Kein Platz für Madalena
Seit Jahren bemüht sich Linz, möglichst unattraktiv für Armutsreisende zu werden. Madalena kommt trotzdem immer wieder. Sie will die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht aufgeben. Die junge Frau lebt am Rand der Gesellschaft und doch mitten unter uns. Text: Christian Diabl
Als die 20-jährige Madalena zum Interview kommt, wirkt sie verstört und eingeschüchtert. Ein Mann hat ihr gerade direkt ins Gesicht gebrüllt und drohend die Hand erhoben, mitten am Tag, mitten in Linz. Ihr eineinhalb Jahre alter Sohn hat vor Schreck zu weinen begonnen, er war kaum mehr zu beruhigen. Solche Vorfälle häufen sich, erzählt Madalena. Die Stimmung ist feindseliger geworden, besonders gegenüber bettelnden Menschen.
Ein Leben ohne Perspektive
Seit drei Jahren kommt Madalena nun schon mit ihrem Lebensgefährten zum Betteln nach Linz. Die junge Romnija ist eine von rund 150 Armutsreisenden, die sich zeitweilig hier aufhalten. Wie die meisten von ihnen stammt sie aus Brasov, einer Stadt mit 250.000 EinwohnerInnen im rumänischen Siebenbürgen. Dort teilt sich Madalena mit ihrer Familie ein kleines Haus am Stadtrand. Insgesamt 15 Personenleben auf engstem Raum, darunter sechs Kinder. Arbeit hat niemand. Madalena war zwar vier Jahre in der Schule, hat aber keine weitere Ausbildung und auch noch nie einen richtigen Job gehabt. Damit ist sie keine Ausnahme. Viele von Armut betroffene Roma leben in Ghettos und Elendsquartieren am Rand der Gesellschaft. Sie werden systematisch diskriminiert und haben kaum Perspektiven auf ein besseres Leben. Die Sozialhilfe reicht nicht aus: eine drei-köpfige Familie bekommt gerade einmal 69 Euro im Monat. Manche betteln, weil sie sonst die Miete oder eine dringende Operation nicht zahlen können. Andere wollen heiraten. Egal welche Pläne man hat, das Betteln in reichen EU-Staaten ist oft der einzige Weg, sie realisieren zu können. Madalena geht es vor allem um ihren kleinen Sohn. Er soll es einmal besser haben, in die Schule gehen und irgendwann nicht mehr auf das Betteln angewiesen sein. Deshalb kommt sie nach Linz.
BettlerInnen sind nicht willkommen
Erwünscht ist Madalena hier nicht, willkommen schon gar nicht. Wie andere Bundesländer auch, hat Oberösterreich viel getan, um Armutsreisende fernzuhalten und die Möglichkeiten legal zu betteln immer mehr eingeschränkt. Seit 2011 ist „aufdringliches“, „aggressives“ und „organisiertes“ Betteln sowie Betteln mit Kindern verboten. Das wird mit einer Strafe von 100 Euro geahndet. 2014 erweiterte der Landtag das Bettelverbot noch um das „gewerbliche“ Betteln. Eine eigene Bettler-Datenbank erfasst seitdem alle bettelnden Menschen, die im Wiederholungsfall als gewerbsmäßig gelten und bestraft werden können. Gemeinden haben außerdem die Möglichkeit, zeitlich und örtlich begrenzte – sogenannte sektorale – Bettelverbote zu erlassen. Auch Madalena hat schon einige Strafen gesammelt, meist, weil sie ihren Sohn beim Betteln dabei gehabt hat. Sie kennt das Verbot zwar, meint aber, keine andere Wahl zu haben. Ihr Sohn sei noch zu klein, um ihn wegzugeben. Und weil sie mit ihm nicht still betteln dürfe, müsse sie in Bewegung bleiben, die Menschen direkt ansprechen und sich möglichst nicht dabei erwischen lassen. Das klappt nicht immer und jede Strafe ist ein Rückschlag. Trotzdem kommt die kleine Familie regelmäßig, denn anders als in Rumänien, besteht hier zumindest die theoretische Chance auf eine positive Veränderung in ihrem Leben. Diese Hoffnung treibt sie an.
Leben als Bettlerin in Linz
Madalena verbringt meist drei bis vier Wochen in Rumänien, dann ist sie etwa ebenso lange in Österreich. Wie groß der Leidensdruck sein muss, lässt sich erahnen, wenn sie von ihrem Leben in Linz erzählt. Denn für die Möglichkeit zu betteln nimmt sie einiges in Kauf. Als EU-Bürgerin darf Madalena zwar einreisen, hat aber keine Ansprüche auf Sozialleistungen und auch keinen Zugang zu Hilfseinrichtungen wie Wärmestuben oder Notschlafstellen. Mit Ausnahme der Winternotversorgung der Caritas, wo man an drei Vormittagen in der Woche duschen, waschen und essen konnte, sind die Armutsreisenden den größten Teil des Jahres auf sich alleine gestellt. Sie schlafen in Abbruchhäusern oder zelten neben der Autobahn. Immer auf der Hut vor der Polizei und der Stadtwache, es wird sofort geräumt, wenn sie entdeckt werden. Die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal, waschen können sich die Leute nur in Flüssen oder öffentlichen Toiletten. Besonders den Kindern merkt man diese Lebensumstände an, sie sind gerade im Winter ständig krank. Ihre Tage verbringen die Menschen in Parks und vor allem mit Betteln. Früher konnten sie an einem guten Tag bis zu 30 Euro bekommen. Aber in letzter Zeit wird es immer weniger, erzählt Madalena. Sie führt das auf die vielen Flüchtlinge zurück, denen die Menschen lieber helfen würden als ihr. Von den heftigen Diskussionen über Armutsreisende bekommt sie kaum etwas mit.
Unwissen und Hetze
Betteln wird in Oberösterreich vor allem als sicherheitspolitische – und nicht als sozialpolitische Herausforderung gesehen und diese Grundhaltung prägt den gesamten Diskurs. Daran haben auch die mahnenden Stimmen der sozialen und kirchlichen Hilfsorganisationen nur wenig ändern können, ebenso wie die Proteste von KünstlerInnen, Intellektuellen und der Bettellobby. Anstatt soziale Maßnahmen zu setzen, gibt es immer neue Verschärfungen, die meist überhastet beschlossen werden. Mal kommt der Druck von einzelnen Parteien, mal von der Kronen Zeitung, mal von den Geschäftsleuten der Landstraße. Stets werden bettelnde Menschen als Problem wahrgenommen. Es dominieren Unwissenheit und Vorurteile, manchmal auch unverblümte Hetze. So ist der Begriff „Bettelbanden“ bereits fester Bestandteil des Diskurses geworden. Armutsreisende gelten entweder als arbeitsscheue „Berufsbettler“ und damit als Betrüger oder als ausgebeutete Opfer, denen man am besten hilft, indem man nichts gibt. Organisierung wird mit Kriminalität gleichgesetzt, Familie mit Mafia, Armut mit Faulheit. Das Ergebnis ist eine völlige Delegitimierung von Menschen wie Madalena, ihrer Armut, ihrem Anspruch auf ein besseres Leben und ihrem Recht, andere Menschen um Hilfe zu bitten. Spätestens an diesem Punkt wird es gefährlich.
Eine Serie von Brandanschlägen
Im Februar geschah dann das Unfassbare. Unbekannte verübten gleich dreimal hintereinander Brandanschläge auf Zeltlager von Armutsreisenden in Linz. Bis zu 15 Zelte brannten völlig nieder, die Täter konnten bis heute nicht ausgeforscht werden. Madalena und ihre Familie waren von allen drei Anschlägen betroffen und verloren dabei ihr gesamtes Hab und Gut. Besonders bitter: Neben Kleidung, Medikamenten und den Zelten verbrannten auch die Ersparnisse, die sie unter dem Zelt versteckt hatten. Nach dem dritten Anschlag durfte die Familie für ein paar Nächte im ehemaligen Postverteilerzentrum schlafen, das als Durchgangsquartier für tausende Flüchtlinge genutzt wurde. Danach schickte man sie wieder auf die Straße. Der Schock über die Anschläge sitzt immer noch tief. Heute schlafen sie unter einer Brücke in der Nähe der Autobahn.
Ein neues Bettelverbot
Die Linzer Politik verurteilte zwar die Gewalt, Hilfe gab es trotzdem keine, ganz im Gegenteil: Seit 2. Mai gilt in Teilen der Innenstadt ein sektorales Bettelverbot. Damit ist jegliche Form des Bettelns verboten und zwar ausgerechnet auf den Einkaufsstraßen mit der höchsten Frequenz, also genau dort, wo Betteln noch am ehesten Sinn macht. Das sektorale Bettelverbot ist die letzte Schraube, die man noch drehen kann, ohne Betteln generell zu verbieten und damit gegen die Verfassung zu verstoßen, die stilles Betteln als freie Meinungsäußerung ausdrücklich erlaubt. Madalena hat schon vom neuen Verbot gehört, weiß aber noch nicht recht, was das für sie bedeuten wird. Sie müsse sich dann eben neue Plätze suchen, vielleicht auch länger betteln, womöglich intensiver. Ob das in den Nebenstraßen auch funktioniert, weiß sie noch nicht. Erstmal fährt sie zum orthodoxen Osterfest zurück nach Brasov. Wenn sie im Mai wieder nach Linz kommt, wird es für sie noch schwieriger sein.
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