Roter Touch bei der blauen Heimatpartei?
Eine rote-blaue Koalition ist so wahrscheinlich wie seit 30 Jahren nicht mehr. Doch spricht dafür mehr als taktisches Kalkül? Was SPÖ und FPÖ in der Sozialpolitik eint – und was sie trennt. Text: Gerald John
Für eine jahrzehntelange politische Feindschaft ist die Nachred‘ erstaunlich freundlich. „Lieber eine Koalition mit der SPÖ als mit der ÖVP“, bekennen FPÖ-Politiker in Hintergrundgesprächen. In einer solchen Konstellation bliebe eher der „internationale Shitstorm“ erspart, heißt es, außerdem ließen sich die spannenderen Ministerämter erben. Mehr Handschlagqualität hätten die Sozialdemokraten ebenfalls, außerdem stimme die „Chemie“: FP-Chef Heinz-Christian Strache könne mit Christian Kern einfach besser als mit Sebastian Kurz.
Auch vice versa stehen die Zeichen längst nicht mehr nur auf Ablehnung. Im Burgenland regieren die Roten mit den Blauen, und im Bund hat die SPÖ diese Variante, um sich nicht ausschließlich der ÖVP auszuliefern, entgegen früherer Bekenntnisse prinzipiell eröffnet. Das heißt noch lange nicht, dass es nach der Nationalratswahl am 15. Oktober tatsächlich zu einer rot-blauen Koalition kommt. Aber die Chancen stehen – ein entsprechendes Wahlergebnis vorausgesetzt – so gut wie seit 30 Jahren nicht mehr.
Inhaltliche Schnittmengen?
Doch abseits taktischer und atmosphärischer Motive: Gibt es auch inhaltliche Schnittmengen zwischen den beiden Parteien, gerade in der für Sozialdemokraten entscheidenden sozialen Frage? Manche Genossen glauben, dass auf diesem Gebiet mit den Freiheitlichen mehr gehen könnte als mit der wirtschaftslastigen ÖVP, andere sehen bloß verkappte Neoliberale.
Für beide Ansichten gibt es Anhaltspunkte: Denn in der Sozial- und Wirtschaftspolitik pendelt die FPÖ zwischen den Extremen hin und her. Über Jahrzehnte fuhr die FPÖ, traditionell eine Partei der Anwälte, Ärzte und auch Hoteliers, auf wirtschaftsliberalem Kurs. Dies blieb erst einmal auch unter Jörg Haider so. Als Gegenpol zur sozialpartnerschaftlichen großen Koalition propagierte die FPÖ Privatisierungen, Deregulierung und eine Flat Tax, die Gutverdiener massiv von Steuern befreit hätte.
Um neue WählerInnen zu ködern, stilisierte sich Haider aber auch zunehmend zum Robin Hood der Entrechteten – und stieß so den blauen Aufstieg in der Arbeiterschaft an.
Dies galt auch für die Zeit der schwarz-blauen Regierung ab dem Jahr 2000 – rhetorisch. Tatsächlich zahlte für das Prestigeprojekt des Nulldefizits im Budget aber der „kleine Mann“ die Zeche, analysierte der damalige Wifo-Chef Helmut Kramer: „Die Konsolidierungsmaßnahmen trafen und treffen besonders die Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen.“ In der Folge gab es zwar eine Steuersenkung, doch nach fünf schwarz-blauen Jahren stiegen ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen laut Rechnung der Arbeiterkammer mit einem Minus aus. Für die Unternehmen belegte die Bilanz hingegen eine satte Entlastung.
Das Gefühl, von Industrie und ÖVP „gelegt“ worden zu sein, hatte sich auch in den freiheitlichen Reihen ausgebreitet – eine Triebfeder für den Funktionärsaufstand von Knittelfeld, der Partei und Regierung ins Chaos stürzte. Strache selbst distanziert sich immer wieder von der einstigen schwarz-blauen Linie: Unter seiner Obmannschaft sei die FPÖ eine „ganz andere“ Kraft.
FPÖ: Nein zu Erbschafts- und Vermögenssteuern
Als „soziale Heimatpartei“ verkaufen sich Strache und die Seinen heute. Sie bekämpfen im Gleichklang mit linken Globalisierungskritikern Freihandelsabkommen, lehnen die Ausweitung der Höchstarbeitszeit auf generell zwölf Stunden pro Tag ab und würden den Koalitionspartner wohl auch nicht mit dem ewig wiederkehrenden Ruf nach einer Pensionsreform nerven: Diesbezügliche Forderungen beschränkten sich analog zur SPÖ bislang auf die Kürzung von „Luxuspensionen“. Gegenüber ArbeitnehmerInnen präsentiert sich die FPÖ spendabel, vom Mindestlohn bis zur Familienbeihilfe gilt: Es soll immer noch ein bisschen mehr sein. Erhöht der Sozialminister die Ausgleichszulage für einen Teil der Bezieher auf 1.000 Euro, setzen die Blauen einen drauf und verlangen eine Mindestpension für alle von 1200 Euro.
Allerdings tut sich eine oppositionelle Protestpartei leicht, Finanzierungsfragen nonchalant zu übergehen – und so fordert Strache nicht nur soziale Wohltaten, sondern auch breite Entlastungen. Zwar spricht er davon, die Gruppenbesteuerung, einen lukrativen Vorteil für Konzerne, abzuschaffen; doch generell will die FPÖ Steuern massiv zurückfahren.
Den Herzenswunsch der roten Basis wollen die Freiheitlichen folglich nicht erfüllen: Zu Erbschafts- und Vermögenssteuer sagen sie ebenso strikt Nein wie die ÖVP. Die Registrierkassenpflicht für Gewerbebetriebe, für die SPÖ ein wichtiger Schritt gegen Steuerbetrug, würde Strache in der Regierung am liebsten wieder abschaffen, gegen die Aufweichung des Bankgeheimnisses hat er vehement opponiert.
Wirtschaftsliberal versus Sozialstaat
Für entlarvend hält der Ökonom Stefan Schulmeister diese Positionen. Neoliberaler Geist stecke vor allem hinter der von der FPÖ propagierten Senkung der Steuer- und Abgabenquote von 44 auf 40 Prozent der Wirtschaftsleistung. Zwar habe die Verwaltung da und dort Speck angesetzt, doch zum Großteil seien die vielzitierten „Strukturreformen“, die Strache zur Gegenfinanzierung verspricht, „eine ideologische Fata Morgana“, sagt Schulmeister: „Am Ende zahlen jene drauf, die auf Leistungen des Staates angewiesen sind.“
Im Kern wiederhole sich die Geschichte: „Die FPÖ spricht für die Kleinen, macht aber Politik für die Großen – und ist zu geschickt, um das zu erkennen zu geben“, urteilt Schulmeister, dem nur ein Unterschied zur früheren Strategie ins Auge sticht: Anders als Haider, der die „Fleißigen und Anständigen“ beschworen hat, halte sich Strache bei Sozialschmarotzerdebatten zurück. Man will ja nicht die Arbeitslosen im eigenen Elektorat vergrätzen.
Für Bürger mit ausländischem Pass gilt das allerdings nicht: Das blaue Prinzip, Ausländer quer durch das Sozialsystem zu benachteiligen, ist eine weiterer Widerspruch zu sozialdemokratischen Prinzipien. Der Spruch „Unser Geld für unsere Leut‘“ ertönt zwar auch an der roten Basis, doch ein großer Teil der Funktionärs- und Führungsschicht – zumindest westlich des Burgenlandes – vertritt diese Haltung bisher nicht. Beim Streit über die Mindestsicherung blieb die Bundes-SPÖ beim Nein zu selektiven Kürzungen für Flüchtlinge.
Ein absolutes No-Go für die SPÖ:
Der Wirtschaftsflügel der FPÖ forderte, von den Kollektivverträgen, die ArbeitnehmerInnen Rechte und Lohnniveau garantieren, abzurücken. Eine reine Gedankenspielerei, die nicht Parteilinie sei, versicherte Strache bereits, doch eines zeigt die Episode: eine Kluft zwischen proletarisch gefärbten Kadern im Osten und dem in Richtung Westen dominanteren Unternehmertum.
Zuletzt schlug das Pendel, wohl auch aus Wahltaktik, mehrmals in die wirtschaftsliberale Richtung aus.
So stellte Strache die Pflichtmitgliedschaft für die Kammern in Frage – eine Provokation für die an der Sozialpartnerschaft hängenden Sozialdemokraten. In eine ähnliche Kategorie fällt, dass die FPÖ Barbara Kolm, Leiterin des strikt marktgläubigen Hayek-Instituts, als Kandidatin für den Rechnungshof nominierte.
Wie das zur sozialen Heimatpartei passt? Auf den Spuren des Ökonomen Friedrich August von Hayek, der im Sozialstaat den „Weg zur Knechtschaft“ beginnen sah, wolle die FPÖ keinesfalls wandeln, sagte Generalsekretär Herbert Kickl unlängst im Standard: „Wir sind bestimmt keine Neoliberalen, sondern wollen einen Sozialstaat auf hohem Niveau.“ Schlägt sich dieses Ziel nicht mit den Plänen, Steuern und Abgaben um mehr als zehn Milliarden zu senken? „Nur wenn man das dogmatisch verblendet sieht“, glaubt Kickl: Zurückgestutzt gehöre der Staat dort, wo sich dieser nicht auf Hilfe beschränke, sondern „die Menschen besachwaltet und in die Abhängigkeit treibt“.
Ob all das als Grundlage für einen rot-blauen Pakt taugt? Dies wird sich wohl erst herausstellen, wenn konkrete Koalitionsverhandlungen anstehen. Dass Parteien dabei mitunter sehr flexibel mit früheren Bekenntnissen umgehen, hat im Jahr 2000 gerade die FPÖ bewiesen – allerdings in eine Richtung, die Sozialdemokraten nicht gefallen konnte.
Gerald John ist Innenpolitikredakteur der Tageszeitung „Der Standard“.
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