auf die Bühne geholt. Für ihre kraftvolle Botschaft wurde sie vom Publikum gefeiert. Guajajara sagt, es ist nicht zu spät, wir können den Planet retten. „Wir brauchen nicht auf die Rückkehr der Apokalypse warten, wir können etwas tun, mit der Hilfe der Indigenen.“ (red)
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