Brexit sei Dank
Das Brexit-Votum war ein unerwarteter Erfolg populistischer Politiker, die aber schon am Wahltag ratlos wirkten. Die Sorge, dass die EU zerbröckelt, hat der Brexit jedenfalls nicht wirklich befeuert. Im Gegenteil, ein sanfter Stimmungswandel ist zu verzeichnen. Und die Politik versteht es als Warnsignal
zugunsten eines anderen Kurses. Reiben sich die Populisten dennoch zurecht die Hände? Text: Muhamed Beganovic, Foto: Eva Vasari
Werner Thomas Bauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Österreichischen Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung und ein Experte für Populismus, ist gerade von einer dreimonatigen Recherche-Reise quer durch Europa zurückgekehrt. Der Ethnologe war unterwegs, um populistische Strömungen zu erforschen. Er hat vorgefunden, was Pelinka beschreibt. „Europa ist zersplittert und tief gespalten“, sagt er. Das bereite ihm Sorgen. Denn es wird den Einfluss populistischer Parteien in den jeweiligen Ländern nur verstärken. „Bevor man die Bedrohung populistischer Parteien verstehen kann, muss man zuerst die Parteien selbst verstehen“, sagt Bauer.
Unterschiedliche Wurzeln
Historisch betrachtet sind viele (rechts-) populistische Parteien aus Mitgliedern ehemaliger faschistischer Parteien entstanden, was ihren Hass auf „Andere“ erklärt. Doch das trifft nicht immer zu. Die britische UKIP wurde aus extremer Abneigung gegen die EU gegründet. Die deutsche AfD schoss sich auf eine angeblich verfehlte Flüchtlingspolitik ein. Das ist, so Bauer, tendenziell rassistisch, aber nicht faschistisch. In den Niederlanden wiederum bedient Geert Wilders’ PVV die islamophoben Gefühle, sagt Ineke Van der Valk, eine Sozialwissenschaftlerin, die mehrfach zum Thema publiziert hat. „Natürlich spiele auch immer eine gewisse Angst vor dem Terror mit, sagt van der Valk, aber diese Angst wird ganz kalkuliert angesprochen. Mit der Nähe zur NS-Ideologie wie jene der deutschen NDP habe das aber nichts zu tun, ergänzt Paul Lucardie. „Wilders hat stets Mitgliedern aus faschistischen Parteien den Zutritt in seiner eigenen Partei verwehrt“, erklärt der Politologe von der Universität Groningen. „Doch das war auch nicht schwer, denn es gibt sehr wenige solche Parteien in den Niederlanden. Die wichtigste, die NVU, hatte nie mehr als 100 Mitglieder. Wilders mögen sie schon allein wegen dessen Pro-Israel Einstellung nicht.“ Was all diese vereint, ist jedoch ihre Euro- Skepsis und ihr Ziel, aus der EU auszutreten. Im Europäischen Parlament haben sie sich dafür nach mehreren Anläufen eigens zu einer Fraktion zusammengeschlossen.
Wer will noch gehen?
Der Brexit-Entscheid hat viele Menschen wachgerüttelt. Welche Auswirkungen der Austritt haben wird, war aber vielen nicht klar. Selbst UKIP-Leuten nicht, wie noch am Wahltag erstaunlicherweise zu vernehmen war. Ein Stopp der Zuwanderung auf Null sei doch nicht ganz so wörtlich zu nehmen, meinten sie. Und, dass entfallende Zahlungen an Brüssel nun direkt in britische Sozialkassen gingen, stellte sich auch als ziemlich fahrlässige Versprechung heraus. Es kommen enorme Kosten auf die Briten zu, langwierige Verhandlungen mit Brüssel und den Mitgliedsländern, um wieder einen Zugang zum Wirtschaftsraum zu erhalten. Dafür wird man Milliardenbeträge locker machen müssen, nur mit dem Unterschied, dass man im Gegenzug nicht mehr mitreden kann. Der Einbruch des britischen Pfund, die Abwanderungspläne von Firmen und Banken, die zurückgeschraubten Investitionspläne der Wirtschaft, all das scheint den Appetit von über die EU erbosten BürgerInnen in anderen europäischen Ländern etwas gemindert zu haben. Was aber, wenn doch auch andere Länder es den Briten gleichtun wollen? Was würde das für die Zukunft der EU bedeuten? Zerbricht sie dann? „Wenn es bei einzelnen, kleineren Ländern bleibt, wären die Folgen kalkulierbar. Doch sollte sich eines der Gründungsmitglieder für einen Austritt entscheiden, wäre das katastrophal“, so Bauer. Der österreichische Politologe Anton Pelinka hält solche Abstimmungen in den Niederlanden und in Frankreich noch am ehesten für vorstellbar, jedoch derzeit für sehr unrealistisch. Erst jüngst wurde ein solches Referendum in den Niederlanden abgewiesen. „Geert Wilders hat in der Zweiten Kammer des Parlaments einen Antrag auf ein Referendum über die EU Mitgliedschaft der Niederlande gestellt. Lediglich Mitglieder seiner eigenen Partei und zwei Abgeordnete, die sich von der PVV abgesplittert hatten, stimmten dafür“, sagt Ineke Van der Valk. Das sind lediglich 17 von 150 Stimmen. „Der Brexit hat sicherlich zu dieser großen Mehrheit gegen ein Referendum beigetragen“, so Van der Valk. Auch um Ost-Europa, wo populistische Strömungen nicht weniger bekannt sind als im Westen, müsse man sich keine Sorgen machen. „In Mittel- und Osteuropa ist der Nationalismus in seiner altmodischen Art lebendig. Das ist nicht ohne Bedeutung für die EU, deren Konzept die Überwindung aller Nationalismen ist. Aber die Staaten Mittel- und Osteuropas profitieren derzeit noch viel zu stark von den finanziellen Zuwendungen der EU, als dass ich mit einer realen Austrittsbewegung rechne“, so Pelinka. In Frankreich sei die Lage hingegen ernst. „Frankreich ist ebenfalls ein ‚Austritts- Kandidat’, vor allem, weil der Front National sich ausdrücklich am Austritt aus der EU orientiert und damit die Wahlen 2018 gewinnen könnte“, schätzt Pelinka. Es gäbe jedoch einen Weg, einen Wahlsieg zu verhindern. „Die gemäßigten Linken oder Rechten müssten versprechen, nach einem Wahlsieg ein Plebiszit über den Verbleib durchzuführen, um so Le Pen das entscheidende Argument wegzunehmen, so wie das David Cameron wegen des Aufstiegs der UKIP gemacht hat“, sagt der Politologe.
Neoliberale Gründe
Werner T. Bauer blickt pessimistisch in die Zukunft, sollte sich die etablierte Politik nicht ändern. „Erfolgreiche, bewährte Strategien gibt es nicht“, sagt Bauer. Er erzählt vom Beispiel Wolfgang Schüssel, der die FPÖ entzaubern wollte, indem er sie in die Verantwortung zog - ein wenig erfolgreiches Rezept. Stephan Schulmeister, einer der renommiertesten Ökonomen Österreichs mit ausgeprägtem politischen Verständnis, hat eine These. „Normalerweise erklärt man Populismus mit den gängigen Angst-Faktoren wie Flüchtlinge. Aber wenn man sich fragt, woher Wut und Verbitterung entstehen, da kommen wir ganz schnell zur neoliberalen Politik, von der Entfesselung der Finanzmärkte bis zum Sozialabbau“, so Schulmeister. Die dadurch geschaffenen Probleme wie Arbeitslosigkeit, sozialer Abstieg und Armut bilden den Nährboden für Populismus. Schulmeister macht die in den letzten 20 Jahren zunehmend neoliberale Politik der regierenden Parteien in Europa dafür verantwortlich, dass Populismus so viel an Boden gewinnen konnte. In seinem optimistischen Szenario sieht er eine Chance zur Umkehr. „Der Erfolg der populistischen Parteien könnte dazu führen, dass die etablierten Parteien endlich erkennen, dass es sich um einen Überlebenskampf handelt. Sie könnten dann zusammenrücken. Zuerst müssten die Christ-Demokraten und die Sozial-Demokraten erkennen, dass die Sparpolitik die soziale Ungleichheit verstärkt hat und dass es Zeit ist die alte Finanzpolitik über Bord zu werfen“, so der Ökonom. Seine pessimistischere Prognose erinnert an die politische und wirtschaftliche Lage der Dreißiger Jahre. Tatsächlich sei es also so, dass die Populisten bereits über genügend Macht verfügen, um die EU zu zerstören. Am Willen daran fehlt es nicht. Ihre kontinuierlich steigende Popularität sollte ebenfalls nicht unterschätzt werden. Solange die etablierten Parteien an ihrem Kurs festhalten, sorgen sie dafür, dass diese Entwicklung weitergeht. Paul Lucardie plädiert dafür, populistischen Parteien auf nationalem Niveau entgegenzutreten. Der Einfluss des belgischen rechtsextremen Vlaams Belang (VB) wurde etwa durch die national aufgestellte Neu-Flämische Allianz (NVA) gestoppt, die so etwas wie einen „humanitären Nationalismus“ rechts der Mitte vertritt und zeitweise mit den Christdemokraten koaliert. In Spanien und Irland übernahmen linke Bewegungen wie Podemos und Sinn Fein selbst populistische Parolen und konnten damit immerhin den Vormarsch rechter Kräfte eindämmen. Ob diese Politik eine Zukunft hat, wird seither heftig diskutiert.
Entschiedenere Politik
Auch Ineke Van der Valk macht sich so ihre Gedanken: „Ein wichtiger Schritt könnte sein, dass die demokratischen Parteien klar gegen anti-demokratische Standpunkte und auch ganz entschieden gegen das Verbreiten von Hass Stellung nehmen. Zugleich ist es eminent wichtig, den Menschen mehr Vertrauen in die Zukunft zu geben. Dafür müssen sie zeigen, dass es auch positive Entwicklungen gibt und nicht nur negative“, so Van der Valk. Wie wird es mit Europa weitergehen? Die Europäische Union könnte sich in „konzentrischen Kreisen“ weiterentwickeln, prognostiziert Pelinka. „Einige Staaten werden sich, in der Außen- und Sicherheitspolitik, etwa in Fragen der Sicherung der EU-Außengrenzen, weiter integrieren. Andere werden sich absentieren, wie das auch im Falle der Währungsunion schon jetzt der Fall ist.“ Werner T. Bauer sieht nur eine Möglichkeit: „Langfristig gesehen werden sich die Politiker der etablierten Parteien stärker ‚unter das Volk‘ begeben müssen. Und sie werden in der Kommunikation mit den Menschen sowohl die rationale als auch die emotionale Ebene stärker ansprechen müssen“. Was, wenn nichts davon geschieht? „Dann gibt es keinen Anlass für Optimismus“, so Bauer.
Rechtspopulistische Fraktionen im Europäischen Parlament: Nun hat es also gereicht für die Fraktionsstärke. Das Europäische Parlament hat nun zwei Fraktionen, die nach einigen Querelen und über Jahre gegründet wurden. Es braucht Abgeordnete aus mindestens sieben Mitgliedsstaaten, um sich zusammenzuschließen. Dass einige der Parteien am Austritt oder der Zerschlagung der Institution arbeiten, in der sie selbst ihr Mandat vertreten, ist demokratiepolitisch zumindest kurios. Die bekannteste Fraktion der Populisten heißt „Europa der Nationen und der Freiheit“. Sie wurde 2015 von Abgeordneten des Front National, der FPÖ und der Vlaams Belang gegründet, nachdem sie seit der Auflösung der kurzlebigen Fraktion „Identität, Tradition, Souveränität“ praktisch fraktionslos wurden. Sie besteht aus 39 Mitgliedern aus neun Ländern. Prominente Parteien, die der Fraktion angehören: FPÖ, Front National, Lega Nord, AfD, Wilders Partei für die Freiheit (PVV), Vlaams Belang. Daneben gibt es auch noch die Fraktion „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“, die nach den Parlamentswahlen 2014 als Nachfolgerin der Fraktion „Europa der Freiheit und der Demokratie“ gegründet wurde. Sie ist ein Sammelbecken für EU-Skeptiker- Innen und rechte (oder ideologisch schwankende) Populisten wie etwa dem italienischen Movimento 5 Stelle. 46 Abgeordnete aus neun Ländern arbeiten daran, dass es die Institution, die sie vertreten, so nicht mehr gibt. Weitere Parteien sind UKIP, die rechtsnationale polnische KORWiN, die zuvor bereits am Einspruch Geert Wilders an einem Fraktionsbeitritt gescheitert war, sowie versprengte Abgeordnete, die sich etwa vom Front National oder der AfD abgespalten haben.
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