Ausrottung Des Alpenlandes?
Jörg Haider wurde vom Mossad ermordet und die Bevölkerung in Österreich soll gegen Ausländer ausgetauscht werden. Wie empfänglich sind wir für Verschwörungstheorien? Text: Zoran Sergievski
Die UNO plant seit 2001, die deutsche Bevölkerung durch AusländerInnen zu ersetzen. Die aktuellen Fluchtbewegungen sind Vorboten dieses Plans. Diese Geschichte geistert seit Herbst 2015 durch das Netz. Der ehemalige Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Udo Ulfkotte, brachte sie in Umlauf. Er berichtete für den einschlägig bekannten Kopp-Verlag von der Verschwörung gegen die Deutschen. Als Beleg führte er eine Studie der Weltorganisation an. Ulfkotte hat diese allerdings nicht investigativ ausgegraben, sondern auf der Homepage der UN Abteilung für Bevölkerungsfragen gefunden. Dort ist sie seit ihrer Publikation frei zugänglich, inklusive Pressemitteilungen auf Deutsch. Als die Studie erstmals 2000 bekannt wurde, ging sie durch viele Medien, etwa die FAZ.
„Der große Austausch“
Verschwörungstheorien wie diese gehen anhand erfundener oder tatsächlicher Umstände davon aus, dass sich vermeintliche (z.B. das „Finanzjudentum“) oder echte Eliten (z.B. multinationale Konzerne) im geheimen verbünden. Durch illegale oder illegitime Mittel werden national wie international verschwörerische Zwecke verfolgt. Der Philosoph Harald Stelzer von der Universität Graz sagt im Gespräch mit MO: „Sicherlich gibt es Foren, in denen sich mächtige Menschen der Welt über gewisse Dinge unterhalten. Aber dass das eins zu eins umgesetzt wird und niemand aus der Wissenschaft, aus dem Journalismus drauf kommt, ist eher unwahrscheinlich.“ Gegenstand der Studie, auf die Ulfkotte seine Verschwörungsthese vom „großen Austausch“ stützt, ist die so genannte „Replacement Migration“. Auf Deutsch heißt das nüchtern Bestandserhaltungsmigration. Damit ist die nötige Zuwanderung gemeint, um eine definierte Bevölkerungszahl in einem Staat zu halten. Ulfkotte nützt jedoch aus, dass das englische Wort „Replacement“ auch mit dem deutschen Wort „Ersatz“ übersetzt werden kann. Damit befeuerte er sein Schauermärchen vom „großen Austausch“. Auch in Österreich wird dieses Märchen in verschiedenen Versionen erzählt. Hierzulande sind es die Identitäre Bewegung und die FPÖ, welche die Angst schüren, ÖsterreicherInnen würden zur Minderheit im eigenen Land – oder eben ausgetauscht. Johann Gudenus, ressortloser FPÖ-Vizebürgermeister Wiens, warnte in diesem Zusammenhang vor „systematischer Umvolkung“.
„Alle gekauft“
Krisen- und Kriegszeiten befeuern nach Ansicht verschiedener Wissenschaften Verschwörungstheorien und – faktisch schwieriger widerlegbare – Verschwörungsmythen besonders. Ihre Anziehung ergibt sich daraus, dass sie für fast alle komplexen Sachverhalte simple Lösungen bieten. Widersprechende Fakten gelten ihren AnhängerInnen als Teil der Verschwörung, so Stelzer. Die Chemtrails zum Beispiel. Diese Kondensstreifen dienen angeblich der globalen Wetter- und Gedankenmanipulation. Der Umstand, dass MeteorologInnen weltweit täglich eine andere atmosphärisch-chemische Zusammensetzung messen als der Chemtrail- Theorie entspricht, wird damit abgetan, dass „die alle gekauft“ seien. Oder der Unfalltod Jörg Haiders im Jahr 2008. Jene Ärzte, die die Autopsie vorgenommen hatten, seien „korrumpiert“, während in Wahrheit der Mossad für Haiders Tod verantwortlich sei. Und noch bevor der Ausgang der ersten Hofburg-Stichwahl entschieden war, deuteten FPÖ-Kandidat Norbert Hofer und sein Parteichef mögliche Manipulationen bei den Briefwahlen an.
„Krankenpflege in osteuropäischer Hand“
Die eingangs erwähnte UN-Studie prognostizierte auf Basis verschiedener Rechenmodelle, wie bis 2050 die Bevölkerung in acht Industriestaaten, darunter USA, Deutschland, Russland und Japan, deutlich zurückgehen wird. Um die dadurch sinkende Zahl an Pensions- und SozialversicherungszahlerInnen zu kompensieren, müsste die Zuwanderung verstärkt werden. Der Forschungsbericht merkte an, dass das nicht konfliktfrei zwischen länger ansässigen Menschen und MigrantInnen verlaufen würde, jedoch nötig sei. Neue UN-Zahlen von 2015 sehen immerhin eine Erholung der Bevölkerungszahl für Europa, die USA und Großbritannien. In Deutschland wird die Bevölkerung hingegen ohne verstärkte Zuwanderung weiter um ein Viertel abnehmen, in Österreich bis zur Jahrhundertmitte ansteigen, um bis 2100 unter das heutige Niveau zu sinken. Aufgrund dieser Bevölkerungsdynamiken kommt es zum Beispiel heute schon zu Engpässen bei der Krankenpflege. Die Grazer Betriebswirtin Renate Ortlieb erklärt: „Viele Migrantinnen arbeiten in der Pflege, die häusliche 24-Stunden-Krankenpflege ist fest in osteuropäischer Hand.“ Familien „würden sich vielleicht manchmal lieber jemanden aus Österreich dafür wünschen, aber sie finden einfach niemanden, der das bezahlbar machen könnte.“ Tatsächlich hatten im Jahr 2014 20 Prozent aller Erwerbstätigen in Österreich einen Migrationshintergrund. Das heißt, sie oder ihre Eltern kamen als MigrantInnen nach Österreich – nicht im „Austausch“ für Menschen, sondern als Ergänzung. Heute arbeiten 63.600 Personen ausländischer Herkunft als Ärzte und Ärztinnen, als PflegerInnen und in ähnlichen Berufen. Das sind 20 Prozent aller Angestellten in diesem Sektor. Entließe man sie alle aus Angst vor einem „großen Austausch“, herrschte sofort Pflegenotstand.
„Kinderfreundliche Politik“
Dass künftige Notärzte auch Murat und Krankenschwestern auch Sahar heißen, interessiert Identitäre und FPÖ nicht. Stattdessen würde eine „Politik der Schuld“ die Entwurzelung der westeuropäischen Kulturen vorantreiben. Mit „Politik der Schuld“ bezeichnen die Identitären auf ihrer Website die „Reduktion der Geschichte eines Volkes auf seine dunkelsten Perioden“, ergo die Aufarbeitung des Faschismus. Als Vorbilder dienen vermeintlich „kulturell gleichförmige“ Länder in Osteuropa, welche sich gegenüber Geflüchteten abschotten. Echte Lösungen für die sozialen Herausforderungen der Gegenwart sucht man vergebens. Die chicen Rassisten, die sich als Retter gerieren, wollen lediglich eine „kinderfreundliche Politik forcieren und die Masseneinwanderung in die Schranken weisen.“ Diese Forderung gründet unter anderem in der Annahme, AusländerInnen vermehrten sich in größerer Zahl als Einheimische. Nina Horaczek und Sebastian Wiese widerlegen das in ihrem Buch „Gegen Vorurteile“. Demnach passt sich die Geburtenzahl bereits in der zweiten Generation an die des neuen Heimatlandes an. Fruchtbarkeit hängt also nicht mit der Herkunft, sondern der sozialen Umwelt zusammen. Während Verschwörungstheorien noch faktisch widerlegt werden können, ist das bei Verschwörungsmythen nicht mehr möglich. Dann gilt der pure Glaube vor jedem Beweis. Das Internet ist ein Tummelplatz für solche Mythen. profil-Journalistin Ingrid Brodnig bezeichnet Menschen in der Publikation „Hass im Netz“ als Glaubenskrieger. Vielleicht aber muss man die Gläubigen gar nicht bekehren. Vielleicht genügt es, aus den Mythen wieder ein bisschen in die Realität einzutauchen. Die Betriebswirtin Ortlieb regt an, in Unternehmen jede Gelegenheit zum Kontakt zu nutzen. Jede Feier, jedes Meeting, jedes Projekt könne in der Belegschaft die Gemeinschaft abseits von Herkunft, Geschlecht oder Klasse fördern. Auch wenn Communities stabil bleiben, würde der türkische Vorarbeiter die österreichische Angestellte wenigstens einmal kennenlernen.
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