Neues aus der Parallelgesellschaft
Österreichische Muslime werden oft als religiöse Fanatiker oder als Parallelgesellschafter portraitiert, den Durschnitt sucht man vergeblich. Ein persönlicher und humorvoller Blick auf den Alltag einer wienerisch-muslimischen Suderantin. Text: Nour El-Houda Khelifi
Anti-Expertin
Eins vorweg: ich bin hier nicht als Expertin da. Keine Islamexpertin, keine Kopftuchexpertin, keine Integrationsexpertin. Denn momentan wimmelt es in diesem Land nur von Experten, lautstarkes und medienwirksames Kritisieren anderer, ohne jemals mit ihnen gesprochen zu haben. Ist die einfachste und auch fadenscheinigste Art sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Das ständige Pauschalisieren und Diffamieren bringt uns keinen Schritt weiter, im Gegenteil.
Wir reden nur noch mehr aneinander vorbei, jeder lebt in seiner eigenen Blase, was unerwünscht ist, wird indirekt rausgedrängt. Ich möchte Sie, als Leserin und Leser in meine Lebensrealität einführen. Einen Einblick gewähren in meine Welt als Journalistin, Studentin, Hobbykünstlerin und Favoritnerin mit tunesischen Wurzeln. Ach ja, und als Muslimin eben auch. Sie merken, Identität kann man sehr schlecht an nur einem Faktor festmachen. Denn Identität setzt sich aus vielen Komponenten zusammen. Nationalität, Heimat, Sprache, Glaube, Hobbys, Freunde, und, und, und.
Genau diese Vielschichtigkeit gilt es zu zeigen. Repräsentation spielt da zum Beispiel eine sehr wichtige Rolle. Die ist aber im Moment nicht vorhanden, wenn wir mal die Medien unter die Lupe nehmen, die eine Vorbildfunktion einnehmen. Die österreichischen Medien, oder besser gesagt die Redaktionen entsprechen heutzutage ja kaum noch der demografischen Realität. Dabei wäre genau dieser Punkt ein wichtiger Ansatz, um der Entstehung von Parallelgesellschaften vorzubeugen. Mehr Inklusion und adäquate Repräsentation.
Nicht-bio-österreichische Jugendliche, die ihresgleichen nicht in den Medien vertreten sehen, werden eben auf Medien zurückgreifen, wo das eben der Fall ist. Und dieser Medienkonsum besteht dann hauptsächlich aus Kanälen aus dem Heimatland der Eltern. So entstehen dann unter anderem Parallelgesellschaften. Weil niemand gerne in Kreisen verkehrt, in denen er nicht erwünscht ist oder nichts mitzureden hat.
Suderantin vom Dienst
In einigen Redaktionen, in denen ich bis heute aktiv bin, war ich für viele meiner Kolleginnen und Kollegen die erste muslimische Frau – und auch noch mit Kopftuch – mit der sie jemals persönlich in Kontakt getreten sind. „Seid Ihr jetzt die Parallelgesellschaft?“, war mein erster sarkastischer Impuls. Wir haben die Situation mit Humor genommen, aber dennoch waren wir uns alle einig: Wie kann es möglich sein, in einer so bunten Stadt wie Wien keinen gut durchmischten Freundeskreis oder kein ebensolches Netzwerk zu haben? Das wäre ja genauso, wie wenn ich keinen einzigen autochthonen Österreicher kennen oder in meinem Freundeskreis haben würde. Das wäre absurd. Deswegen versuche ich mir immer wieder im Gespräch mit meinen Kolleginnen und Kollegen ins Gedächtnis zu rufen: Wieviel haben ihre eigenen Lebenswelten mit meiner zu tun? An wen können sie sich wenden, wenn sie mit unbekannten Lebensrealitäten oder mit gesellschaftlichen Entwicklungen am Arbeitsplatz konfrontiert werden, wenn ich da nicht arbeiten würde? Und müsste nicht die Mehrheitsgesellschaft ein Stück entgegenkommen? Auch ich musste mal auf diese Erkenntnis stoßen, um dementsprechend entspannt und informierend in solchen Situationen zu reagieren. Ansonsten verfalle ich immer in meine alten Muster – ich fange an zu sudern. Und als g’standene Wienerin führt da auch leider kein anderer Weg daran vorbei.
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