Die Psychologie des Populismus
Lassen sich Wähler populistischer Parteien argumentativ überzeugen? Die Psychiaterin Elisabeth Skale über ungezügelte Emotionen, verfehlte Leistungsansprüche und den Versuch, zivilisatorische Leistungen unserer Gesellschaft auszuhebeln. Interview und Fotos: Kathrin Wimmer
Viel wird diskutiert über die Verschiebung der WählerInnen hin zu rechtspopulistischen Parteien. Sehen Sie abseits der politischen Themen eigentlich eine Psychologie des Populismus?
Mir fällt auf, dass Rechtspopulisten zuerst immer Angst schüren und danach sehr einfache Antworten anbieten. Dabei werden Ängste angesprochen, von denen man weiß, dass sie in allen Menschen vorhanden sind. Jeder hat Angst vor Fremdem und Fremden. Es gibt in allen so etwas wie Neid auf andere, denen es besser geht, es gibt Angst vor Übergriffen und vor Aggression. Diese Ängste sind unbewusst ständig in uns anwesend, genauso wie die eigene Aggression. Diese Affekte sind auch ein wichtiger Motor für unsere Kultur und Zivilisation. Um menschlich zu sein, haben wir moralische und ethische Grundsätze formuliert und versuchen, diesen zu entsprechen. Um ursprüngliche Gefühle wie Neid, Eifersucht, Aggression und Missgunst zu bekämpfen, haben wir uns Regeln auferlegt und Gesetze erlassen. Das ist die Funktion der Erziehung und der Zivilisation und ich glaube, in diese Dynamik stoßen populistische Redner und versuchen diese zivilisatorische Leistung aufzuweichen und auszuhebeln.
Worauf zielen rechtspopulistische Parteien dabei ab?
Sie erzeugen Angst, um danach ‚unzivilisierte Lösungen‘ anzubieten. Das heißt, alles das, was wir uns verbieten, sprechen sie aus. Durch die Angst, die erzeugt wird, entsteht eine Gruppe von gleichgesinnten ZuhörerInnen und ‚Populisten‘ können sich an die Stelle dessen setzen, was wir in der Psychoanalyse als Über-Ich oder als innere, moralische Instanz verstehen. Dadurch können sie dem Einzelnen vieles erlauben, was er sich üblicherweise verbietet, oder was man auch Kindern verbietet, wie neidisch, aggressiv und missgünstig zu sein, Schwächere schlecht zu behandeln, auszuschließen und auszugrenzen oder gar sie zu verletzen oder im Extremfall zu töten. Freud hat das sehr schön in seiner Arbeit ‚Massenpsychologie und Ich-Analyse‘ beschrieben: es kommt zu einer Verbindung zwischen Einzelnen, durch eine gemeinsame Idee oder eine gemeinsame Angst, wodurch eine ‚Masse‘ gebildet wird, und die Masse delegiert dann ihre Gewissensfunktion an den Führer. Die Mitglieder wollen einerseits alle so sein wie dieser Führer und andererseits kann er sie auch von jeglichen Gewissensbissen und Zweifeln erlösen, indem er sagt: ‚Das ist in Ordnung, weil aus dem und dem Grund können wir hemmungslos jemanden anderen als schlecht, stinkig und minderwertig klassifizieren und entsprechend handeln. Das widerspricht nicht unseren Grundsätzen. Im Gegenteil, alle die, die ethische Grundsätze aufrechterhalten, werden dann üblicherweise diffamiert und als naive Gutmenschen bezeichnet, die schon sehen werden, wie sie untergehen, wenn das Böse oder Fremde Überhand nehmen wird.
Auf diese Art der ‚Gewissensentledigung‘ scheinen viele gewartet zu haben.
Wir alle haben etwas Fremdes in uns, nämlich all das, das uns nicht bewusst ist und vor dem wir uns alle fürchten. Wir fürchten uns vor unbewussten Wünschen, vor aggressiven, letztlich auch vor unseren sexuellen Wünschen. Eine Möglichkeit, mit dem Fremden in uns umzugehen, wird oft praktiziert, indem alles Aggressive und Sexuelle in die Anderen, in die Fremden hineingedacht wird. Durch diesen Prozess sind dann die Fremden die Aggressiven oder die sexuell Gefährlichen, die eindringen, alles beanspruchen und ‚die Frauen wegnehmen‘. Wobei die Gruppe der ‚Fremden‘ jeweils von den Populisten oder Diktatoren definiert wird: Juden, ‚Ausländer‘ oder Asylbewerber. Jetzt ist es wieder genauso. Und was ich dabei spannend finde ist, dass damit das Gewissen so unterlaufen wird und jeder hemmungslos irgendwelche – meines Erachtens – total haltlose, unanständige und verwerfliche Sachen gegen andere Menschen sagen kann und sich noch gut dabei vorkommt.
Liegt das an unserer Zeit und den gesellschaftlichen Strukturen, oder funktioniert Populismus immer?
Ich glaube, das funktioniert immer. Aber es spielen vielleicht nicht immer alle mit. Im Moment macht es den Eindruck, dass ziemlich viele mitspielen. Selbst die Medien spielen bis zu einem gewissen Grad mit, indem sie unnötig viel darüber berichten. Negative Aussagen kriegen beispielsweise unverhältnismäßig viel Platz, oft unter dem möglicherweise gutgemeinten Deckmantel der Empörung. Man könnte solche Meldungen einfach ignorieren, dann gäbe es keine Verbreitung. Ich glaube, dass man zum Beispiel terroristische Akte dadurch fördert, dass man hunderttausende Male diese schrecklichen Bilder, von ‚geglückten‘ Attentaten reproduziert. Wenn es nicht die Hoffnung gebe, dass solche Bilder für Stunden in internationalen Medien sind, genau dieser Moment, indem sich ein Mensch in die Luft sprengt, wäre das vielleicht auch für die, die ihn dazu bringen, nicht mehr interessant. Durch diese Sensationsgier und gefeierte Aggressivität wird das alles perpetuiert und aufgeheizt. Es gibt offenbar keine Idee mehr von aktueller Berichterstattung mit konstruktiven Inhalten. Eine Studie wäre interessant, in welchem Verhältnis in der Presse Berichte über destruktive Aktionen zu konstruktiven Berichten standen und wie das mit der jeweiligen politischen Situation korrelierte. Die Boulevard-Presse ist ein sehr interessantes, gefährliches Phänomen im Zusammenhang mit dem Populismus und offenbar ist nicht nur Österreich, mit seiner nationalsozialistischen Geschichte dafür anfällig, sondern, wie wir erst jüngst gesehen haben, auch zum Beispiel England.
Wo liegt der Unterschied zwischen linken und rechten Populisten?
Die Linke argumentierte immer wieder mit Hoffnung auf ein besseres Leben, auf eine konstruktive Zukunft, auf Gleichheit, Freiheit und Integration. Während die Rechten tendenziell Hass, Neid, Zwietracht schüren, Vernichtungsängste und Angst vor dem Anderen wecken, eher gegen anonyme Andere ‚kämpfen‘, also einen paranoiden Diskurs führen, der allgemeines Misstrauen und Aggression schürt. Die Zukunft wird oft in einer verlorenen, angeblich viel besseren Vergangenheit gesucht. Auf Ängste kann man zum Einen paranoid reagieren: dass immer jemand schuld ist, dass man untergehen wird, dass von den anderen so viel Missgunst kommt, dass man verfolgt wird und dass man deshalb alles dagegen tun muss – selbst zu töten scheint gerechtfertigt, nur um sich gegen diese imaginierten Feinde zu schützen. Es gibt aber auch einen anderen Weg, auf Ängste zu reagieren. Zum Beispiel, sich eine schönere Zukunft zu fantasieren, oder die Leute zur Geduld und zur Solidarität aufzurufen, denn gemeinsam sind wir stark und können die Situation verändern.
Wenn ich zu meinen Eltern aufs Land nach Oberösterreich fahre, habe ich den Eindruck, dass die jungen Menschen mit den ‚Alten’ übereinstimmen. Sie teilen dieselben Ängste und geben sich mit den einfachen Antworten zufrieden. Woher kommt das?
Es ist natürlich bequem, die Schuld für das eigene vermutete oder vermeintliche Versagen jemandem anderen zu geben. Mir kommt vor, Leute, die zufrieden mit ihrer Situation sind, die gerade einen spannenden Beruf haben, etwas erreicht oder geleistet haben, reden nicht so. Also wenn man halbwegs eine Idee von dem hat, was man will und was einem wichtig ist, glaube ich nicht, dass man sich mit solchen dummen Sprüchen aufhält. Die, die verzagt sind oder orientierungslos, holen sich solche Argumente. Vielleicht weil sie sich eigentlich selbst vorwerfen, dass sie nichts zusammenbringen. Für sie sind dann die Flüchtlinge die, die sich anstrengen müssen. Aber natürlich ist Arbeitslosigkeit ein wichtiger Punkt. Arbeitslosigkeit geht mit einer Hoffnungslosigkeit einher und einem Selbstwertverlust. Man kann sich weder finanziell noch persönlich bewegen, alles ist durch die Situation eingeschränkt und es scheint sehr verlockend, einen Schuldigen zu finden.
Ist es unfair zu sagen, dass Populisten schlau sind, aber ihre WählerInnen nicht?
Die Populisten sind natürlich schlau, sie nützen die bestehende Angst und dann präsentieren sie sich als große Retter. Sie nutzen Ängste hemmungslos aus, aber Angst hat nichts mit Klugheit zu tun, Angst haben wir alle. Die zackige, aggressive Diktion, die beispielsweise HC Strache benutzt, spricht, glaube ich, hauptsächlich junge Männer an, die wenig Selbstbewusstsein haben und sich an jemandem aufrichten, der sich traut, so zu reden. Populismus ist auf jeder Ebene eine Demontage von Strukturen, im Gespräch und auch in der Demokratie. Unter falschem Namen läuft da etwas, das aussieht wie direkte Demokratie, mit Demokratie aber überhaupt nichts zu tun hat. Das ist Mob. Hannah Arendt hat beschrieben, wie man die Presse beeinflusst und dann möglichst alle, die überhaupt keine Ahnung von der Sache haben, ihre Meinung sagen lässt. Eine Meinung, die vorher sehr kalkuliert implantiert worden ist. Demokratie wird so zu einem ausgehöhlten Begriff, der verwendet wird, um zu manipulieren. Diese Destruktion der Sprache und speziell der Grundwerte ist höchst gefährlich. Ziel ist es, durch Sprache Hass zu transportieren. Dabei wird die Sprache zerstört, indem man den Inhalt herausnimmt und nur noch Hülsen übrig bleiben. Das ist ein interessantes Phänomen.
Und alle anderen beten diese leeren Phrasen nach?
Ja, eigentlich erstaunlich. Aktuell besonders erschreckend finde ich die Forderung nach der direkten Demokratie. Eine Abschaffung der repräsentativen Demokratie und das geschürte Misstrauen gegenüber den politischen Parteien hat in den Dreißiger Jahren zu dieser schrecklichen Entwicklung des Nationalsozialismus geführt. Rechte Kräfte ‚zündeln‘ ja ständig damit, der Verfassungsgerichtshofs war damals Zankapfel, wie auch die Verfassung. Es geht immer gegen das kontrollierende Organ und gegen die Struktur, innerlich und äußerlich. Der Verfassungsgerichtshof ist sozusagen das Gewissen des Staates, das sagt, was wirklich rechtens ist oder nicht.
Mein Onkel wählt seit Jahren die FPÖ und gibt bei jeder Gelegenheit seine hohlen Phrasen wieder. Egal, wie sehr ich mich bemühe, ihm argumentativ zu begegnen, am Ende steht immer sein Satz: ‚Du willst mich nicht verstehen!‘ Ich kenne viele, die so reagieren. Wie begegnet man Menschen, die sich solcherart ihre eigenen Wahrheiten zurechtlegen?
Das zählt zu dem, was ich paranoid genannt habe. Ich würde versuchen, herauszuhören, wo sich jemand gefährdet fühlt. Und dann einmal bestätigen, dass er oder sie Angst hat und sich möglicherweise in seiner Situation bedroht fühlt. Es ist vor allem die Bedrohung, die paranoide Ideen erzeugt. Daher ist es wichtig, über diese Bedrohung zu sprechen. Jeder Mensch hat Angst vor der Begegnung mit dem Neuen. Anders ist das, wenn jemand schon seit Jahren eine rechte Partei wählt, die Themen wie Asylwerber für ihre Zwecke populistisch ausnützt. Das meine ich nicht. Ich spreche vor allem von Menschen, die erst durch die aktuelle Situation für nationalistisches, rechtspopulistisches Gedankengut anfällig werden. Ich denke nur diesen Menschen könnte man argumentativ begegnen, und klar machen, dass von Asylwerbern nicht mehr Gefahr ausgeht als von ‚Nicht- Flüchtlingen‘. Dass man sich nicht mit diesen Kopflosen zusammenschließen muss, um geschützt zu sein. Es ist ja bekannt, dass in Gemeinden, wo viele Flüchtlinge aufgenommen wurden, die Stimmung besonders gut ist und die ‚Blauen‘ sogar weniger Zuspruch haben. Wenn es gelingt, das Stigma ‚Flüchtling‘ zu vermeiden und Asylwerbende in die Gemeinschaft zu integrieren, wird wohl kaum jemand mehr für solche Rhetorik empfänglich sein.
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo