Ungarisches Roulette
SPOTLIGHT. Als Bürgermeisterin übernahm sie Verantwortung und nahm in ihrer kleinen Gemeinde syrische Flüchtlinge auf. Bald darauf sollten fünf von ihnen nach Ungarn abgeschoben werden. Dagegen wehrte sich Angelika Schwarzmann mit guten Gründen. Sie erhielt den Ute-Bock-Preis 2016. Text: Bianca Said
Durchaus launig nahm Angelika Schwarzmann, Bürgermeisterin der kleinen vorarlbergischen Gemeinde Alberschwende, den Ute-Bock-Preis 2016 entgegen. Schon als Kind habe sie als die „Bockigste“ in ihrer Familie gegolten, nun sehe sie diesen Preis als ganz große Ehre an. Das bewusste Understatement ehrt indes den Menschen Angelika Schwarzmann. Vor rund einem Jahr, im März 2015, verfasst die ÖVP-Bürgermeisterin gemeinsam mit dem örtlichen Pfarrer sowie BürgerInnen der Gemeinde einen offenen Brief, der an eine mutlose und „unehrliche hohe Politik“ gerichtet ist. Das Schreiben, das als „Manifest“ tituliert ist, sucht seinesgleichen. Es ist die außergewöhnliche Artikulation des Unbehagens, das die BürgerInnen von Alberschwende erfasst hat. Sie haben eine kleine Gruppe syrischer Asylwerber aufgenommen, weil es hieß, die Gemeinden sollten Verantwortung übernehmen. Die Männer werden vom ersten Tag an in das Gemeinwesen einbezogen, vom Fußballplatz bis zur Pfarre, und aus den „Asylanten“, die man vor allem im negativen Kontext aus den Medien kennt, werden Menschen, zu denen die Alberschwender Zutrauen fassten. Schwarzmann spricht von neuen Mitbürgern, weltoffenen, jungen Männern, die mithelfen im Dorf, und wiederum auf eine Welle der Solidarität treffen. Als das Innenministerium die Leute nach Ungarn abschieben will, ist Schwarzmann nicht bereit, die Menschen an ein Land auszuliefern, das die Flüchtlinge menschenunwürdig behandelt. Die Bürgermeisterin und viele der EinwohnerInnen des Dorfes stellen sich im Namen der Menschlichkeit gegen die Abschiebung. Im Manifest wird beschrieben, wie einer der Männer, Ibrahim, ein Physiker, in Ungarn bei der Ankunft mit 14 anderen Menschen in einen 3 mal 3 Meter großen Käfig gesperrt wird. Zum Urinieren wird ihnen eine Flasche durch das Gitter gereicht. Die ungarischen Behörden zwingen die ersten unter Schlägen, Dokumente zu unterschreiben. Andere unterzeichnen danach freiwillig. Die kleine Gruppe von Asylwerbern kann sich in der Folge nach Österreich absetzen. Nun sollen sie wieder zurück. Das System Dublin und seine Kettenabschiebungen werden im Manifest als „ungarisches Roulette“ bezeichnet. Selten konnte man in so nüchternen Worten lesen, was es heißt, als Flüchtender in die Mühlen des europäischen Flüchtlingssystems zu geraten. Für Ibrahim setzt sich der Albtraum fort. Er, der in seinem Heimatort in der Nähe von Damaskus, täglich zerfetzte Leichen bergen muss und schließlich die Einberufung zum Kriegsdienst erhält, ist nicht bereit, auf seine Landsleute zu schießen. Er will nicht an diesem Krieg teilnehmen. Als seine Frau und Kinder in Sicherheit sind, wagt er die Reise nach Europa. Mit Bürgermeisterin Angelika Schwarzmann und den engagierten BürgerInnen von Alberschwende findet er endlich eine Anlaufstelle, die wieder positive Erfahrungen und Vertrauen ermöglicht. Aber auch aus Sicht der vorarlbergischen Gemeinde ergibt die angeordnete Abschiebung keinen Sinn. Durchaus nachvollziehbar bezeichnet Schwarzmann in dem offenen Brief die geforderte Rückführung nach Ungarn als „Angriff auf unsere Bemühungen“. Die Aufnahme der Flüchtlinge durch die 57-jährige Bürgermeisterin war zu Beginn klar politisch motiviert, um auch für ihre Gemeinde Verantwortung zu übernehmen. Doch am Ende ist es wohl ein tiefer Humanismus, der sie zum mutigen Schritt des Protests bewegt. Die Mutter von vier Kindern nimmt dabei auch einiges Risiko auf sich. Im Gemeinderat gerät sie zum Teil unter Druck, man wirft ihr vor, sich zu sehr in diese Richtung zu engagieren. Und in einer Nacht kommt es zu einem Zwischenfall, als eine kleine Gruppe alkoholisierter junger Männer durch eine Störaktion auffällt. Sie reißen „Wir sind Asyl“-Plakate von den Wänden und versuchen in das Haus zu gelangen, in dem die Syrer untergebracht sind. Laut Zeugen sollen Worte wie „Drecksjuden“ gefallen sein. Erst kürzlich wurden zwei der Burschen gerichtlich verurteilt, sie sprachen eine Entschuldigung aus. Bei ihrer Dankesrede ging Schwarzmann, die seit 2013 das Amt der Bürgermeisterin innehat, auf diese Dinge nicht mehr ein. Ihr geht es primär um die Menschen, nicht um Politik.
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