Die Enttäuschten
Islamismus, Nationalismus und Mobbing sind Alltag an Wiens sogenannten Brennpunktschulen, sagen verzweifelte PädagogInnen. Und wie erleben das die Jugendlichen selbst? Ein Lokalaugenschein.
Text: Birgit Wittstock, Illustrationen: P.M. Hoffmann
Die SoziologInnen Kenan Güngör und Caroline Nik Nafs befragten 2016 für eine Studie im Auftrag der Stadt Wien 401 Jugendliche zu ihrer Lebenslage. Das Ergebnis: Ein Drittel der Jugendlichen aus Wiener Jugendzentren gilt als radikalisierungsgefährdet. Sie hätten „positive Gefühle gegenüber extrem religiösen Menschen und Menschen, die für ihren Glauben in den Krieg ziehen“, heißt es in der Studie; sie wären homophob und antisemitisch.
Seither haben sich auch immer mehr PädagogInnen an Medien gewandt und von Radikalismus und Islamismus an Schulen berichtet – an sogenannten Sozialen Brennpunktschulen, meist Neue Mittelschulen (NMS) mit hohem Migrationsanteil.
Laut Statistik Austria sprechen 73 Prozent der Schülerinnen und Schüler an den Wiener NMS nicht Deutsch als Umgangssprache.
Was meinen Sie mit Brennpunktschule?
Will man mit den Jugendlichen an diesen Schulen reden, um zu erfahren, wie sie die Lage selbst sehen, merkt man: Man ist vorsichtig geworden. Gespräche ja gerne, heißt es von Direktion und Stadtschulrat, aber nur völlig anonymisiert. Weder die Jugendlichen, noch die Schule sollen zu erkennen sein. Sitzt man ihnen dann im Sesselkreis gegenüber, und hört ihnen zu, wie sie sich mit wütenden Stimmen und provokanten Aussagen gegenseitig zu übertrumpfen versuchen, wird klar: Man muss die Jugendlichen vor sich selbst schützen.
Auf die Frage, wie es ihnen damit gehe, SchülerInnen einer sogenannten Brennpunktschule zu sein, lautet die Gegenfrage: „Was meinen Sie mit Brennpunktschule?“ Dass sie Mittelpunkt medialer Debatten sind, haben die Burschen und Mädchen nicht mitbekommen. Seit dem Mord an dem siebenjährigen Mädchen in Döbling sind einige Tage vergangen und der mutmaßliche Täter, ein 16-jähriger Tschetschene, beschäftigt die Jugendlichen. Oder besser gesagt, die Berichterstattung, und wie die auf ihre Communities abfärben könnte: „Es werden immer verschiedene Gruppen verdächtigt. Zum Beispiel heißt es bei Vergewaltigungen immer – jetzt nicht gemein gemeint – die Zigeuner und die Afghanen waren es. Bei Messerstechereien sind’s die Muslime. Es werden immer verschiedene Kulturen vorgeschoben“, sagt ein Mädchen, das Kopftuch trägt. Ihre knapp ein Jahr jüngere Schwester, die neben ihr sitzt, trägt ihre langen, gelockten Haare offen. „Weil ich Hochzeiten sehr schön finde und eine schöne Frisur zu meiner Hochzeit tragen möchte“, sagt sie. „Danach werde ich auch Kopftuchmafia.“ „Kopftuchmafia“, so spotteten anfangs manche Klassenkollegen, als ihre Schwester vor drei Jahren mit Hidschāb in die Schule kam.
Fühle mich hier nicht zuhause
„Als ich begonnen habe, das Kopftuch zu tragen, hatte ich eine Hose mit etwas langem darüber an“, erzählt die 15-Jährige. Dann sei sie in die Direktion gerufen worden, wo erklärt wurde, so werde sie künftig nicht mehr ins Schwimmbad gehen, keine Arbeit finden, und sich nicht mit Freunden treffen können. „Obwohl nichts von dem gestimmt hat, denn ich kann immer noch ans Meer oder einen See gehen, oder Burkini tragen. Es gibt sehr viele Rassisten, die haben Angst vor Frauen, die Kopftuch tragen. Wegen dem Terror, der hat unserem Ruf geschadet.“
Von Rassismus wird an diesem Vormittag noch oft die Rede sein – dabei hätten sie untereinander diesbezüglich keine Probleme: „Hier sind wir ja fast alle Ausländer.“ So fühlen sie sich, obwohl der Großteil von ihnen in Österreich geboren ist, sie österreichische Pässe besitzen und als ihren kleinsten gemeinsamen Nenner „die Sprache“ angeben: „Wir sprechen alle Deutsch, denn kaum einer kann die Muttersprache des anderen, also unterhalten wir uns auf Deutsch. Die Muttersprache sprechen wir zu Hause.“
Warum fühlen sich aber dennoch so viele dieser Jugendlichen als Ausländer? „Ich fühle mich hier nicht zu Hause. Ich finde eigentlich, dass dieses Land schirch ist“, sagt eine 12-Jährige. „Die Menschen da draußen provozieren uns.“
Zu den „Menschen da draußen“ zählen auch schnell mal jene herinnen: die paarwenigen österreichischen Klassenkollegen und die Lehrerinnen und Lehrer. „Wir haben immer Fetz mit den Österreichern in der Klasse“, sagt einer der Burschen.
„Die beleidigen unsere Religion, unsere Mütter und alles, was es gibt. Einer sagt, dass alles im Koran erfunden ist, dass die Propheten nicht echt sind, die Engel nicht existieren. Ich hab gesagt „hör auf damit, ich will nicht dein Land beschimpfen, denn dann bin am Ende ich Schuld.“ Die Mutter, das war zu viel. „Sie hat mich neun Monate im Körper getragen. Da geht es um die Ehre.“ Geendet habe die Geschichte in der Direktion, da „wo dauernd Unterschiede zwischen den Österreichern und uns gemacht werden.“
Wappen und Flaggen
Es gebe Schüler, die haben Pullover mit dem Österreichischen Wappen oder Kreuzen darauf und da würde keiner etwas sagen, erzählt einer der Buben. „Aber wir werden gleich in die Direktion geschickt. Einer von unseren Mitschülern hatte unlängst ein T-Shirt an, auf dem „Proud to be a Sikh“ stand und er wurde gezwungen, das T-Shirt umzudrehen, bis die Schule vorbei war.“
Wappen und Flaggen sind ein wichtiges Thema hier: In der Eingangshalle der Schule hängen kleine Papierfähnchen – die Herkunftsländer aller Schülerinnen und Schüler. Doch auch die sorgen für Ärger: Bei der österreichischen Flagge stehe ein Zettel, der zu Respekt mahnt, und dass man die Flagge nicht abreißen soll. „Nur bei der Österreichischen. Bei den anderen Ländern nicht“, klagt eines der Mädchen.
„Wir haben schon unseren Nationalstolz, also in Bezug auf die Länder, wo unsere Eltern herkommen“, erklärt ein 13-Jähriger. „Wie sollen wir uns integrieren, wenn uns eh keiner hier haben will?“
Einer der Buben erzählt, er habe auf seinem Handy ein Foto von sich gehabt, auf dem er mit drei Fingern „so gemacht“ habe und streckt Daumen, Zeige- und Ringfinger weg, als würde er eine Drei anzeigen. Dass die Tschetniks, die serbischen Freischärler, den „serbischen Gruß“ im jugoslawischen Bürgerkrieg als Erkennungsmerkmal benutzten und ihm die Kriegsverbrechen anhaften, davon weiß er nichts. „Das bedeutet Serbien“, meint er. Er wurde in die Direktion geordert, man sagte ihm, er müsse das Foto löschen. „Man hat mein Land beschimpft als Terroristen. Dabei ist das nur das serbische Reich und Tschetniks und so.“
Die Eltern wurden vorgeladen. Und dann ist da noch das Thema Israel, das die Jugendlichen beschäftigt. „Trump sagt nichts zu Israel aber zu den Muslimen schon. Jeder weiß, dass Israel ein brutaler Irgendwasstaat ist. Die haben die Palästinenser angegriffen, dort sind über 2.000 Menschen gestorben und Trump sagt nichts dazu“, behauptet ein 12-Jähriger. Die Korrektur, dass es bei den jüngsten Zusammenstößen im Gazastreifen 52 Tote und an die 2.400 Verletzte gab, registriert er mit einem Schulterzucken. „Aber trotzdem: Die sollen nicht anderen antun, was sie selbst erlebt haben.“
Gruppendruck und Kopftuch
Es sind vor allem die Burschen, die laut durcheinanderreden. Wie geht es den Mädchen? Als alle wieder in ihre Klassen gehen, bleibt ein Mädchen zurück. Sie wollte nicht vor allen anderen erzählen. Das Kopftuch trage sie freiwillig. „Meine Schwestern tragen alle Kopftuch und da habe ich mich ohne das Kopftuch irgendwann allein gefühlt.“ Anfangs sei es ihr unangenehm gewesen und wirklich recht machen könne man es ohnehin nie allen – irgendjemand würde sie immer kritisieren. In Turnen etwa. Es sei so heiß gewesen, dass sie die Weste auszog, mit der sie sonst ihren Körper verhüllt. „Es war ja auch niemand da, der mich sehen könnte.“ Eine muslimische Klassenkollegin hätte sie deswegen kritisiert. „Dabei trägt sie selbst kein Kopftuch.“ Pause. „Ich fühle mich nicht wohl“, sagt sie dann. Denn was ihr derzeit richtig Sorgen mache, sei das geplante Kopftuchverbot an Schulen. Wenn das komme, würde ihre Familie Österreich verlassen. „Ich will hier nicht weg.“
Birgit Wittstock ist Journalistin aus Wien und schreibt für den Falter im Ressort Stadtleben.
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