Zurückgeschraubt wurde hier gar nichts
Bildungsminister Heinz Faßmann hat für den Herbst teils umstritten Neuerungen angekündigt. Neun Antworten zu Deutschklassen, Ganztagesschulen und Frühselektion. Fragen: Alexander Pollak, Gunnar Landsgesell
Das Bildungsministerium plant, die Finanzierung der Schulsozialarbeit drastisch zu reduzieren. Auch die Übergangslehrgänge für junge Asylsuchende und Asylberechtigte, die den Übertritt in die Oberstufe ermöglicht haben, sind von Einstellung bedroht. Und die Anzahl der Deutschförderstunden für jene Schulkinder, die Förderbedarf haben, soll von elf auf sechs Wochenstunden nahezu halbiert werden. Gleichzeitig will man separierte Deutschklassen für Kinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse schaffen, die im Herbst neu in die Schule kommen. In diesen Klassen soll zwischen 15 und 20 Wochenstunden Deutsch unterrichtet werden. Das heißt, Kinder, die neu ins Schulwesen kommen, erhalten zwar mehr Deutschstunden als bisher, allerdings in einer separierten, nicht-deutschsprachigen Umgebung. Während Kindern, die sich bereits im Schulsystem befinden oder aus einer separierten Deutschklasse ins Regelschulsystem wechseln, deutlich weniger Deutschförderung geboten wird. Das vom Bildungsministerium geplante Separierungsmodell ist – im Vergleich zu Sprachlern-Modellen anderer Länder – sehr starr und sieht nur wenige Stunden pro Woche Unterricht außerhalb der Deutschklasse vor. Ein Übertritt in die Regelklasse ist nur nach einem Sprachtest am Semesterende möglich. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Zeitverlustes deutlich. Zahlreiche DirektorInnen, LehrerInnen Sprach- und BildungsexpertInnen haben Kritik an diesem Modell geübt. Sie kritisieren auch die geplante Kürzung der Schulsozialarbeit und die drohende Abschaffung der Bildungsförderung für nicht mehr schulpflichtige Asylsuchende und Asylberechtigte.
Wir wollten Bildungsminister Faßmann zu seinen Plänen befragen. Da das Interview aus Zeitgründen wieder abgesagt wurde, haben wir das Angebot angenommen, die Fragen per Email beantworten zu lassen. (apo)
Das inklusive Sprachfördermodell der englischen Abraham-Moss-Schule wurde 2013 vom damaligen Integrationsstaatsekretär Sebastian Kurz sehr gelobt. Es sieht vor, dass Kinder, die kein Wort der Landessprache sprechen, 50 Prozent des Regelunterrichts besuchen und die restliche Zeit in Sprachförderklassen verbringen. Für Kinder, die sprachlich bereits fortgeschritten sind, erhöht sich der Anteil des Regelunterrichts sukzessive. Was können Sie diesem Modell abgewinnen? Und warum bevorzugen Sie die Entscheidung für ein starres Modell mit wesentlich weniger Anteil an Regelunterricht?
Unser vorgeschlagenes Modell der Deutschförderklassen greift genau die von Ihnen beschriebenen Elemente auf. Konzentrierte Förderung der Unterrichtssprache Deutsch, gleichzeitig Unterricht in weniger sprachsensiblen Fächern mit den gleichaltrigen Schülern und Schülerinnen, die schrittweise Reduktion der Deutschförderung und parallel dazu die Erhöhung des Anteils des Regelunterrichts. Und starr ist das Modell der Deutschförderklassen auch nicht, denn es gibt eine semesterweise Taktung. Das heißt: Sobald festgestellt wird, dass ein Schüler bzw. eine Schülerin dem Unterricht in der Unterrichtssprache Deutsch einigermaßen folgen kann, erfolgt die weitere Förderung in eigenen Deutschförderkursen und die umfangreiche Teilnahme am Unterricht in der Regelklasse.
Die Deutschförderung für jene Kinder, die nicht in separaten Deutschklassen sind, soll von elf auf sechs Stunden reduziert werden. Sie argumentieren, dass die elf Stunden nur auf dem Papier existiert haben, was Landeschulräten jedoch bestreiten. Warum überhaupt die Reduktion der Deutschförderung?
In den Deutschförderkursen kommt es zu einer Reduktion im Vergleich zu den derzeitigen Sprachförderkursen von elf auf sechs Stunden. Dagegen wird das Ausmaß der Deutschförderung in den Deutschförderklassen im Vergleich zu den bisherigen Sprachstartgruppen von elf auf 15 Stunden (bzw. 20 Stunden in der Sekundarstufe 1) erhöht. Von einer pauschalen Reduktion der Deutschförderung kann daher nicht gesprochen werden.
Eine Kritik am Modell der separaten Deutschklassen lautet, dass Kinder dadurch ein bis zwei Schuljahre verlieren. Was können Sie nicht-deutschsprachigen Eltern, die nur über geringe finanzielle Mittel und keinen hohen Bildungsabschluss verfügen und die nicht wollen, dass ihr Kind diese Zeit verliert, anbieten?
Wir haben in Österreich seit langem ein verfestigtes Kompetenzproblem im Bereich der Unterrichtssprache Deutsch. Rund 20 Prozent eines Altersjahrgangs sind außerordentliche Schüler, sie werden nicht benotet und steigen nur in Ausnahmefällen auf. Das „Verlieren“ von Schuljahren ist derzeit leider Realität, ein einfaches „Weiter-so“ erscheint mir nicht zielführend. Empfehlen kann ich die rasche Implementierung des Modells der Deutschförderklassen, aber auch das Lernen außerhalb des Schulgebäudes über kostenfreie Lernprogramme oder die Inanspruchnahme zivilgesellschaftlicher Aktivitäten.
Die frühkindliche Förderung ist ein wichtiges Thema, welche Maßnahmen sind in diesem Bereich geplant?
Die sprachliche Frühförderung ist enorm wichtig und wird auch bei den Verhandlungen zur nächsten Bund-Länder-Vereinbarung mit den Ländern eine Rolle spielen. Die Frage eines zweiten Gratis-Kindergartenjahres wird mit dem Familienressort und nicht zuletzt auch mit dem Finanzressort diskutiert.
Zum Thema Ganztagesunterricht: Gerade der verschränkte Ganztagesunterricht sowohl im Kindergarten als auch in der Schule ist ein wichtiges Element, um Spracherwerb zu fördern. Warum soll die Finanzierung des Ausbaus von Ganztageskindergärten und Ganztagesschulen gestreckt und damit de facto zurückgeschraubt werden?
Zurückgeschraubt wurde hier gar nichts, wir haben lediglich den Zeitplan geändert. Und das aus einem simplen Grund: Die Länder, die für den Schulausbau verantwortlich sind, haben die Förderungen nicht abgeholt, der Fördertopf wurde nicht ausgeschöpft. Wir haben also unseren neuen Zeitplan dem tatsächlichen Bedarf angepasst. Auch deshalb, damit keine Mittel verfallen und die Länder mehr Zeit haben, diese Anschubfinanzierung zu nützen.
Konsens gibt es unter den LehrerInnen und gewerkschaftlichen Vertretungen darüber, dass mehr Unterstützungspersonal an Schulen benötigt wird. Insbesondere die SchulsozialarbeiterInnen betreffend. Warum soll gerade in diesem Bereich gekürzt werden?
Im Bereich der Schulsozialarbeit wird mein Ressort durch Umschichtungen bis zum Ende des Schuljahres 2018/2019 in der Lage sein, einen Teil der bestehenden Programme weiterzuführen. Darunter fallen etwa Mobile interkulturelle Teams. Diese Ressourcen fallen also nicht schlagartig weg, aber es gilt dennoch das Problem substantiell zu lösen. Und dabei ist auch eine Klarstellung notwendig: Die Finanzierung des Unterstützungspersonals wie Schul-
sozialarbeiter ist die Aufgabe der Schulerhalter und damit der Länder im Bereich der Pflichtschule. Außerdem ist eine klare Beschreibung der Aufgaben der begleitenden Schulsozialarbeit nötig. Darüber existieren sehr unterschiedliche Vorstellungen.
Welche Schritte wollen Sie setzen, damit alle jungen Asylsuchenden und Asylberechtigten, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind, einen Bildungsplatz erhalten? Werden Sie sich dafür einsetzen, dass auch junge Asylsuchende, deren Verfahren ja oft mehrere Jahre dauern, von der Ausbildungspflicht erfasst werden?
Wie im Regierungsprogramm vorgesehen, werden wir an einer Bildungspflicht arbeiten. Dabei ist es wichtig, dass die Steigerung des Anteils an Pflichtschulabsolventinnen und -absolventen angestrebt wird. Im Zusammenhang mit der Bildungspflicht werden wir ein Konzept erarbeiten, wie diese mit der Ausbildungspflicht Hand in Hand gehen kann und wie bestimmte Zielgruppen erfasst werden sollen.
Werden Sie die so wichtigen Übergangslehrgänge für junge Asylsuchende und Asylberechtigte an AHS und BMHS ausreichend finanzieren, damit sie auch im Schuljahr 2018/19 fortgeführt werden können?
Nach dem momentanen Stand laufen diese Lehrgänge gemeinsam mit dem Ende des Integrationstopfes III aus. Wir sind bemüht, durch Umschichtungen einen weiteren Erhalt zu ermöglichen.
Sie sagen, Sie wollen Schulsegregation verhindern. Heißt das, dass Sie der Frühselektion von Kindern im Alter von zehn Jahren kritisch gegenüberstehen?
Schulsegregation im Generellen ist eine Folge der Wohnsegregation und das wiederum hängt mit Stadtplanung und Wohnungsneubau zusammen. In dem Punkt darf man nicht zu linear denken. Außerdem bin ich dafür, dass Schülerinnen und Schüler nach ihren Talenten, Begabungen und Stärken gefördert werden und den jeweils für sie passenden Weg einschlagen können.
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