Meine Regenbogen-Maria steht für Liebe
Die polnische Regierung schlägt immer rauere Töne gegen Homosexuelle an und bezeichnet sie als pädophil, familienfeindlich und antipolnisch. Das schlägt sich auch in Taten nieder: Schwule und Lesben werden auf der Straße attackiert. Die Aktivistin Elżbieta Podleśna leistet in diesem schwierigen Klima wichtige Arbeit. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Florian Bayer
In der gegenwärtigen politischen Situation ist es schwierig, sich auf irgendetwas zu verlassen“, sagt Elżbieta Podleśna. Die 51-jährige Polin ist hauptberuflich Krankenschwester an einer psychiatrischen Klinik in Warschau und setzt sich 2015 als selbstständige Aktivistin für Frauenrechte, Antifaschismus und LGBT-Rechte ein. Mediale Aufmerksamkeit erhielt sie, als sie für mehrere Stunden wegen angeblicher Verletzung religiöser Gefühle festgenommen wurde. Ein Straftatbestand, der in Polen mit einem Strafausmaß von bis zu zwei Jahren geahndet wird. Das ließ sie, wie sie am Telefon erzählt, am polnischen Rechtsstaat zweifeln. Bereits seit Monaten hat Podleśna keinen Zugriff mehr auf ihren Laptop, seit diesen die Polizei im Zuge einer Wohnungsdurchsuchung von der Polizei beschlagnahmt hat.
Ihr Vergehen: Elżbieta schmückte ein Bild der „Schwarzen Maria“ des bekannten Wallfahrtsorts Częstochowa mit einem Regenbogenheiligenschein und protestierte damit gegen die um sich greifende Homophobie, die weite Teile der Kirche gutheißen und sogar schüren. Die Aktion sollte auch Pädophilie in der katholischen Kirche anprangern. „Meine Regenbogen-Maria steht für Liebe, Akzeptanz und Fürsorge. Die meisten polnischen Bischöfe stehen aber für das genaue Gegenteil, nämlich Pädophilie und das Totschweigen dieser Verbrechen“, sagt Elżbieta.
Polemik in den Medien
Der Zeitpunkt ihres Protests im Mai war nicht zufällig gewählt. Zwei kontrovers diskutierte Dokumentationen gingen viral und führten einem polnischen Millionenpublikum vor Augen, mit welchen Mitteln Kirchenmänner ihre pädophilen Vergehen kaschieren und ihre Macht gegen potenzielle Kritiker benutzen. Die Kirche spielte die Kritik herunter. Einmal mehr schien sie damit durchzukommen. Seit geraumer Zeit ist in Polen eine steigende homophobe Stimmung zu spüren. Für Podleśna ist das kein Zufall: „Die Regierung und zum Teil auch die Kirche haben Homosexuelle zu Staatsfeinden erklärt.“ Das ist auch dem Wahlkampf geschuldet, Polen wählt am 13. Oktober ein neues Parlament. Dienten im Wahlkampf 2015 noch muslimische Flüchtlinge als willkommenes Feindbild, sind es nun Homosexuelle, die als Sinnbild für alles, was Konservative am liberalen „Westen“ kritisieren, dargestellt werden. Ein Blick auf einige Cover polnischer Magazine verdeutlicht das. Auf einem erschlägt eine Abrissbirne in Regenbogenfarben den polnischen National-Adler. Zuletzt legte die überregionale „Gazeta Polska“ ihrer Auflage Sticker mit der Aufschrift „LGBT-freie Zone“ bei. Die Botschaft: Schwule und Lesben zerstören traditionelle Familien, sind pädophil und wollen das katholische Polen zerstören.
Um die Sticker entbrannte bald eine Diskussion, einige Tankstellenketten und Buchhandlungen entschieden sich, die betroffenen Ausgaben aus dem Verkehr zu ziehen. Und auch die polnische Zivilgesellschaft ließ nicht lange auf sich warten und startete den Twitter-Hashtag #JestemLGBT („Ich bin LGBT“), unter dem sich Tausende Polen und Polinnen von der Krankenschwester bis zum Uniprofessor als schwul oder lesbisch outeten. Und das unter der Angabe ihres Namens, ihres Fotos und ihres Berufs. Außer Vorurteilen hatte die rechte Twitterblase dem nicht viel entgegenzusetzen.
Ob es um das LGBT-Thema nach der Wahl wieder ruhiger wird? Elżbieta bezweifelt es. „Solange ich mich erinnern kann, gibt es eine latente Homophobie in Polen, die wie der latent vorhandene Antisemitismus jederzeit ausbrechen kann.“ Als eine von mehreren Ursachen sieht sie die Schule, die wenig Raum für alternative Denkweisen und Lebensentwürfe zulasse. Auf dieser Grundlage hätte die Allianz Politik und Kirche leichtes Spiel, Vorurteile zu schüren.
Prügel auf der Regenbogenparade
Elżbieta Podleśna lebt zwar schon seit mehr als 20 Jahren in Warschau, ist aber in Lublin aufgewachsen – einer Großstadt im Südosten Polens, die in einer strukturschwachen Region nahe der ukrainischen Grenze liegt. Im Oktober 2018 fand dort die erste Regenbogenparade mit 1.500 TeilnehmerInnen statt. Rund 200 gewaltbereite Hooligans attackierten sie mit Glasflaschen, Steinen und Fäusten. Die Szenerie erinnerte an ein Kriegsgebiet, die Polizei setzte schließlich Wasserwerfer und Tränengas ein. Zu ähnlichen Szenen kam es Ende Juli 2019 in Białystok im Nordosten Polens, wo AktivistInnen erstmals eine Regenbogenparade veranstalteten. Auch sie wurden gewaltsam attackiert. Podleśna erzählt, dass es dort bereits im Vorfeld Warnungen gegeben habe vor ansonsten rivalisierenden Hooligan-Clubs, die nun vereint die LGBT-Demo attackierten. Vom Ausmaß der Gewalt war selbst die demonstrationserfahrene Aktivistin überrascht.
„Tausende Stimmen haben geschrien 'Raus mit euch Perversen' und Schlimmeres. Sie haben uns Feuerwerkskörper vor die Füße geschmissen, uns mit uringefüllten Glas- und Plastikflaschen beworfen“, berichtet Elżbieta. „Von den Balkonen leerten die Leute ihre Mistkübel auf uns aus und bewarfen uns mit vollgeschissenen Babywindeln.“ Mütter und Väter haben vielfach ihren Kinder gezeigt, was sie von den Menschen hielten, die an ihnen vorbeigingen. Sie bespuckten und beschimpften die AktivistInnen. „Das waren ganz normale Leute, die uns am liebsten den Tod an den Hals gewünscht hätten.“ Hört man Elżbieta zu, erinnert man sich unweigerlich an die Anfänge des Faschismus der 1930er Jahre. Als der Demonstrationszug endlich in Bewegung kam, versuchten Dutzende Männer bei Nadelöhren der Route, einzelne DemonstrantInnen zu isolieren und zu attackieren. Mehrere minderjährige Mädchen wurden blutig geschlagen, auch Elżbieta und ihre Freunde wurden am Weg zu ihrem Auto angegriffen. Sie hatten glücklicherweise Pfefferspray dabei und konnten die Angreifer in die Flucht schlagen. Danach wollte sie nur noch raus aus der Stadt, sofort. Elżbieta kritisiert, dass viel zu wenig Polizei abgestellt war und dass sich diese recht passiv verhielt: Erst als Hooligans auch Polizisten attackierten, schritt sie ein. Auf die Beschwerden Elżbietas reagierte man nicht.
„Ich bin privilegiert, weil ich Hand in Hand mit meinem Partner gehen kann. Meine homosexuellen Freunde können das nicht, nirgendwo in Polen“, sagt Elżbieta. Trotz der schlimmen Erfahrung in Białystok will sich Elżbieta nicht einschüchtern lassen, schon stehen die nächsten LGBT-Demos vor der Tür. Derweil wartet die Krankenschwester noch auf das abschließende Urteil in der Causa Regenbogen-Maria, das zu einem Präzedenzfall werden könnte – für die Unabhängigkeit der Justiz, für das Verhältnis Religion vs. Staat und dafür, was der Zivilgesellschaft in Zeiten des autoritären Backlashs noch erlaubt ist.
Eine Petition von Amnesty International finden Sie hier:
www.amnesty.org/en/get-involved/take-action/poland-activist-elzbieta-podlesna
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