Ein Werkzeug für kritisches Denken
Eine Frauenrechtlerin im erzkonservativen Umfeld der Golfregion: Musa bint Nasser, Stilikone und Ehefrau des früheren Emirs, setzt sich entschieden für Bildung ein. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte.
Sie verkörpert gleichsam die dramatischen Widersprüche der Golf-Region, in denen erzkonservative Kräfte den bemerkenswerten Aufbruch in die Moderne allerorts zu verhindern suchen. Musa bint Nasser, die zweite Ehefrau des ehemaligen Emirs von Katar, Scheich Hamad bin Khalifa al-Thani, vollführt dabei einen Balanceakt. Sie hat sich Bildung als Kernthema ihrer politischen Arbeit auf die Fahnen geschrieben und setzte in den vergangenen Jahren ungeahnte Schritte. Sie forcierte die Gründung einer Universität in Katars Hauptstadt Doha, ist seit Jahren Sondergesandte des UNHCR und setzt sich für die Unterstützung von Bildungseinrichtungen in ärmeren Staaten ein. Ein Schwerpunkt sind die Rechte von Mädchen und Frauen, „Educate a child“ ist eines der zentralen Programme für benachteiligte Kinder in der Welt. Beim World Innovation Summit 2011 Opening in Doha erklärte sie: „Ich bin überzeugt davon, dass Bildung ein Leben und auch die Gesellschaft verändern kann. Für die Jugend kann Bildung ein Werkzeug für kritisches Denken sein.“ Ein brisantes Ansinnen in einer absoluten Monarchie, in der der Ehemann der Sheikha erst wenige Jahre zuvor das allgemeine Wahlrecht eingeführt hatte. Bint Nasser, Tochter eines Oppositionellen, der mit seiner Familie vorübergehend das Land verließ, studierte Soziologie in Doha und hat an der Seite des Scheichs in einer Region, die einer demokratiepolitisch en Wüste gleicht, eine beispiellose Präsenz entwickelt. In Gesprächen erweist sie sich als hervorragende Rhetorikerin, die erahnen lässt, wie geschickt sie in ihrem konservativen Umfeld für ihre Ideen und ihre Aktivitäten wirbt.
Education City
Katar, eine Halbinsel von der Größe Oberösterreichs, ist eines der reichsten Länder der Welt. 2022 wird es die Endrunde der Fussball-WM ausrichten, europäische Firmen zogen Millionen-Aufträge an Land. Die Kritik an Arbeitsbedingungen und Menschenrechtsverletzungen begleiten die Vorbereitungen ebenso. Noch bis 1971 war Katar ein Protektorat Großbritanniens, zugleich unterliegt es aber dem Einfluss des mächtigen Nachbarn Saudi Arabien, dessen sektiererische wahhabatische Glaubensauslegung auch in Katar bestimmend ist. Vor 20 Jahren führte der Emir als Erster in der Golf-Region das aktive und passive Wahlrecht für Frauen auf kommunaler Ebene ein. Ein singulärer Schritt, der kein Bekenntnis zur Demokratie bedeutet. Mit Sheikha Musa bint Nasser betrat eine Frau die politische Bühne, wie sie bisher am Golf unbekannt war. Mit ihren hochhackigen Schuhen und engen, langen Kleidern, mal cremefarben, mal purpurot, wurde sie neben Michelle Obama zur Stilikone gekürt. Sie ist beim Empfang durch Papst Franziskus ebenso zu sehen wie bei Preisverleihungen. Die britische Queen sowie das US-Präsidentenpaar George und Barbara Bush zeichneten sie für ihre Bildungsinitiativen aus.
Die wichtigste Einrichtung Bint Nassers ist die Arab Democratic Foundation, die über ein beachtliches Budget verfügt. Mit der „Education City“, in der auch eine autonome Universität für 2.000 Studierende aus Katar und aller Welt errichtet wurde, will man sich international vernetzen und den Stellenwert von Bildung in Katar aufwerten. Die Lehrpläne sind autonom, der Campus wirkt in Doha wie ein Fremdkörper, heißt es. Es gibt aber auch kritische Stimmen zum Fond, wonach es Verbindungen zu Hasspredigern wie Youssef al-Qaradawi, einem Vordenker der Muslimbruderschaft, gibt. Er hetzt in seinen Reden gegen Juden, ruft zur Ermordung von Staatschefs und Muslime zur Eroberung der Welt auf. Das Middle East Media Research Institute (MEMRI) hat einige Aktivitäten und Zitate dokumentiert. Vergangenes Jahr soll Bint Nasser den 93-jährigen al-Qaradawi zum Rückzug aufgefordert haben, der inzwischen auch erfolgte. Für sie bedeutet ihr Engagement eine Gratwanderung, in vielerlei Hinsicht. (red)
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo