Politik als Pulverfass
In England ermordete ein Mann die Labour-Abgeordnete und Brexit-Gegnerin Jo Cox mit den Worten „Britain first!“ In Österreich schlug man der Wasserrettung die Scheiben ein. Erleben wir nun die Früchte des rechten Populismus? Text: Sonja Dries
Als in der Nacht auf den ersten Juni in Altenfelden in Oberösterreich eine Flüchtlingsunterkunft brannte, war der Funke vom Wort zur Tat wieder einmal übergesprungen. Schon im vorigen Jahr waren offiziell 25 Übergriffe auf Flüchtlinge verzeichnet worden, darunter auch ein Vorfall in Niederösterreich, bei dem mit einer Softgun auf Flüchtlinge geschossen wurde. Laut Verfassungsschutzbericht stieg die Zahl der rechtsextremen und rassistisch motivierten Straftaten in Österreich letztes Jahr um 54,1 Prozent auf 1.156. Die Sprache der Politik wird härter und radikaler. Gleichzeitig sinkt auch die Hemmschwelle der Menschen, aufgestaute Aggressionen nicht nur verbal, sondern auch physisch an anderen auszulassen. „Der latente Hass, der in der Bevölkerung aufgrund einer wirtschaftlich oder sozial schwierigen Situation herrscht, wird durch Sprache aufgeweckt“, sagt der österreichische Philosoph und Politikwissenschaftler Paul Sailer-Wlasits. Sprachentgleisungen und Zuspitzungen, wie sie von einigen PolitikerInnen derzeit vor allem im Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik verwendet werden, bezeichnet er als Verbalradikalismus. „Ein Rudel Afghanen drübersteigen lassen und geht schon“ lautete die Nachricht unter einem Kommentar, den die Journalistin Barbara Kaufmann zu den Ereignissen der Silvesternacht in Köln verfasst hatte. Auch Puls 4 Info-Chefin Corinna Milborn und ORF-Moderatorin Ingrid Thurnher berichteten in einer Falter- Ausgabe Mitte Juni von Beschimpfungen, Drohungen und Wortgewalt in Online-Postings, die sie kaum für möglich gehalten hätten. Befördert wird diese Haltung gegenüber JournalistInnen auch durch das Misstrauen, das speziell die FPÖ gegenüber Medien säht. Der Begriff „Lügenpresse“ und der Vorwurf der Manipulation durch Medien sind immer wieder aus FPÖ-Kreisen zu hören. Dass die politische Sprache auch die Wortwahl und das Handeln der BürgerInnen beeinflusst, daran besteht kaum Zweifel. Umso kritischer ist zu beobachten, dass es international vielfach populistische Parteien sind, die die politische Bühne dominieren. Egal ob die FPÖ in Österreich, der Front National in Frankreich, Orban, UKIP und selbst der US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump sorgt derzeit für tiefe Sorgenfalten in der eigenen Partei. Die Soziolinguistin Ruth Wodak nennt es eine „Arroganz der Ignoranz“, die populistische Parteien vertreten, wenn sie auf ein vormodernistisches Denken und Anti-Intellektualismus zurückgreifen. Durch die Konstruktion von Sündenböcken würden sie scheinbar klare Antworten auf Ängste und Herausforderungen finden. Wodak schreibt in ihrem aktuellen Buch „Politik mit der Angst“, dass die FPÖ unter Haider in Europa den Weg für xenophobe, rassistische, ausgrenzende und antielitäre Politik geebnet hat. Nachfolger wie FPÖ-Chef Strache oder der FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer führen diesen Weg fort. Ihre Politik trägt Früchte in der österreichischen Gesellschaft und wirkt sich nicht nur verbal aus.
Freibad-Verbot für Asylwerber
Österreich scheint von PopulistInnen in „Gutmenschen“ und „wahre ÖsterreicherInnen“ gespalten. Das gegenseitige Misstrauen ist allgegenwärtig und führt zu weiteren Ressentiments: Eine Facebook-Unterstützungsgruppe für Hofer ruft dazu auf, die Caritas nicht mehr zu unterstützen, weil sie angeblich teure Handys für Flüchtlinge mit Spenden finanzieren würde. Die falsche Anschuldigung wird spät zurückgenommen. Ein 13-jähriges Mädchen erfindet eine Vergewaltigung durch einen „südländisch wirkenden“ Mann im Freibad in Mistelbach, worauf prompt ein Hausverbot für Asylwerber ausgesprochen wird. Der Obmann vom Ring freiheitlicher Jugend (RFJ) im Burgenland, Werner Wassicek, fordert nach dem angeblichen Vorfall gleich ein „Freibad- Verbot für Asylwerber in ganz Österreich“. Ebenso unglaublich klingt – nach massiven verbalen Drohungen – der Angriff auf ein Fahrzeug der Kärntner Wasserrettung: sie hatte gratis Schwimmkurse für AsylwerberInnen angeboten. RechtspopulistInnen müssen sich auch in anderen Ländern die Frage stellen, welchen Anteil sie an der Radikalisierung der öffentlichen Stimmung haben. In Großbritannien kam es in den Tagen nach dem Brexit-Votum vermehrt zu Attacken gegen AusländerInnen. Schon der Wahlkampf von UKIP war von xenophoben Aussagen geprägt. Während des Wahlkampfs ermordete ein Brite die Brexit-Gegnerin und Labour- Abgeordnete Jo Cox, Zeugen vernahmen seine „Britain first!“-Rufe. In den USA schürt Donald Trump in seinen Reden immer wieder Hass und Missgunst mit Forderungen, wie einem Einreiseverbot für MuslimInnen oder dem Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko. Laut Paul Sailer-Wlasits hat Sprache eine Vorbereitungsfunktion, von der Handlungsanweisungen abgeleitet werden können. Am Ende könne die Dynamik der Hasssprache eine bereits fanatisierte oder instrumentalisierte Masse vollends durchsetzen. „An so einem Punkt angelangt, reicht dann der sprichwörtliche Funke aus, damit das Wort in die Tat überschreitet“, so Sailer-Wlasits. Schaut man sich die europäische Wertestudie an, die schon seit vielen Jahren die Einstellungen der EuropäerInnen misst, sieht man, dass es in der Bevölkerung schon weit vor den populistischen Parteien autoritäre Ansichten zu Demokratie, Parteien und dem Rechtsstaat gab. „Diese Ansichten schufen nicht erst die Populisten“, betont der Politologe Reinhard Heinisch von der Universität Salzburg. Früher hätte es dafür aber noch kein Angebot im Parteienspektrum gegeben. Heute ist das anders. Gerade in Zeiten großer Veränderung neigen Menschen laut Heinisch zu sehr rigiden Vorstellungen, die gemeinsam mit wirtschaftlichem Druck zu Aggression und Radikalisierung führen können. Gepaart mit populistischen Parolen wird diese Mischung zum Pulverfass. PolitikerInnen bekommen mit ihrem Amt eine große Verantwortung übertragen. Sie haben die Stimme von Menschen erhalten, die erwarten, dass ihre Interessen gehört und vertreten werden. Diese Menschen brauchen aber auch eine Politik, die Vorbild in der Sprache genau wie im Handeln ist, eine Politik die Grenzen dort nicht überschreitet, wo andere diskriminiert oder verletzt werden. Der Philosoph Paul Sailer-Wlasits plädiert für eine politische Praxis, in der man sich selbst zur Wahrheit und Wahrhaftigkeit verpflichtet und für diese Integrität, die man in Wahlkämpfen auch kommuniziert, den Lohn in Form von WählerInnenstimmen bekommt. Doch mit dem leisen politischen Wort in wirtschaftlich und sozial schwierigen Zeiten gehört zu werden ist umso schwieriger, wenn es von Gebrüll der PopulistInnen übertönt wird.
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