"Wir machen da kein großes Thema draus"
"Ich muss mich immer ärgern, wenn ich ihn in den Medien sehe", sagt Erika Tiefenbacher über ihren Kollegen Christian Klar und grinst. Sie leitet die NMS Schopenhauerstraße im 18. Bezirk, er die NMS Deublergasse in Floridsdorf. Ein Streitgespräch über den richtigen Umgang mit Problemen.
Interview: Melisa Erkurt, Fotos: Karin Wasner
Bevor wir anfangen, eine Frage vorab: Kriegen Sie Ärger von oben, wenn Sie sich in unserem Gespräch kritisch äußern?
Christian Klar: Stadtschulratspräsident Heinrich Himmer ist ein sehr offener Gesprächspartner. Früher war das sicher schwieriger, aber spätestens seit Czernohorsky ist das lockerer geworden. Ich äußere mich ja oft kritisch in den Medien, bisher gab es keine Konsequenzen.
Dann fangen wir doch gleich mit dem derzeit emotional aufgeladenstem Thema rund um Schule an: Das Kopftuchverbot an Kindergarten und Volksschule. Wie stehen Sie dazu?
Erika Tiefenbacher: Ich finde das Verbot an Kindergärten und Volksschulen gut. Dass so junge Mädchen Kopftuch tragen müssen, steht nicht im Koran. Das deutet auf fundamentalistische Eltern hin, die das den Kindern aufzwingen.
Klar: Ich bin für ein Kopftuchverbot während der gesamten Pflichtschulzeit. Der Großteil der Mädchen trägt es wegen dem Gruppendruck, nicht weil es die Eltern wollen. Ich erlebe oft, dass die Eltern gar nicht wollen, dass ihre Töchter Kopftuch tragen, weil sie wissen, dass sie ohne bessere beruflichen Chancen hätten. Aber die Mädchen wollen es tragen, weil sie glauben, dass sie sonst von muslimischen Gleichaltrigen ausgelacht oder belästigt werden.
Frau Tiefenbacher, sind Sie auch für ein Kopftuchverbot für 10- bis 14-Jährige?
Tiefenbacher: Ich würde es an der NMS akzeptieren, aber ich mische mich nicht gerne ein. Es gibt an unserer Schule Mädchen, die tragen ein Kopftuch, andere legen es wieder ab – wir machen da kein großes Thema draus.
Ist es denn überhaupt so ein großes Thema? Wie viele Mädchen tragen an Ihrer Schule Kopftuch?
Tiefenbacher:: Circa 20 Prozent.
Klar: Bei uns sind es weniger. Ungefähr zwei bis drei pro Klasse.
Tiefenbacher: Das finde ich spannend. Bei dir gibt es weniger Kopftuchträgerinnen, aber mehr Probleme als bei mir an der Schule. Ich glaube, das liegt daran, dass du es zum Thema machst. Ich finde lieber gleich Lösungen, statt mit den Problemen in die Medien zu gehen. Neulich wollte ein muslimisches Mädchen nicht mitturnen, weil sie meinte, ihr T-Shirt wäre zu kurz, daraufhin habe ich ihr einfach ein längeres gegeben und sie hat mitgeturnt: Problem gelöst.
Klar: Ich suche auch Lösungen, ich mache aber die Probleme klar, damit auch der Stadtschulrat sieht, dass es welche gibt und handeln kann. Wir haben mit muslimischen SchülerInnen nicht täglich Probleme, aber die Einzelfälle, die die Haltung der Kinder zeigen, werden über die Jahre gesehen mehr. Vor allem der Gruppendruck wird stärker und das bespreche ich. Beim Schulpicknick haben wir zum Beispiel an alle SchülerInnen Jausensackerl verteilt. Plötzlich hat einer „haram“ (Anm: im Islam verboten) geschrien und dann haben auf einmal alle „haram“ gerufen und keiner wollte die Jause mehr essen. Wenn einer sich dafür entscheidet, die Jause nicht zu essen, ist das okay, aber er soll keinen Druck auf die anderen ausüben.
Tiefenbacher: Das sind aber Einzelfälle. In 14 Jahren hatte ich einen Fall, und der ist schon Jahre her, wo ein Schüler den anderen gesagt hat „Du bist nur dann ein guter Moslem, wenn du das und jenes tust.“ Anstatt Verbote aufzustellen, sollte man mit denen reden, die Druck ausüben. Wir kriegen das Kopftuch nicht aus dem Straßenalltag raus. Wenn die Schule ein geschützter Raum wird, wo niemand mehr Kopftuch trägt, wie sollen die Jugendlichen dann draußen akzeptieren, wenn andere Kopftuch tragen? Wir müssen sie zur Toleranz erziehen.
Würde ein Verbot nicht auch dazu führen, dass muslimische Mädchen in private islamische Schulen gehen würden?
Klar: Das ist keine schlechte Lösung. Wenn man sich so von den anderen unterscheidet, soll man in private islamische Schulen gehen. Es würde ihnen in der öffentlichen Schule auch nicht gut gehen. Dafür gibt es private Schulen. Ich habe selbst eine Zeit lang an einer privaten jüdischen Schule unterrichtet. Öffentliche Schulen sollten ein religionsfreier Raum sein.
Tiefenbacher: Aber die Mädchen werden damit doch von der Öffentlichkeit ferngehalten. Man hat immer Angst vor dem, was man nicht kennt. Die Fremdenfeindlichkeit würde zunehmen, die Leute würden sich fragen: „Was machen sie in ihren Privatschulen, hinter verschlossenen Türen?“
Klar: Ich glaube nicht, dass es viele wären, die in eine private islamische Schule gehen würden. Der Großteil würde sich bei einem Verbot an die Regeln halten und froh sein, den Druck ein Kopftuch tragen zu müssen, losgeworden zu sein. Man kann nie mit allen solidarisch sein. Ich bin lieber solidarisch mit den liberalen Muslimen und halte sie von dem Druck der Konservativen fern.
Tiefenbacher: Mir steht es da nicht zu, zu urteilen. Mir fehlt bei den Muslimen der Einblick. Ich weiß nicht, wer da die Guten und die Schlechten sind. Ich versuche die SchülerInnen zu Toleranz zu erziehen und ihnen beizubringen, dass ein Kopftuch kein Kriterium dafür sein darf, wie man jemanden einschätzt.
Am 16. Mai beginnt der Fastenmonat Ramadan. Wie gehen sie mit fastenden SchülerInnen um?
Klar: Wir stimmen unseren Jahreskalender darauf ab, also so, dass der Fastenmonat nicht auf das Sommerfest oder den Schulball fällt, weil wir wollen, dass alle kommen. Bei Projekttagen versuchen wir gemeinsam mit dem Islam-Lehrer den Eltern und SchülerInnen zu erklären, dass man auf Reisen laut Koran nicht fasten muss. Man merkt allerdings, dass die, die fasten, in der Schule sehr müde und nicht so leistungsfähig sind. Da gibt es bei Schularbeiten auf einmal große Leistungsunterschiede. Aber wenn sich jemand individuell entscheidet zu fasten, ist das für mich okay. Andere dürfen aber nicht als Weichlinge dargestellt werden, wenn sie nicht fasten. Auch hier ist der Gruppendruck hoch. Viele fasten, weil sie nicht wollen, dass die anderen sie schief anschauen.
Tiefenbacher: Es ist der persönliche Ehrgeiz der Kinder zu fasten. Sie werden nicht von den Eltern gezwungen. Ich muss akzeptieren, wenn die Kinder dann nicht auf Projekttage mitgehen.
Klar: Man muss das nicht akzeptieren. Ich habe lange gebraucht, um diese konsequente Haltung selbstbewusst zu vertreten. Vor Jahren hat sich eine Schülerin von mir vollverschleiert. Ich habe zunächst beim Stadtschulrat versucht, Unterstützung zu holen, aber keine Antwort bekommen. Irgendwann habe ich mit ihrem Vater gesprochen. Der wusste nicht einmal, dass seine Tochter vollverschleiert war und war mir dankbar, dass ich ihm das gesagt habe. Aber wenn man Haltung zeigt, wird man oft ins rechte Ecke gestellt.
Tiefenbacher: Das stimmt nicht. Du bringst Ausnahmesituationen derart plakativ, dass sich dann ganz Wien darüber das Maul zerreißt und alle Angst bekommen. Ich habe in 14 Jahren ein einziges Mädchen gehabt, das darauf bestanden hat, dass es in der Schule beten darf. Das war schon das Außergewöhnlichste Muslime betreffend.
Also gibt es eigentlich gar keine Probleme mit muslimischen SchülerInnen?
Klar: Bei uns schon. Zum Beispiel den extremen Antisemitismus muslimischer SchülerInnen. Ein muslimisches Mädchen hat sich geweigert, das Wort „Judentum“ in den Mund zu nehmen, weil es unrein sei. Und die muslimischen Burschen sind sehr homophob.
Tiefenbacher: Alle Burschen zwischen zehn und vierzehn finden Homosexualität pfui. Das hat nichts mit Muslimen zu tun.
Als Conchita Wurst den Songcontest gewonnen hat, haben alle SchülerInnen darüber diskutiert. Man muss diese Anlässe dazu nehmen, um mit den SchülerInnen über diese Themen zu diskutieren. Das gehört aber nicht gleich in den Medien thematisiert, das sind schließlich nur Ausnahmen. Schlägereien dürfen auch nicht sein, aber wenn sie vereinzelt passieren, bringt man die nicht gleich in die Medien. Da sagt man: „Das ist nun leider einmal passiert und aus.“ Ausnahmen, Muslime betreffend, werden sofort ausgehängt.
Klar: Man kann es bei sich lassen oder öffentlich thematisieren, in der Hoffnung, dass Regelungen kommen, die LehrerInnen da entlasten.
Eine Regelung kommt ja nun fix: eine Mindeststrafe von 110 Euro für das Schulschwänzen. Wie finden Sie das?
Klar: Erziehung funktioniert mit Strafe und Konsequenzen. Wenn überall in der Klasse Sonnenblumenkerne herumliegen, ist es angebracht, dass man von den Kindern, die den Schmutz verursacht haben, verlangt, das zu reinigen.
Tiefenbacher: Das kannst du ja. Dafür brauchst du keine Regelung. Da hole ich mir die Eltern und sage ihnen, was ihr Kind gemacht hat. Die haben mir bisher immer ihr Einverständnis gegeben und das Kind musste als Konsequenz putzen oder nachsitzen.
Klar: Ein kleiner Teil der Eltern sagt dann aber, mein Kind darf nicht bestraft werden. Da hast du dann das Gesetz.
Tiefenbacher: Das ist so selten der Fall. In 14 Jahren hatte ich noch nie Eltern, die mir bei einer Konsequenz nicht ihr Einverständnis geben wollten.
Klar: Ich wünsche mir einfach Rückhalt vom Gesetz.
Tiefenbacher: Dem Kind ist das wurscht, ob ein Gesetz dahinter steht. Es geht darum, wie ich als Direktorin mit diesen Situationen umgehe. Das Kopftuchverbot und die Schulschwänzer-Strafen sind nur ein Ablenken von den tatsächlichen Problemen. Wie viele Probleme haben wir mit Schule schwänzen tatsächlich? Ich habe zwei SchulschwänzerInnen in der ganzen Schule.
Klar: Ich habe fünf bis zehn.
Tiefenbacher: Wir fangen am falschen Ende an. Wieso reden wir über das Schulschwänzen und nicht darüber, wie sich die Regierung die Deutschklassen vorstellt? Wie werden wir das organisieren? Ich hätte gerne eine Prioritätenliste der Themen, die von der Regierung aufgrund der Aktualität besprochen werden.
Klar: Dass wir noch nicht wissen, wie das mit den Deutschklassen gelöst wird, ist ein Riesenproblem. Das heißt aber nicht, dass Schulschwänzen nicht existiert. Für die zehn SchulschwänzerInnen an meiner Schule würde ich gerne einen neuen Versuch schaffen, damit sie regelmäßig in die Schule kommen.
Was steht denn auf Ihrer Prioritätenliste?
Tiefenbacher: Eine Quote für außerordentliche SchülerInnen (Anm: SchülerInnen, die noch nicht ausreichend Deutsch beherrschen, um benotet zu werden) an Gymnasien. Ich habe in der Klasse zwölf Kinder, die in der ersten Klasse außerordentlich waren, da fällt die Integration schwer. Ich hätte gerne die Diskussion darüber, wieso die Konzentration an manchen Schulen so hoch ist.
Wären Deutschklassen für eben diese außerordentlichen SchülerInnen eine gute Lösung?
Tiefenbacher: Nein, das hat man schon bei den Flüchtlingsklassen gesehen. Die Kinder sind unter sich geblieben und ihre Deutschfortschritte waren minimaler als bei denen, die Deutschkurse besucht haben und immer wieder in ihren Stammklassen unterrichtet worden sind. Die Deutschklassen sind nicht durchdacht, die SchülerInnen sollen nach einem halben Jahr in die Stammklassen zurückgeführt werden, aber die Klassen sind da ja schon voll.
Klar: Ich sehe das anders. Ich habe selbst so etwas wie Deutschklassen geschaffen, indem ich Sprachkurse zusammengelegt habe und in den Stammklassen Plätze für diese Kinder freigehalten habe. Ein halbes bis ein Jahr in einer Deutschklasse zahlt sich aus.
Kinder lernen die Sprache auch über soziale Kontakte. Wären Ganztagsschulen da nicht eine bessere Lösung?
Klar: Ganztagsschulen wären ein wichtiger Schritt für Kinder, die nicht so gut Deutsch können. Derzeit geht es aber in die falsche Richtung und macht den Spalt nur größer. Da die Ganztagsschule aktuell etwas kostet, besuchen sie Kinder, die aus sozial besseren Verhältnissen kommen und deren Eltern sich das leisten können. Die, die eine Ganztagsbetreuung eigentlich dringend brauchen, können sich diese nicht leisten. Die Ganztagsschule müsste kostenlos sein.
Jetzt sind außerordentliche SchülerInnen nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Kinder, die hier geboren und aufgewachsen sind. Wie kommt es zu den Sprachdefiziten bei diesen Kindern?
Tiefenbacher: Wir müssen mehr Ressourcen in die Volksschulen stecken. Wenn die Kinder lesen, schreiben und rechnen können, profitieren wir alle davon. VolksschullehrerInnen sollten zu zweit arbeiten. Derzeit bekommen die LehrerInnen Druck von engagierten Eltern, die ihre Kinder unbedingt an die AHS schicken wollen. Die Lehrperson fördert diese Kinder dann besonders, weil sie Druck von den Eltern bekommt. Deshalb kann sie aber die Defizite der schwachen SchülerInnen nicht nachholen, deren Eltern eben nicht dahinter sind und keinen Druck machen.
Klar: Ich bin fürs Wiederholen der Schulklassen in der ersten Schulstufe, aber nicht mehr in der dritten und vierten Klasse. Da werden nur überaltrige Kinder produziert. In der Ersten wird die Basis gelegt. Wenn sie das nicht verstehen, müssen sie die erste Klasse Volksschule eben wiederholen, ansonsten werden sie den Stoff nicht mehr aufholen können.
Wäre eine Gesamtschule hier der richtige Weg, da würde der AHS-Druck erst mal wegfallen?
Tiefenbacher: Darüber brauchen wir nicht diskutieren. Die kommt sowieso nicht. Die Gesamtschule ist politisch für die nächsten Jahre gelaufen.
Was würden Sie sich denn von der Bildungspolitik wünschen?
Tiefenbacher: Die versprochene Schulautonomie.
Klar: Genau. Aber nicht die, die in der Bildungsreform steht, sondern die richtige, die bei DirektorInnen, LehrerInnen und Kindern ankommt. Derzeit ist es so, dass zum Beispiel Suspendierungen von der Schule nur beantragt werden können, entschieden wird darüber von der zuständigen Pflichtschulinspektorin. Auch die Einteilung von Gruppen oder Doppelbesetzungen (Team-Teaching) ist großteils vorgegeben. Das könnte man vertrauensvoll den Standorten selbst überlassen.
Wenn Sie unzufrieden sind, wieso gehen Sie nicht auf die Straße und streiken?
Tiefenbacher: Wenn wir streiken, heißt es wieder: „Die faulen Lehrer!“
Klar: Man glaubt den Lehrern nicht, dass sie sich für die Sache einsetzen. Der Großteil wird Lehrer, weil er das Beste für die Kinder will. Würden wir streiken, würden es heißen „na schon wieder die Lehrer“.
Tiefenbacher: Außerdem, wogegen sollen wir streiken? Wir wissen ja noch nicht einmal, was das nächste Schuljahr offiziell bringt. Die neue Regierung redet viel, aber es ist zu uns noch nichts Offizielles durchgedrungen. Kommen tatsächlich so viele Veränderungen? Es hieß, der Integrationstopf wird gestrichen, aber ich weiß nur, dass er noch bis zum 30. Juni da ist. Wie es weitergeht, wissen wir nicht. Bei wem sollen wir uns dann überhaupt aufregen?
Melisa Erkurt ist Chefreporterin und Chefin vom Dienst beim transkulturellen Magazin „biber“. Im Rahmen des Schülerprojekts „Newcomer“ beschäftigt sie sich schon länger mit Jugendlichen an so genannten Brennpunktschulen.
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