Neues aus der Parallelgesellschaft
Österreichische Muslime werden oft als religiöse Fanatiker oder als Parallelgesellschafter porträtiert, den Durchschnitt sucht man vergeblich. Ein persönlicher und humorvoller Blick auf den Alltag einer wienerisch-muslimischen Suderantin. Kolumne von Nour El-Houda Khelfi
Auf Tunesien-Urlaub
Die Tickets für den heurigen Tunesien-Urlaub wurden bereits im Winter gebucht, die unzähligen Koffer sind gepackt, die noch unzähligeren Geschenke für Verwandte wurden natürlich als erstes eingepackt und jetzt warten nur noch mehr eine 18-Stunden-Autofahrt plus 21-Stunden-Schiffsfahrt auf uns. Zeit genug also, mich innerlich auf eine andere Mentalität einzustellen und all das, was hier in Österreich gerade schief läuft, und womit ich tagtäglich zu kämpfen habe, zu vergessen. Falsch gedacht.
Die internationale Ausländerin
Der Tunesien-Urlaub ist immer wieder spannend für mich. Dort merke ich jedes Mal, wie österreichisch ich eigentlich bin, während ich hier in Österreich manchen nicht österreichisch genug bin. Welche Ironie. Vor der Abreise habe ich sogar Lebkuchen gegessen. Bei 30 Grad. Im Juli. Ich bin österreichischer als Ihnen lieb ist, Herr Bundeskanzler.
Dabei gibt es in Tunesien ganz viele Situationen, welche die Wienerin in mir triggern, auch wenn ich mir jedes Mal vornehme, bei diesem Urlaub einfach meine tunesische Facette zum Vorschein zu bringen. Bei Rot stehen bleiben? Fehlgeschlagen. Ob Rot, Gelb oder Grün, den Ampeln wird dort nicht annähernd soviel Aufmerksamkeit geschenkt wie hier. Trotzdem hat sich eine Art ungeschriebenes Gesetz der Verkehrsregeln entwickelt, das wir Außenstehende nie begreifen werden. Den Bäcker dümmlich fragen, ob das Brot noch eingewickelt wird? Dann ernte ich verständnislose Blicke, bis es beim Gegenüber klick macht und schnippische Kommentare über mein Ausländer-Dasein gemacht werden. Als Entgegenkommen wird mir Zeitungspapier gereicht, weil meine mittlerweile abendländischen Hände das noch heiße Baguette kaum halten können. Bin ich jetzt unangepasst? Unintegriert? Verweigere ich damit die tunesische Leitkultur?
„Sie kommt aus Europa!!“
Leiwand, denk ich mir. In Österreich wirst du als Ausländerin abgestempelt, in Tunesien auch. Die Art wie ich rede, mich verhalte, reagiere, ja selbst wie ich aussehe – alles schreit nach „Sie kommt aus Europa!!“ Warum entscheiden andere darüber, wo ich mich dazugehörig fühlen darf? Ich suche mir aus, wo ich dazugehören will, nicht umgekehrt, selbst wenn ich mich zehn Nationen gleichzeitig verbunden fühle. Darüber kann niemand richten, beurteilen oder sonst was. Nachdenklich bleibe ich an einer Straßenkreuzung stehen, wo anscheinend einmal ein Zebrastreifen war. Eine gefühlte Ewigkeit stehe ich so da, weil ich im österreichischen Modus bin. Bis sich ein Autofahrer meiner erbarmt, stehen bleibt, sich rauslehnt und mehr feststellt als fragt, ob ich nicht von hier bin. Ich möchte gerne auf Wienerisch kontern, aber das steht außer Frage. Würde ich versuchen, das in den tunesischen Mischmasch aus Arabisch und Französisch zu übersetzen, kann ich mich gleich eingraben gehen, weil mich dann die ganze Straße auslachen würde. Und dann die komplette Ortschaft. Und dann werde ich endgültig als die Verrückte aus Wien abgestempelt, die nicht mal reden kann. Dann suder ich doch lieber in Wien. Denn da ist mein Großgoscherttum einwandfrei. Aber zurück in Wien muss ich mir wieder angewöhnen, bei Rot stehen zu bleiben und nicht mir-nichts-dir-nichts über die Straße zu rennen. Wir sind ja schließlich in Österreich und da macht man sowas nicht!!1!!11!!!
P.S.: Wenn Sie diese Kolumne lesen, stehe ich wahrscheinlich in Tunesien am Straßenrand und warte, bis irgendein Auto gnädig genug ist anzuhalten. Bis dahin hoffe ich, dass sich in Österreich eine Rücktrittskultur entwickelt und Kurz & Co zurücktreten. Wenn die unbedingt einen Sozialstaat zerschlagen möchten, dann bitte am eigenen Monopolybrett. Danke.
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo