Gandhi, der Rassist
SONDERECKE. Einer der populärsten Menschen hat zwei Geschichten: Ikone des friedlichen Widerstandes und rassistische Persona non grata. um die Ecke gedacht mit Philipp Sonderegger, Illustration: Petja Dimitrova
Von meiner Schulzeit an zählte für mich Mahatma Gandhi zu den Lichtgestalten des Weltgeschehens. Meine Generation blickte zu ihm auf. Schon als 19-Jähriger setzte er sich über das indische Kastenwesen hinweg und schiffte nach London ein, um Recht zu studieren. Als junger Anwalt verschlug es ihn nach Südafrika, wo er wegen seiner Hautfarbe aus dem Zug geworfen wurde. Der Vorfall stachelte ihn an, eine Organisation gegen Diskriminierung aufzubauen. Zurück in Indien führte er das Land in die Unabhängigkeit von den britischen Kolonialherren und setzte auf Versöhnung zwischen Muslimen und Hindus. Er vertrat Menschenrechte für Frauen und Unberührbare, mit Taktiken des zivilen Ungehorsam wurde er schon zu Lebzeiten zur Ikone des gewaltfreien Widerstandes. Doch Gandhi wird nicht überall so verehrt. In der ghanaischen Hauptstadt Accra erwirkten unlängst ProfessorInnen und Studierende die Entfernung eines Gandhi-Denkmales vom Uni-Campus. Das Monument wurde erst im Juni im Beisein des indischen Präsidenten Pranab Mukherjee enthüllt, um die Verbundenheit der beiden Länder zu bekräftigen. Die GegnerInnen der Statue verweisen auf Ausführungen Gandhis, in denen er eine Überlegenheit von InderInnen gegenüber AfrikanerInnen behauptet und letztere auch noch mit einem rassistischen Schmähbegriff bedenkt. Tatsächlich wurde Gandhi auch erschon von namhaften indischen Intellektuellen kritisiert. Unter anderem, weil sein Kampf gegen die Apartheid weniger den Schwarzen als seinen indischen Landsleuten galt. Nun kann man Menschen zugestehen, dass sie im Laufe ihres Lebens klüger werden und auch in der zweiten Hälfte noch dazu lernen können. Gandhi ist sicher auch ein gutes Beispiel dafür, dass die Heldengestalten der globalen Populärkultur mehr über unsere Art zu Denken aussagen, als über die Wirklichkeit. Besonders bemerkenswert finde ich jedoch, wie stark die Geschichtsschreibung selbst in einer globalisierten Welt noch divergieren kann. Wie kann einer der populärsten Menschen weltweit zwei verschiedene Geschichten haben? Immerhin findet sich im deutschsprachigen Wikipedia ein Hinweis auf die Rassismus- Vorwürfe. Ein Denkmalsturm erschiene in Österreich aber unwahrscheinlich. Das hat nicht zuletzt mit dem Stellenwert des Antirassismus hierzulande zu tun. Mit Ausnahme des Holocaust ist diese Perspektive aus der Geschichtsschreibung weitgehend verdrängt und im öffentlichen Bewusstsein ist sie marginalisiert. Mit dem Ergebnis, dass so a bissl Rassismus bei uns noch lang keinen zu Fall bringt. Schon gar keinen wie Gandhi.
Philipp Sonderegger ist Menschenrechtler, lebt in Wien und bloggt auf phsblog.at
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