Abholzen im Namen der Nachhaltigkeit
Palmöl-Firmen, die erst den Regenwald abholzen und dann mit Monokulturen am Emissionshandel verdienen – subventioniert von EU und UNO: Einen nachhaltigen Kapitalismus gibt es nicht, sagt Kathrin Hartmann. Für ihr aktuelles Buch „Aus kontrolliertem Raubbau“ recherchierte die deutsche Journalistin die Komplizenschaft von Wirtschaft und Politik, die es den großen Konzernen ermöglicht, sich im Namen der Green Economy die letzten natürlichen Ressourcen zu sichern. Interview: Johanna Müller
Reden wir zunächst über das Palmöl: Sie beschreiben in Ihrem Buch sehr eindrücklich, wie das Gütesiegel des Runden Tisches für Nachhaltiges Palmöl (RSPOSiegel) dazu beiträgt, dass noch mehr Regenwald abgeholzt wird. Kann man sich auf Gütesiegel gar nicht verlassen?
Kathrin Hartmann: Das Siegel des RSPO ist für mich exemplarisch für die Green Economy: Anstatt etwas zu verändern, legitimiert man ein sozial und ökologisch schädliches System mit einem Nachhaltigkeitssiegel. Man sichert sich zugleich den Zugriff auf den Rohstoff. Als ich mich auf die Suche nach dem angeblich nachhaltigen Palmöl machte, das im europäischen Biodiesel steckt, habe ich in Indonesien ein Ausmaß der Zerstörung gesehen, das mich erschüttert hat. Ich habe das nachhaltige Palmöl nirgends gefunden – wohl aber für Palmöl-Monokulturen zerstörte Natur, vertriebene Kleinbauern, Gewalt gegen Indigene und Sklavenarbeit auf den Plantagen.
Es gibt diesen Runden Tisch schon seit zehn Jahren. Gibt es überhaupt keine Verbesserungen?
Nein, illegale Abholzung und Menschenrechtsverletzungen der Palmölfirmen stehen nach wie vor an der Tagesordnung. Die vermeintlichen Verbesserungen nützen vor allem den Ländern des Nordens: Wenn Palmölfirmen beispielsweise ihre Abwasserbecken überdachen lassen, damit kein Methan in die Luft gelangt, erhalten sie dafür Zertifikate, mit denen sie am Emissionshandel mitverdienen können. Es ist eine weitere Verwertung der Zerstörung. Mit dem RSPO-Siegel erfüllen die Konzerne sogar die verbindlichen Nachhaltigkeitskriterien der EU.
Die Naturschutzorganisation WWF sitzt ja auch am Runden Tisch und weist Teile des Regenwaldes als geschützt aus. In Ihrem Buch schildern Sie aber, dass das etwa Kleinbauern enteignet. Sind solche Schutzmaßnahmen von vorne herein Pseudoaktionen?
Erstens muss man sich fragen, warum der WWF gemeinsam mit den Palmöl-Unternehmen die Definitionshoheit darüber haben soll, welcher Wald schützenswert ist und welcher nicht. Zweitens sind die geschützten Flächen meist kein zusammenhängender Wald, der Wildtieren als Lebensraum dienen kann. Kleinbauern und Indigenen ist die Nutzung oft nicht mehr erlaubt. Das ist „Green Grabbing“. Drittens gibt es keine Sanktionen des RSPO für Mitglieder, die illegal oder in geschützten Gebieten Wälder abholzen. In zehn Jahren wurden lediglich zwei Firmen ausgeschlossen, wobei die eine freiwillig den RSPO verlassen hatte.
Die Arbeitsbedingungen auf den Plantagen prüft unter anderem der TÜV Rheinland für den RSPO. Sie beschreiben die Zustände auf den Plantagen als katastrophal. Wie kommt es zu den positiven Prüfergebnissen?
Der TÜV Rheinland ist ein gewinnorientiertes Unternehmen, das von den Firmen für deren Zertifizierung und Kontrollen bezahlt wird. Ich habe einen Zertifizierungsprozess auf einer Plantage in Nordsumatra beobachtet. Die Prüfung war wochenlang vorher angekündigt und die Prüfer sehen sich offenbar nur den Teil der Plantage an, der für die Prüfung vorbereitet war. Würden sie nur eine halbe Stunde in die Plantage reinfahren, stünden sie in den Slums, wo die Arbeiter unter erbärmlichsten Bedingungen hausen. Die Prüfer haben nur mit den Vertretern der gelben Gewerkschaft geredet, das ist die, die von dem Unternehmen selbst gegründet wurde. Der TÜV Rheinland steht aktuell unter Beschuss, weil er auch in Rhana Plaza Textilfabriken kontrolliert hat und die Baumängel nicht gesehen haben will. Auf einer anderen Plantage in Sumatra in der Provinz Jambi untersuchte der TÜV Rheinland einen jahrealten Landkonflikt. Trotzdem die indigene Gemeinde im Auftrag der Palmölfirma – die Mitglied im RSPO war – brutal überfallen und misshandelt worden war, kam der TÜV Rheinland zu einem positiven Gutachten im Sinne der Palmölfirma, die dieses Gutachten ja auch bezahlt hat.
Auch die Behörden verlassen sich auf diese Gutachten und Siegel. Woher kommt der seltsame Gleichklang von Konzernen und Politik?
Die Politik hat sich ganz dem Wachstum verschrieben. Die Entwicklungshilfepolitik in Deutschland wurde schon unter Dirk Niebel (Minister fur wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bis Ende 2014; Anm.) zu einer Art Industrieförderung umgebaut. Es geht um Zugriff auf die Ressourcen an Boden, Bodenschätzen usw. in den Ländern des Südens. Die Zertifizierungsinitiativen fungieren als freiwilliger Pseudo- Ordnungsrahmen, der politische Regulierung ersetzt. Man schafft ein neues, diesmal grünes, Kolonialregime. Die großen Unternehmen sitzen – ohne demokratische Legitimation – in vielen wichtigen Gremien bis hin zur UNO. So saß etwa Unilever, die am meisten Palmöl weltweit verbrauchen und damit Treiber von Entwaldung sind, in der Calderon-Kommission, die einen Vorschlag für ein Nachfolgeabkommen des Kyoto-Protokolls vorlegte. Unilever gehörte außerdem zu den Unterzeichnern der New Yorker Erklärung zum Schutz der Wälder der UN.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik konkret?
Afrika ist ein gutes Beispiel, weil es als Absatzmarkt und wegen seiner großen Agrarfläche für die Industrie sehr interessant ist. Da gibt es etwa die G8 New Alliance for Food Security and Nutrition. Unter dem Deckmantel der Ernährungssicherheit möchte sie eine industrielle Landwirtschaft umsetzen. Das wird von den Kleinbauern allerdings vehement abgelehnt. So werden so genannte Wachstumskorridore eingerichtet, Sonderwirtschaftszonen, in denen Regulationen abgebaut werden, Gesetze so geändert, dass Unternehmen einfacheren Zugang zu Land bekommen, gentechnisch verändertes Saatgut erlaubt wird und Agrarkonzerne leichter Dünger und Pestizide verkaufen können. Es sind für solche Korridore bereits Bauern von ihrem Land vertrieben worden.
Auch die FAO hat lange argumentiert, man könne den Hunger in der Welt nur durch eine industrielle Landwirtschaft bekämpfen.
Natürlich gibt es in Afrika Hunger und Armut, natürlich muss man die Landwirtschaft verbessern. Aber das heißt nicht, dass dies industriell passieren muss. Die internationale Kleinbauernbewegung fordert, agrarökologische Methoden und Ernährungsunabhängigkeit, also eine selbstbestimmte regionale Landwirtschaft jenseits von exportorientiertem Anbau von „Cash- Crops“ und des Diktats von Agrarmultis. Die industrielle Landwirtschaft wird den Hunger nicht abschaffen – sie ist es ja, die für Bodenerosion, Wassermangel, den Verlust der biologischen Vielfalt und Landraub verantwortlich ist. Hinter der Industrialisierungsoffensive steckt sehr viel Geld. Zum Beispiel von der Bill & Melinda Gates Foundation: Sie arbeiten in der German Food Partnership mit der deutschen Entwicklungshilfe zusammen, um etwa Kartoffeln in Kenia und Nigeria anzubauen – für die Produktion von Chips und Pommes. Das braucht kein Mensch. Da werden Millionen Euro auch öffentlicher Gelder gebunden, die besser in öffentlichen Institutionen eingesetzt wären.
Die Bill & Melinda Gates Foundation hält Aktien von Monsanto, insofern ist ihr Engagement verständlich. Von öffentlichen Stellen hört man das Argument, man könne Indien, Afrika usw. den westlichen Wohlstand nicht absprechen.
Ja, das ist eines der besonders verlogenen Standardargumente. Auf einmal werden Konsumexzesse nach westlichem Vorbild wie ein Menschenrecht behandelt, während für diese gleichzeitig reale Menschenrechte mit Füßen getreten werden. De facto vernichtet man seit Jahrzehnten schon die Lebensgrundlage der Menschen im Süden. Ich habe in Bangladesch mit Vertretern der Kleinbauernorganisation, die dort 2,5 Millionen Mitglieder hat, gesprochen: Niemand sagt, wir wollen dicke Autos und so leben wie ihr. Im Gegenteil, sie sagen „das Leben, das ihr führt, schadet uns“. In Wirklichkeit wollen wir mit diesem Wohlstandsargument ja nur unseren Lebensstil retten und legitimieren.
Wie kann man dazu beitragen, dass sich diese Verhältnisse ändern?
Ich hoffe, dass sich mehr Menschen in den reichen Ländern gegen diese fatalen Landwirtschaftsprogramme zusammenschließen, sich darüber informieren, was mit den Steuergeldern passiert. Man kann sich Bündnissen anschließen: Die internationale Kleinbauernbewegung La Via Campesina hat auch in Europa Ableger. Man kann auch die Aktivisten vor Ort unterstützen: Sie sind ja nicht hilflos, wie man uns seit Kindertagen weismachen will.
Aber ohne Verzicht geht es nicht.
Ist es wirklich Verzicht, nicht jeden Tag Schnitzel zu essen? Keine Tütensuppen mehr zu haben? Stattdessen wird es etwas anderes geben, nämlich mehr Zeit und Energie für soziale Beziehungen, für Arbeit, die man gerne macht. Ich glaube, der Konsumirrsinn ist oft nur ein schaler Glücksersatz, eine Entschädigung für das Leben, das wir führen, aber so nicht wollen.
ZUR PERSON: Die Ursachen von Armut und Ausbeutung sind die Themen der Journalistin Kathrin Hartmann. 2009 erschien ihr Buch „Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt“, 2012 „Wir müssen leider draußen bleiben“ über Armut in Deutschland. In ihrem Buch „Aus kontrolliertem Raubbau“ nimmt sie globale Ausbeutungsverhältnisse in den Blick. Das Buch ist im Blessing Verlag erschienen.
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo