Soli für Sotoudeh
Die iranische Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh engagiert sich gegen Todesurteile für Minderjährige oder vertritt Frauen, die ihr Kopftuch in der Öffentlichkeit ablegen. Wegen ihrer Arbeit verurteilte sie das Revolutionsgericht zu 33 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Bianca Said.
Vor wenigen Wochen haben 14 Frauen im Iran dem Obersten Führer Ali Chamenei einen offenen Brief geschrieben und seinen Rückzug gefordert. Nach 40 Jahren dieser Theokratie brauche das Land eine gründliche Revision, die Gesellschaft gleiche einer „Gender Apartheid“ mit „patriarchalen Verhältnissen“. Und als wäre das nicht genug, heißt es am Ende: „Wie andere Pioniere gehen wir voraus und rufen „Nein zur Islamischen Republik“. Der Mut dieser 14 Aktivistinnen für Menschenrechte und für Frauenrechte ist nicht hoch genug einzuschätzen. Sie riskieren viele Jahre Gefängnis, was im Iran oftmals auch mit psychischer und körperlicher Folter einhergeht. Eine der Unterzeichnerinnen, die Menschenrechtsanwältin Giti Pourfazel, erklärte in einem Radiointerview, dass 20 Millionen Frauen im Iran hinter den Forderungen stünden, weshalb man die Frauen des Landes getrost als 15. Unterzeichnerin ansehen könne. In einem Kommentar schreibt Pourfazel: „Während in den meisten Staaten der Welt Frauen gemeinsam mit Männern die Wissenschaft, die Wirtschaft, die Kultur und Künste und die Politik weiterentwickeln, kämpfen die Frauen in der Islamischen Republik immer noch um ihre grundlegenden Menschenrechte.“
148 Peitschenhiebe
Die Islamische Republik Iran hätte die Voraussetzungen, eine funktionierende Demokratie zu sein – wäre da nicht das von Revolutionsführer Ruhollah Chomeini aufgepfropfte System des Velayat-e-faqih: ein Klüngel schiitischer Theologen steht über den Institutionen des Staates und hebelt diese aus, sobald sie zu unabhängigen Entscheidungen neigen. Sie verbieten regelmäßig kritische Zeitungen, disqualifizieren unbequeme KandidatInnen bei politischen Wahlen und lassen Frauen, deren Kopftuch zu locker sitzt, von Revolutionswächtern oder den berüchtigten Basiji-Freiwilligen drangsalieren. Auch wenn bei der Ankunft in Teheran am Flughafen Zöllnerinnen die Pässe der Einreisenden abfertigen und die Frauen des Landes generell deutlich selbstbewusster sind als in manch arabischer Gesellschaft; auch wenn 60 Prozent der Studierenden des Landes weiblich sind und obwohl westliche Medien bei den vielfältigen Protesten im Land schon öfters das Bröckeln der theokratischen Macht beschworen haben, so sitzen die Mullahs weiterhin fest im Sattel. Sie regieren mit eiserner Hand, sobald ihre patriarchale oder wirtschaftliche Vormachtstellung gefährdet ist. Dann statuieren sie wieder ein Exempel. Vergangenes Jahr wurde die Aktivistin Shaparak Shajarizadeh zu zwei Jahren Haft und 18 Jahren Bewährung verurteilt, weil sie während einer Demonstration das Kopftuch abnahm. Es gibt einige Juristinnen, die den heiklen Job übernehmen, Frauen wie sie vor Gericht zu verteidigen. Eine davon ist ist die Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh. Sie hatte mehrmals solche Fälle übernommen und sich auch mit anderen kritischen Statements zur Praxis der Theokratie exponiert. Am 11. März dieses Jahres verdonnerte man Sotoudeh zu 33 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben. Dass das System zurückschlagen würde, damit muss Sotoudeh wohl immer gerechnet haben. Bereits im Jahr 2010 war die Sacharow-Preisträgerin und Mutter mehrerer Kinder zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Als der eher zahnlose Reformer Hassan Rouhani zum Präsidenten gewählt wurde, ließ man sie nach drei Jahren wieder frei. Nun, nach dem jüngsten drakonischen Schuldspruch, mit der die Menschenrechte regelrecht verhöhnt werden, zeigt man sich weltweit mit Sotoudeh solidarisch. Eine Million Menschen aus 200 Ländern fordern in einer Petition ihre Freilassung. Derzeit wird sie im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran festgehalten, wo man ihr monatelang den Rechtsbeistand verwehrte. Kontakte nach außen ließ man nur sporadisch zu.
Lehnt Kaution ab
Sotoudeh selbst wandte sich ungebrochen mit einem Brief, den das deutsche Magazin „Emma“ abgedruckt hat, an alle MitstreiterInnen. Zu Beginn ihres Schreibens betont sie, dass sie lediglich ihre Arbeit als Anwältin gemacht habe und allein dafür vom Revolutionsgericht bestraft würde. Um das undurchsichtige Urteil transparent zu machen, listet sie Punkt für Punkt auf, wie das Revolutionsgericht zu den verhängten 33 Jahren kam. Darin heißt es: siebeneinhalb Jahre Haft wegen „Verschwörung zur Gefährdung der nationalen Sicherheit“; siebeneinhalb Jahre Haft wegen Beteiligung an einer Kampagne für die Abschaffung von Hinrichtungen; eineinhalb Jahre Haft wegen „Verleumdung des Systems“; zwölf Jahre Haft wegen „Korruption“ und „Förderung von Prostitution“; 74 Peitschenhiebe wegen des öffentlichen Auftretens ohne religiöse Verschleierung; drei Jahre Haft und weitere 74 Peitschenhiebe wegen „Verbreitung von Unwahrheiten“ zur „Aufwiegelung der öffentlichen Meinung“; und zwei Jahre Haft wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“. Eine abenteuerlich anmutende Ansammlung an Vorwürfen von einer aufmunitionierten Justiz. In der Praxis sieht das iranische Strafgesetzbuch vor, dass die schwerste Strafe als erste vollstreckt wird, das allein würde bereits 12 Jahre Haft bedeuten. Trotz des enormen psychischen Drucks, der auf Sotoudeh lastet, weigerte sie sich, zu den Gerichtsterminen zu erscheinen, um dem Gericht keine Legitimität zuzuerkennen. Als ihr Ehemann Reza Khandan eine Kaution von 150.000 Dollar auftrieb, lehnte Sotoudeh das ab und blieb in Haft. Die Standhaftigkeit dieser Frau ist es auch, die das Regime auf spektakuläre Weise herausfordert. Dabei steht Sotoudeh in einer langen Reihe von Anwältinnen, die sich nicht beugen. Manche, wie etwa Mehrangiz Kar, flüchteten nach zähem Kampf schließlich ins Exil nach Kanada und die USA, andere wie Shirin Ebadi blieben und setzen dabei viel aufs Spiel, das eigene Wohl und auch das ihrer Angehörigen. Ebadi, sie war die erste und eine der wenigen Richterinnen im Iran, erhielt 2003 als erste Muslima den Friedensnobelpreis. Eine Auszeichnung, die ein Mindestmaß an Rückhalt für ihre Arbeit verspricht.
Erfolgreich die Stirn geboten
Sotoudeh setzte immer wieder Zeichen. Im Oktober 2014 organisierte sie über mehrere Tage ein Sit-in vor der iranischen Anwaltskammer. Sie protestierte damit gegen die dreijährige Suspendierung ihrer Lizenz als Anwältin. KollegInnen unterstützten sie dabei. Tatsächlich erhielt sie ihre Berufserlaubnis zurück und hatte der Staatsmacht erfolgreich die Stirn geboten. Immer wieder sprach sich Sotoudeh auch sehr kritisch gegenüber der Rechtspraxis des Iran aus. In einem Interview thematisierte sie etwa die Hinrichtung Minderjähriger in der Islamischen Republik. Im Gespräch erklärt sie: „Mädchen werden in der iranischen Gesellschaft an ihrem 10. und Buben an ihrem 16. Geburtstag als erwachsen angesehen. Damit sind sie vor dem Gesetz auch strafrechtlich verantwortlich. Allein daran kann man erkennen, dass der Iran in Konflikt mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen gerät." Artikel 37 der Kinderrechtskonvention, die der Iran 1971 unterzeichnet hat, verbietet die Hinrichtung von Menschen unter 18 Jahren. Artikel 49 des islamischen Strafgesetzes sieht Kinder nicht als strafmündig an. "Warum die iranische Regierung diese gesetzlichen Regelungen nicht befolgt, müssen wir also die Regierung fragen.“ Es sind unbequeme Fragen, die Sotoudeh den Richtern, den Mullahs, den Politikern stellt. Diesen fällt es schwer, die Anwältin nach einem gängigen Muster als „Agentin des Westens“ hinzustellen, da Sotoudeh sich einerseits auf islamische Rechtsquellen und völkerrechtliche Konventionen beruft und andererseits Widersprüche der iranischen Rechtsprechung aufzeigt. Und sie versteht es, die Willkür der Justiz sichtbar zu machen, wenn sie schreibt: „Im Falle meines Urteils hat der Richter meine Verteidigung der ‚Mädchen der Revolutionsstraße’ sowie auch meine Niederlegung von Blumen auf dem Stromkasten auf der Revolutionsstraße als ‚Ausdruck von Korruption und Prostitution’ gewertet. Und er hat die Vernehmungen in meiner Abwesenheit und der Abwesenheit meiner Rechtsanwälte durchgeführt. Außerdem hat er die ‚Mädchen der Revolutionsstraße’ obszön beschimpft.“ Mit ihrer Beharrlichkeit wurde Sotoudeh zum Vorbild vieler junger Frauen. Da gibt es die Parkläuferin Mahsa Rezaie, die, weil man Mädchen aus den Turnsälen drängen möchte, ihre waghalsigen Manöver und Sprünge nun in öffentlichen Parkanlagen trainiert. Oder die jungen Frauen, die sich beim Radfahren filmen und das über Social Media verbreiten, seit Khamenei 2017 den Frauen das Radfahren untersagte. Oder die Frauen, die sich als Männer verkleiden, um ins Fussballstadion zu gehen, was ihnen seit 40 Jahren untersagt ist. Oder die iranischen Nationalspielerinnen, die sich für die Fussball-WM, den „Women’s World Cup“, im Juni in Frankreich qualifiziert hatten; die das Regime aber nicht fahren ließ. Die Kleinlichkeit der Mullahs schreit zum Himmel. Und auch wenn die vielen mutigen Proteste der Iranerinnen die Herrschaft der Mullahs nicht zu Fall bringen, so halten sie den Druck auf die Politik hoch. Das weiß auch Nasrin Sotoudeh.
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