Ein Gutes Leben für Alle
Österreich könnte anders, könnte besser aussehen. In sozialer, ökologischer, ökonomischer und sonstiger Hinsicht. Eine Kritik und ein Zukunftsszenario in mehreren Schlaglichtern. Illustration: Eva Vasari
11 NGOs und Gewerkschaften setzen dem angeblichen „Budgetnotstand“ und der Ratlosigkeit der Regierung in Sachen Arbeitsplatzschaffung mit dem „Zivilgesellschaftlichen Zukunftsbudget“ solidarische und ökologisch nachhaltige Alternativen gegenüber. Mehr Steuergerechtigkeit ermöglicht 11 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen für Investitionen in die Stärkung von Sozialstaat und Menschenrechtsschutz, eine nachhaltige Energiewende, sowie den Ausbau der öffentlichen Mobilität. Zusammen mit einer Ökologisierung von Steuersystem und Wirtschaft schaffen diese Investitionen 175.000 neue Arbeitsplätze. Wir brauchen notwendiger denn je Alternativen für eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Steuer- und Budgetpolitik. Mittlerweile sind mehr als eine halbe Million Menschen in Österreich ohne Arbeit. Die 2016 begonnene Debatte über Kürzungen der Mindestsicherung ist einer der größten Angriffe auf die soziale Absicherung jener, die ohnehin bereits am Rande der Gesellschaft stehen. Zugleich bleiben große Vermögen und Erbschaften weiterhin steuerlich entlastet – in dem Land mit der größten Vermögensungleichheit innerhalb der EU. Trotz der Panama-Leaks sind ernsthafte Schritte zur Beendigung der „legalen“ Steuervermeidung von Vermögenden und großen Unternehmen nicht sichtbar. Und gegenwärtig verhandelt die Regierung sogar über die Abschaffung der Bankenabgabe, anstatt diese sinnvolle Maßnahme und den Beitrag der Banken zu den Kosten der Finanzkrise zu verlängern. Die Steuerreform 2015/2016 hat all diese Probleme des österreichischen Budgets kaum verändert. Auch eine ökosoziale Steuerreform, die umweltschädliche Steuern abschafft und den Weg zu einer ökologisch nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweise unterstützt, wurde bisher noch nicht angegangen. Die zivilgesellschaftliche Allianz „Wege aus der Krise“, ein Zusammenschluss von elf Gewerkschaften und NGOs, entwickelt seit 2010 das „Zivilgesellschaftliche Zukunftsbudget“. Hier der Vorschlag für das Zukunftsbudget 2017-2019 – ein Vorschlag für alternative „Wege aus der Krise“ für eine solidarische, ökologisch nachhaltige und demokratische Zukunft.
Soziales
INVESTIEREN STATT KÜRZEN
Von David Mum
WirtschaftsvertreterInnen können es nicht oft genug wiederholen: Österreich rutscht in vielen Rankings ab. Gemeint sind dabei meist eher fragwürdig erstellte Umfragen unter ManagerInnen, was die Standortqualität betrifft. Schlussfolgerungen sind dann meist Steuer- und Abgabensenkungen für Unternehmen und Einsparungen im Sozialstaat. Auch die zivilgesellschaftliche Allianz „Wege aus der Krise“ sieht Handlungsbedarf. Allerdings mit völlig anderen Schlussfolgerungen und Vorzeichen. Denn 8 Jahre nach der Finanz- und Wirtschaftskrise verharrt Europa noch immer in einer gesellschaftlichen und sozialen Krise. Der vorherrschende neoliberale Kurs bewirkt eine Krisenverschärfung durch Kürzungspolitik. Hier werden die Betroffenen zu Schuldigen und Sündenböcken gemacht. Auch in Österreich ist dieses verheerende Muster zu beobachten: Während die Arbeitslosigkeit Höchststände erreicht, versuchen viele PolitikerInnen skrupellos den Druck auf die Arbeitslosen zu erhöhen: mit strengeren Zumutbarkeitsregeln und Kürzungen bei der Mindestsicherung. In einem Land, in dem die Vermögenssteuern im homöopathischen Bereich liegen, wird eine populistische Debatte darüber geführt, was man denjenigen wegnehmen soll, die schon am wenigsten haben: Asylberechtigten und Familien mit Kindern soll die Mindestsicherung massiv reduziert werden. Es liegt auf der Hand, dass damit kein Mensch in Beschäftigung gebracht wird. Aber es wird der Druck erhöht, schlecht entlohnte Arbeit zu schlechten Bedingungen anzunehmen. Die Ausgaben für die Mindestsicherung betragen 0,23 Prozent der österreichischen Wirtschaftsleistung. Die Allianz „Wege aus der Krise“ will demgegenüber einen Kurswechsel einschlagen: Mehr Beschäftigung durch mehr öffentliche Investitionen und fairere Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Statt Kürzungen soll es mehr öffentliche Investitionen geben. Finanziert soll das u.a. durch mehr vermögensbezogene Steuern und Ökosteuern werden. In Zeiten steigender und vor allem verfestigter und längerer Arbeitslosigkeit, muss man die soziale Absicherung verbessern: durch höheres Arbeitslosengeld und eine längere Bezugsdauer. Es braucht eine Anhebung der Nettoersatzrate von derzeit 55 Prozent auf mindestens 70 Prozent und eine Verlängerung der Bezugsdauer auf mindestens 39 Wochen. Durch eine Arbeitszeitverkürzungsoffensive soll es zu einer gerechteren Verteilung von Erwerbsarbeit und somit weniger Arbeitslosigkeit kommen. Hier soll es eine Anschubfinanzierung für kleinere Unternehmen geben. Durch mehr öffentliche Investitionen im Bereich der sozialen Dienstleistungen und Bildung (Pflege, Ausbau von Kinderkrippen, Kindergärten, Vorschulen Ganztagsschulen, Bildungsmöglichkeiten und Sprachkurse für Asylsuchende,...) können viele Arbeitsplätze geschaffen werden, wo es einen hohen gesellschaftlichen Bedarf gibt. Die Mindestsicherung liegt mit ihrem Leistungsniveau unter der Armutsgrenze. In Österreich sind über 300.000 Kinder armutsgefährdet und über 130.000 Kinder von manifester Armut betroffen. Da ist mehr Unterstützung nötig und nicht eine geringere. Die Mindestsicherung soll daher nicht gekürzt sondern erhöht werden. Das Zivilgesellschaftliche Zukunftsbudget setzt nicht auf Almosen, sondern auf die dauerhafte Prävention von Armut. Mit dem „Zukunftsbudget“ (70 Schritte in ein gutes Leben für alle) wird gezeigt, wie eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Steuer- und Budgetpolitik Probleme lösen und zu mehr Chancen und Gerechtigkeit beitragen kann.
David Mum arbeitet in Wien als Leiter der Grundlagenabteilung in der GPA-djp.
Ökologie
WEGE IN EINE KLIMAFREUNDLICHE GESELLSCHAFT
Von Johannes Wahlmüller
Am 4. November ist das Klimaschutzabkommen von Paris in Kraft getreten. Jetzt muss es an die Umsetzung gehen. 189 Staaten haben Pläne vorgelegt, die jetzt rechtsverbindlich werden. Dass Klimaschutz eine zentrale Aufgabe der Republik ist, hat sich aber wohl noch nicht bis zum Finanzressort durchgesprochen. Anders ist es nicht zu erklären, warum in der Budgetpolitik Klimaschutz so wenig berücksichtigt wird. Zu tun gäbe es genug: Laut WIFO werden in Österreich jährlich 3,7 bis 4,8 Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen gewährt. Beispiele sind die unbegründete Steuerbegünstigung von Diesel gegenüber Benzin oder die Steuerbefreiung von Kerosin, die den Flugverkehr künstlich verbilligt. Gleichzeitig wird selbst der Einbau von Ölheizungen noch gefördert, während Staaten wie Dänemark den Einbau längst nur noch in Ausnahmefällen erlauben. Anstatt diese Probleme anzupacken, startete die Bundesregierung holprig in einen Prozess zur Erarbeitung einer Energie- und Klimastrategie. Ein äußerst wichtiger Prozess, der festlegen soll, wie die Energie- und Klimapolitik in Österreich auf Jahrzehnte aussehen wird. Trotzdem konnte man sich im Vorfeld nicht einmal darauf einigen, ob diese Strategie langfristige Ziele verfolgen soll. Das ist bedenklich, weiß man doch, dass das Klimaschutzabkommen von Paris genau das vorsieht: Alle unterzeichnenden Staaten sollen Klimaschutzstrategien mit einem Zeithorizont bis 2050 ausarbeiten. Hat man in Wien nicht gelesen, was man unterzeichnet hat? Erst nach monatelanger Kritik erklärten Umweltminister Rupprechter und Wirtschaftsminister Mitterlehner bei einer Infoveranstaltung am 19. Oktober in Linz, dass der langfristige Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas das langfristige Ziel sein soll. Zentrale Vorgabe für den Prozess sind diese Ziele aber immer noch nicht. Längst wäre es an der Zeit zu handeln. Das zivilgesellschaftliche Zukunftsbudget zeigt, dass es eine Alternative zum Schlendrian beim Klimaschutz gibt. Eine ökosoziale Steuerreform ließe sich schon mit dem nächsten Budget verwirklichen. Mit einer Steuererhöhung auf fossile Energie könnten im Gegenzug andere Steuern verringert werden. Bzw. könnte das Aufkommen an Haushalte mit einem Pauschalbetrag – einem „Pro-Kopf-Ökobonus“ – rückvergütet werden. Auf diese Weise würden finanziell schwache Haushalte sogar bessergestellt. Unternehmen würden hingegen mit einem „Innovationsbonus“ für klimafreundliche Investitionen belohnt. Gleichzeitig sieht das Zukunftsbudget eine Reihe von Offensivmaßnahmen vor: Investitionen in die Attraktivierung der Regionalbahnen, einen Zukunftsfonds für die Ausweitung des Radverkehrs und eine verstärkte Förderung der thermischen Sanierung. Nicht nur das Klima, wir alle würden davon profitieren. Allein durch eine Anhebung der Sanierungsrate von derzeit einem Prozent des Gebäudebestands pro Jahr auf drei Prozent würden 30.000 Arbeitsplätze entstehen. Saubere Luft und weniger Lärm würde unsere Lebensqualität steigern und die regionale Wertschöpfung ankurbeln. Statt, wie jetzt, Milliarden Euro an Importkosten für Kohle, Öl und Gas abzustottern. Setzen wir uns also für ein Budget ein, das unsere Zukunft in die Hand nimmt, anstatt sie aufs Spiel zu setzen!
Johannes Wahlmuller ist Energiesprecher von Gobal 2000.
Integration
FÜR EINE SOLIDARITÄTSOFFENSIVE
Von Alexander Pollak
Österreich soll sein Selbstverständnis als Land, das auch von Migration und Veränderung geprägt ist, weiterentwickeln und normalisieren. Es gilt Willkommens- und Integrationsstrukturen sowohl für Neuankommende als auch für bereits hier lebende Menschen auszubauen. Und es gilt die demokratische und rechtsstaatliche Grundlage dafür zu schaffen, dass ein offenes, gleichberechtigtes und friedliches Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen Biografien und Lebensentwürfen möglich ist. Es darf zu keiner Spaltung der Gesellschaft entlang von Kriterien wie Herkunft, Hautfarbe oder Religion kommen. Die wichtigsten fünf Maßnahmen zur Umsetzung dieser Ziele sind: Solidaritätsoffensive: Der Wohlstandsku-Frauenchen ist längst nicht mehr rund, sondern weit in Richtung Vermögende ausgebeult. Das System der Mindestsicherung muss verbessert und ausgebaut werden. Die gute Nachricht: In Österreich sind genug Mittel vorhanden, um ein gutes Sozialsystem nachhaltig zu finanzieren – und alle würden davon profitieren. Auch diejenigen, die ihre Solidarität finanziell unter Beweis stellen müssen und dafür als Rendite in einem sozialen und sicheren Land leben können. Integrationsmasterplan für Neuankommende: Dazu gehören von Anfang an Informations- und Orientierungsveranstaltungen, Sprachkurse, Wohnrauminitiativen, Mentoring-Programme, psychologische Betreuung. Wichtig sind aber auch die rasche Anerkennung von Qualifikationen, Bildungsmöglichkeiten, sowie der Zugang zum regulären Arbeitsmarkt nach spätestens sechs Monaten. Egalitäres Bildungssystem, das mit Vielfalt umgehen kann: Dazu gehören ein professioneller Umgang mit Vielsprachigkeit und Herkunftsvielfalt, Empowerment-Maßnahmen für nichtakademische Eltern, Ganztagesschulen, die besondere Förderung von Schulen an Standorten mit einem hohen Anteil an Kindern aus einkommensschwachen Haushalten und ein Ende der Frühselektion im Alter von 10 Jahren. Öffnung Österreichs hin zu einer inklusiven Demokratie. Das würde Beteiligung und Zugehörigkeit stärken. Immer mehr Menschen in Österreich sind durch die restriktiven Einbürgerungs- und Wahlrechtsbestimmungen von vollen Rechten und der Beteiligung an der Demokratie ausgeschlossen. Schaffung von Einrichtungen, Strukturen und Diskursformen, die Freiheit, Respekt, Gleichberechtigung, Nichtdiskriminierung und das demokratische Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft fördern. Wir erleben eine Zeit, in der politische Kräfte das Schüren von Angst und das Aufwiegeln und gegeneinander Ausspielen von Menschen nahezu perfektioniert haben. Doch wir erleben auch eine Zeit, in der Initiativen für ein gutes Zusammenleben viel Kraft entwickeln können. Ein solidarisches und offenes Österreich, das allen hier lebenden Menschen Perspektiven bietet, würde Sicherheit und Optimismus fördern und vor gesellschaftlicher Spaltung bewahren. Das Verbesserungspotenzial in der Integrationspolitik ist gewaltig. Zur Umsetzung braucht es eine politische Führung, die den Mut hat, nicht im Strom von derzeit populären Frontenbildungen gegen Ausländer, Flüchtlinge, etc. zu schwimmen, sondern an einem gemeinsamen, lebenswerten Österreich für alle, die hier leben, zu arbeiten.
Alexander Pollak ist Sprecher von SOS Mitmensch.
Geschlechtergerechtigkeit
FÜR ELTERNKARENZ UND TATSÄCHLICHE GLEICHSTELLUNG
Von Elisabeth Klatzer
Österreich hat eine traurige, empörende Bilanz in Sachen Gleichstellung: Anstatt Fortschritte zu machen, verliert Österreich im internationalen Vergleich an Boden: laut dem Global Gender Gap Bericht rutschte Österreich innerhalb von 3 Jahren um 32 Plätze (!) ab und ist 2016 nur mehr auf Platz 52 (von 144 Ländern) zu finden. Das ist eine Schande und zeigt das Versagen der Wirtschafts- und Gleichstellungspolitik und die fortwährende strukturelle Benachteiligung von Frauen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft deutlich auf. Besonders eklatant ist die Benachteiligung von Frauen im Bereich wirtschaftliche Beteiligung. Wir sind weit von wirtschaftlicher Unabhängigkeit entfernt. Als vordringliche Maßnahmen gilt es, die eklatanten Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern abzubauen, die hohe Armutsbetroffenheit von Frauen – vor allem im Alter und als Alleinerzieherinnen – zu verringern, eine bessere Verteilung der Gesamtarbeit zu erreichen, vor allem durch starke Verringerung der bezahlten Wochenarbeitszeit und bessere Verteilung der unbezahlten Arbeit bei Betreuung und im Haushalt. Eine Fülle von Maßnahmen ist nötig, besonders wichtig sind dabei: Erhöhung des Lohnniveaus im Sozial- und Bildungsbereich. Mehr und bessere Kinderbetreuungseinrichtungen und Pflegeangebote. Ausbau der Ganztagsschule für bessere Zukunftschancen für alle Kinder. Einführung einer Elternkarenz, die die Hälfte der Zeit für Väter reserviert (ohne Übertragungsmöglichkeit der Zeiten an Mütter) Ein Umbau des Steuersystems, das Vermögen und Konzerne (höher) besteuert und steuerliche Entlastungen niedrigen Einkommen gleichermaßen zugute kommen lässt (über Absetzbeträge statt Freibeträgen). Ein Umbau von budget- und wirtschaftspolitischen Entscheidungsprozessen, um eine tatsächlich gleichberechtigte Beteiligung von Frauen und das Einbringen von Fraueninteressen zu ermöglichen. Kurzfristig wird die Einrichtung eines unabhängigen Beirates zur Umsetzung geschlechtergerechter Budgetpolitik gefördert. Derzeit sehen wir vor allem Rückschritte in der Gleichstellungspolitik. Für das Militär sind zusätzliche Milliarden vorhanden, für dringend nötige Frauenpolitik bleiben nur Brösel übrig. Ein unhaltbarer Zustand. Frauen haben ein Recht auf wirtschaftliche Unabhängigkeit, auf tatsächliche Gleichstellung in allen Bereichen. Ganz unabhängig davon tragen Investitionen im Sinne des Zukunftsbudgets zu einem besseren Leben für alle bei! Ein Fokus auf Frauen und Gleichstellungspolitik bedeutet ganz einfach eine bessere Wirtschaftspolitik. Es ist höchst an der Zeit, dass Österreich die sozialen und wirtschaftlichen Rechte von Frauen ernst nimmt, den eklatanten Rückfall im internationalen Vergleich bekämpft und sich um Fortschritte bemüht!
Elisabeth Klatzer von der Initiative Femme Fiscale, die sich fur geschlechtergerechte Steuer- und Budgetpolitik einsetzt.
Bildung
WEG MIT DER GIESSKANNE!
Von Heidi Schrodt
Natürlich ist nicht alles schlecht in der österreichischen Schule, man denke etwa an das berufsbildende Schulwesen. Doch die gravierenden Schwächen eines Systems, das in seinen Grundstrukturen in den Sechziger-Jahren steckengeblieben ist, treten immer deutlicher zutage. Allem voran steht natürlich die Tatsache, dass ideologische Blockaden eine grundlegende Gesamtreform seit Jahrzehnten verhindern, eine gemeinsame Vision von der Zukunft der österreichischen Bildung insgesamt nach wie vor aussteht. Längst herrscht unter ExpertInnen Konsens darüber, was die Eckpunkte einer Reform sein sollten und wo vorrangig angesetzt werden müsste. Das vor einem Jahr beschlossene Reformpaket berücksichtigt aber nur Einzelaspekte einer künftigen Reform. Jedenfalls könnte man ohne größere Vorarbeiten an die schrittweise Umsetzung gehen. Ganz prioritär müsste die Beseitigung der sozialen Schieflage in Angriff genommen werden, die Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen migrantischen Familien derzeit besonders hart trifft. Dazu muss die Ressourcenzuteilung an Schulen grundlegend neu gedacht werden, und zwar weg vom Gießkannenprinzip hin zu einer gerechten Zuteilung nach Kriterien des Sozialindex. Das würde heißen, dass künftig so genannte Brennpunktschulen wesentlich mehr Ressourcen zur Verfügung hätten als Schulen an nicht benachteiligten Standorten. Diese Ressourcen können sie zur gezielten Einzelförderung ebenso einsetzen wie für entsprechendes Unterstützungspersonal. Weiters muss so bald wie möglich die Frühkind-Pädagogik ins Zentrum gerückt werden, mitsamt der baldigen Einführung eines zweiten verpflichtenden Kindergartenjahres für alle. Nach skandinavischem Vorbild wäre die frühkindliche Förderung mit aufsuchender Sozialarbeit und Elternkommunikation ebenso zu koppeln, wie mit der drastischen Reduzierung des Betreuungsverhältnisses in Krippen und Kindergärten. Auch die besten PädagogInnen können bei den derzeitigen Gruppengrößen keine professionelle Arbeit erbringen. Dass die künftigen Elementar-PädagogInnen endlich an tertiären Institutionen ausgebildet werden, sollte eigentlich gar nicht mehr extra erwähnt werden müssen. Die Trennung der Kinder im Alter von zehn Jahren wäre ersatzlos zu streichen – jahrgangsübergreifende Lerngruppen würden nicht nur diese Transition entschärfen, sondern auch die vom Kindergarten zur Volksschule oder von der Sekundarstufe 1 zur Sekundarstufe 2. Schließlich müssen massive Aus- und Fortbildungsmaßnahmen die LehrerInnen im Umgang mit der Heterogenität und Mehrsprachigkeit in ihren Klassenzimmern professionalisieren. All das findet – von klein auf – selbstverständlich in inklusiv geführten Lerngruppen statt. Schon jetzt gibt es im österreichischen Parlament mehr PolitikerInnen, die den genannten Reformmaßnahmen aufgeschlossen gegenüberstehen, als man annehmen würde. Würden diese Maßnahmen, als Teil eines Gesamtpakets, umgesetzt, so wären wir in zehn Jahren der Vision einer gerechten und gebildeten Gesellschaft einen wesentlichen Schritt näher gekommen.
Heidi Schrodt ist Vorsitzende der Initiative Bildung grenzenlos.
Ökonomie
WOHLSTAND STATT NOTSTAND: FÜR EIN ANDERES BUDGET
Von Alexandra Strickner
Das öffentliche Budget ist in Zahlen gegossene Politik. Ein Blick auf die Einnahmenseite zeigt: Das österreichische Budget wird trotz der großen Steuerreform von 2015, bei der die Lohnsteuer reformiert wurde, immer noch zu rund zwei Drittel aus Steuern auf Arbeit und Konsum finanziert. Wer viel Vermögen hat und davon sogar lebt – also ein leistungsloses Einkommen bezieht – der zahlt für den jährlichen Vermögenszuwachs, den er oder sie in einem Jahr verzeichnet, lediglich 27,5 Prozent Steuern. Auch weiterhin bestehen Steuerschlupflöcher für transnational agierende Konzerne, sodass auch diese ihre Steuerlast auf ein Minimum reduzieren können. Auf der Unternehmensseite leisten also in erster Linie die Klein- und Mittelbetriebe – sie sind das Rückgrat der österreichischen Wirtschaft – ihren Beitrag zur Finanzierung, der für eine funktionierende Gesellschaft und Wirtschaft notwendigen Infrastrukturen und des Sozialstaates. Auch aus einer ökologischen Perspektive ist das österreichische Steuersystem reformbedürftig: so wird z.B. Autofahren steuerlich noch immer belohnt. Die Folge davon: Die reichsten 5 Prozent der ÖsterreicherInnen besitzen 58 Prozent des Privatvermögens, während große Konzerne immer weniger zur Finanzierung der von ihnen genutzten Infrastrukturen, sowie zum Sozialstaat beitragen. Und: Steu-ern steuern uns zu wenig in Richtung einer sozial gerechteren und ökologisch nachhaltigeren Zukunft. Attac legt seit 2010 gemeinsam mit den Trägerorganisationen der Allianz „Wege aus der Krise“ Reformvorschläge dazu vor, die an diesen Problemen ansetzen. Dazu zählt u.a. die Einführung einer Vermögensund Erbschaftssteuer auf große Vermögen, eine höhere Besteuerung von leistungslosen Einkommen (sie sollen als Einkommen deklariert werden und somit den Steuersätzen der Lohn- und Einkommensteuer unterliegen), eine Abschaffung von Steuerprivilegien für Konzerne und eine umfassende ökologische Steuerreform. Bisher wurden seitens der Politik von diesen Vorschlägen nur kleine Schritte in Richtung Reduzierung von Steuerprivilegien für leistungslose Einkommen und von umweltschädlichen Subventionen gesetzt. ÖVP, FPÖ und NEOS haben bisher – gemeinsam mit der Industriellenvereinigung – erfolgreich die Wiedereinführung von Vermögensund Erbschaftssteuern für große Vermögen verhindert. Eine umfassende Ökologisierung des Steuersystems findet sich nicht auf der Prioritätenliste der Regierung. Diese Maßnahmen würden nicht nur die wachsende Ungleichheit reduzieren und umweltfreundliches Verhalten befördern. Sie würden zugleich jene Mehreinnahmen ermöglichen, mit denen eine Vielzahl von notwendigen Zukunftsinvestitionen finanziert werden können, wie im Zivilgesellschaftlichen Zukunftsbudget vorgeschlagen. Maßnahmen, die uns mit Verweis auf die Notwendigkeit der Einhaltung von EUDefizitzielen vorenthalten werden. Sie sind allesamt problemlos finanzierbar – wenn man sich das Geld dort holt, wo zu viel liegt.
Alexandra Strickner ist Mitbegrunderin von „attac“.
Arbeitsverhältnisse
GUTE ARBEIT FÜR ALLE IST MÖGLICH
Von Susanne Haslinger
Während die Regierung von Bundeskanzler Christian Kern die Schaffung von 20.000 neuen Arbeitsplätzen bis 2020 verlautbart hat, ist davon wenig zu merken. Fast eine halbe Million Menschen sind in Österreich arbeitslos, während andere in den Burnout schlittern. Seit Jahren ist ein besorgniserregender Trend zu beobachten: Neben der Arbeitslosigkeit steigt auch die Zahl der Beschäftigten konsequent. Geschaffen wurden jedoch keine qualitativ hochwertigen Jobs, sondern vor allem nicht existenzsichernde und auch selten freiwillige Teilzeitbeschäftigung, sowie prekäre Arbeitsformen. Unterm Strich ist das eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich und ein bewusst angefachter Wettbewerb um die Arbeitsplätze, der Standards sukzessive senkt. Gleichzeitig steigen Arbeitsdruck und Arbeitsverdichtung und stressbedingte Erkrankungen. Denn die Arbeit geht uns noch lange nicht aus, in Österreich werden jährlich über 250 Millionen Überstunden geleistet. Würde nur ein Drittel davon durch neue Arbeitsplätze ersetzt, ergäbe das allein 38.600 neue Stellen. Wir können neue, hochwertige Arbeitsplätze schaffen und Arbeit zur gleichen Zeit entlasten. Das zivilgesellschaftliche Zukunftsbudget zeigt, wie: Was es braucht, ist ein Maßnahmenpaket aus einer Umverteilung von Erwerbsarbeit (Stichwort Arbeitszeitverkürzung), Konjunkturmaßnahmen, längst überfälliger Investitionen in soziale Infrastruktur (wie z.B. Kinderbetreuung, Bildung, öffentlichen Verkehr; siehe Kommentare der anderen Ressorts) und einer Reform der Arbeitsmarktpolitik, die sich an den betroffenen Menschen orientieren. Neben der gesundheitlichen Notwendigkeit kürzerer und damit weniger belastender Arbeitszeiten, schafft die Verkürzung der Arbeitszeit auch ein Mehr an Lebensqualität und mehr Zeit für Familie, FreundInnnen, Weiterbildung, zivilgesellschaftliches Engagement und persönliche Hobbies. Insgesamt bedeutet das nicht nur eine we-sentlich bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, sondern auch eine bessere gesellschaftlichen Teilhabe. Der klassischen Forderung nach Arbeitszeitverkürzung schlägt dennoch zunehmend Skepsis entgegen. Besonders groß ist sie im Dienstleistungssektor, wo die Gefahr weiterer Arbeitsverdichtung groß ist: Hier kann neben realistischeren Zeitvorgaben effektiv nur mit Begleitmaßnahmen wie verpflichtenden Personalschlüsseln gearbeitet werden. Wer über Arbeitszeitverkürzung spricht, muss aber auch über Lohnausgleich sprechen und damit die Frage stellen, wer diese Kosten einer Arbeitszeitverkürzung – und in welchem Verhältnis – tragen soll. Nicht vergessen dürfen wir, dass die Verkürzung der Arbeitszeit und ihre Aufteilung auf mehr Köpfe letztlich eine Verteilungsfrage ist, deren Finanzierbarkeit auch im Rahmen der längst überfälligen Umverteilungsdebatte mitgedacht werden muss. Genauso schlägt Wege aus der Krise aber auch eine öffentliche Förderung eines Teils des Lohnausgleiches vor, wenn ArbeitgeberInnen entsprechend zusätzliches Personal einstellen. Die Mittel dafür stehen durch die Entlastung des AMS, die mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze einhergeht, bereits zur Verfügung.
Susanne Haslinger ist Rechtsschutzsekretarin/ Soziales bei der Gewerkschaft PRO-GE.
Asyl
VOM BACKLASH ZUR SOLIDARITÄT
Von Anny Knapp
Eine Prognose über die künftigen Entwicklungen bei Flucht und Asyl, bei Migration im allgemeinen abzugeben, erscheint mir derzeit als eine besonders schwierige Aufgabe. Gerade im Asylsystem finden seit vielen Jahren in immer kürzeren Intervallen gesetzliche Änderungen statt. Ob das Erreichte auch einmal gesichert werden kann, ist fraglich und zudem in vielen Punkten gar nicht wünschenswert, weil ja viele der gesetzlichen Änderungen Asylverschärfungen brachten. Freilich gab es immer wieder auch einen Ausbau und eine Kodifizierung von Rechten, etwa durch die Einführung der Grundversorgung 2004, die mit der willkürlich gewährten oder verweigerten Versorgung mit dem Lebensnotwendigsten während des Asylverfahrens Schluss gemacht hat. Auch lange von NGOs gefordert, dann aufgrund der EU-weit gültigen Standards in Asylverfahren, wurde kostenlose rechtliche Unterstützung im Beschwerdeverfahren bei Gericht eingeführt. Manche vorbildliche österreichische Bestimmungen wurden hingegen wieder abgeschafft, nicht weil sie sich nicht bewährt hätten, sondern aufgrund der Befürchtung, Österreich könnte für Schutzsuchende zu „attraktiv“ sein. Etwa die bis 2004 vorhandene Möglichkeit, einen Asylantrag bei einer österreichischen Botschaft zu stellen oder die Ausnahme traumatisierter Flüchtlinge und Folteropfer von zeitraubenden und nervenzerrenden Zulassungsprüfungen. Etliche positive Änderungen haben wir den Entscheidungen der Höchstgerichte oder Brüssel zu verdanken. Nicht alle rechtlichen Vorgaben des gemeinsamen europäischen Asylsystems wurden mit voller Überzeugung umgesetzt, im europäischen Vergleich schneiden wir noch immer nicht so schlecht ab. Derzeit befinde ich mich aber in einer weniger euphorischen Phase, was wohl für die Entwicklungen in der EU als gesamtes gelten dürfte. Unsere treibende Kraft bei der Sicherung der Grund- und Menschenrechte, die EU, hat mit Problemen wie Finanzkrise und mangelnder Solidarität und Zusammenhalt zu kämpfen, die Flüchtlinge sind eine zusätzliche Aufgabe. Auch in der österreichischen Politik ergibt das politische Gezerre rund um das Flüchtlingsthema wenig Anlass für Zuversicht. Die jüngsten Gesetzesnovellen (Asyl auf Zeit, erschwerter Familiennachzug, Kürzung der Sozialleistungen) zeigen, dass die Rechte von Flüchtlingen systematisch beschnitten werden. Selbst eigene Forderungen, wie jene nach Integration, werden systematisch konterkariert. Schließlich sollen einige Tausend Flüchtlinge in der Lage sein, in Österreich einen Notstand hervorzurufen, der auch die Aussetzung der Genfer Flüchtlingskonvention und grundrechtlicher Verpflichtungen legitimieren soll. Das wäre mir noch vor kurzem völlig unrealistisch erschienen. Aber halt – da war doch noch was: die Zivilbevölkerung hat Mut und Empathie gezeigt, hat eingegriffen, wo der Staat versagt hat und es gab eine Macht des Faktischen, siehe unseren nunmehrigen Verteidigungsminister, der an der Grenze im Burgenland 2015 Schlimmeres durch die Gestattung der Einreise für Flüchtlinge verhindern wollte. Es könnte also doch sein, dass sich aus dem derzeitigen Backlash wieder eine neue Welle der Beruhigung und Reformen aufbaut.
Anny Knapp ist Obfrau des Vereins asylkoordination. osterreich und Expertin fur Asylrecht.
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