Die Last der Vergangenheit
Der jüngste Verfassungsschutzbericht spricht von einer deutlichen Zunahme rechtsextremer Straftaten in ganz Österreich. Wenn es um einschlägiges Gedankengut geht, taucht das Innviertel immer wieder auf. Wie rechts ist diese Region in Oberösterreich wirklich? Ein Portrait zwischen Turnvater Jahn, Politischem Aschermittwoch und Flüchtlingsinitiativen. Text: Thomas Rammerstorfer
Adolf Hitler wurde in Braunau am Inn geboren, das weiß beinahe jede/r. Nur wenige wissen, dass er dort gerade seine ersten drei Lebensjahre verbracht hat. Man kann also gewiss nicht sagen, dass das Innviertel Hitler geprägt hat. Umgekehrt aber schon, zumindest in Braunau im März. Auf der Rückfahrt von einer einschlägigen Veranstaltung in Vorarlberg besuchen ungarische Neonazis das – wie sie es nennen – „Geburtshaus unseres Führers“, schießen Erinnerungsfotos. Ein unerwünschter Tourismus, wie ihn Braunau öfter erlebt, und wie man ihn auch kaum unterbinden kann. Auch der 1989 vor dem Haus in Stellung gebrachte Gedenkstein (der Fels stammt aus Mauthausen) hat daran nichts ändern können. Zuletzt wurde er im August vergangenen Jahres beschmiert. Die aus Ungarn werden wieder kommen, die aus Deutschland, die aus Österreich und andere. Und die Einheimischen? Die wollen in erster Linie nicht ins Gerede kommen, ihre Ruhe haben. Man hat keine Freude mit dem Geburtshaus, nicht mit den Nazi-Touristen und ebenso wenig mit den antifaschistischen DemonstrantInnen. Die Zukunft des Gebäudes ist noch unklar. Der umtriebige Politikwissenschafter Andreas Maislinger möchte hier ein „Haus der Verantwortung“ sehen. Die derzeitige Besitzerin sperrt sich gegen eine sinnvolle Verwendung, will aber auch nicht an die Republik verkaufen, die ihrerseits einen Ankauf durch NS-affine Kreise fürchtet: Und das Haus deswegen durch Enteignung bekommen will. Entsprechende Verfahren sind am Laufen.
Nachdem Hitler im Zuge des „Anschlusses“ anno ´38 die Grenze vom bayrischen Simbach nach Braunau überschritten hatte, sollten sich auch die ökonomischen Rahmenbedingungenin der Region nachhaltig ändern. Oberdonau, der „Heimatgau des Führers“, wurde industrialisiert und modernisiert. In Braunau entstand auf einem „arisierten“ Grundstück mit dem „Mattigwerk“ (heute Austria Metall AG) der größte Aluminiumkonzern des „Deutschen Reiches“. Auch heute sind hier noch über 1600 Menschen beschäftigt. Obschon die Industrialisierung Oberösterreichs wesentlich mit dem Blut und Schweiß von ZwangsarbeiterInnen und KZ-Häftlingen betrieben wurde, erzeugte sie im Proletariat eine nachhaltige Sympathie für das „Dritte Reich“. „Der Hitler hat Arbeit gebracht“, das ist hier keine Minderheitenmeinung, sondern eine allgemein akzeptierte „Tatsache“. Gute Arbeit, um die man heute kämpfen muss, weil sie schön langsam selten wird, weil „die“ sie einem wegnehmen wollen. So ertönt es auf den realen und virtuellen Stammtischen. „Die“ – das ist die Regierung in Wien, die die ganzen Ausländer reinlässt. Das hört man auch in Ried.
Politischer Aschermittwoch
Hier in Ried hat der „Österreichische Turnerbund“ (ÖTB) eine Halle. Benannt ist sie nach dem „Turnvater“ Friedrich Christoph Ludwig Jahn. Wenn Jahn gerade nicht turnte, verfasste er rassistische und antisemitische Pamphlete. Der ÖTB ist heute noch eine der wichtigsten Massenorganisationen des Deutschnationalismus, im Innviertel ist er mit rund 10 Mitgliedsvereinen besonders präsent. Das bekannteste jährliche Ereignis in der Turnhalle ist aber weniger sportlicher Natur, sondern der „Politische Aschermittwoch“ der FPÖ. Zum 25. Mal findet dieser statt. Zweitausend, trotz Bier nur mäßig beruhigte, ZuhörerInnen haben sich eingefunden, angeblich hätte man heuer doppelt so viele Karten verkaufen können. Nach dem Triumph bei den Wahlen im vergangenen Herbst ist die Stimmung prächtig. Mit Elmar Podgorschek stellen die Rieder nun den „Sicherheitslandesrat“ in der neuen Landesregierung. Der Einfluss der Innviertler innerhalb der Landes- und Bundespartei ist traditionell sehr stark. 1956 wählte man mit Anton Reinthaller einen Rieder zum ersten Bundesparteiobmann, nach seinem Tod übernahm dessen politischer Ziehsohn Friedrich Peter, beides auch ehemalige SS-Mitglieder. Mit Susanne Riess-Passer (Braunau) stellte man die erste Bundesparteiobfrau.
Aus den turbulenten Jahren – Stichwort Knittelfeld – ging schließlich Strache als neuer Stern am blauen Himmel hervor. Seine Installierung wurde wesentlich vom Schärdinger Lutz Weinzinger betrieben. “Jede blonde, blauäugige Frau braucht drei Kinder, sonst holen uns die Türkinnen ein“, offenbarte Weinzinger 2008 als damaliger Landesparteiobmann seine Gesinnung. Sein Sohn Erhard ist heute Vize-Bürgermeister von Schärding und organisiert den „Politischen Aschermittwoch“. Eine Reihe von teils seit Generationen politisch weit rechts positionierten Familien spielen eine herausragende Rolle in der Politik des Innviertels – und darüber hinaus. Die Sprösslinge werden früh in den entsprechenden Milieus, den blauen Parteiorganisationen, dem ÖTB und den pennalen Verbindungen wie „Scardonia Schärding“ oder „Germania Ried“ sozialisiert.
Die Zeit scheint mancherorts still zu stehen: „In den Gegenden und Ortschaften, wo es keinen Strukturwandel gegeben hat, ist das deutschnationale Lager in der Zweiten Republik annähernd gleich stark geblieben wie in der Ersten“, meint Karl Öllinger, Rechtsextremismusexperte, geboren in Ried im Innkreis. So eine Gegend mit sehr hoher Arbeitslosenrate ist Schärding heute.
Hilfsbereitschaft statt rechtsextremer Demos
Die FPÖ spricht vom drohenden Untergang Schärdings. Nein, diesmal war die Stadt am Inn nicht wie schon so oft vom Hochwasser geplagt. Ab Ende 2015 wurden bis zu 300 Flüchtlinge täglich aus Deutschland retour geschickt, 7.000 innerhalb von drei Monaten allein nach Schärding, das gerade 5.000 EinwohnerInnen zählt. Die „Stadt der verlorenen Flüchtlinge“ schrieb die „Krone“. Auf dem Gelände des Altstoffsammelzentrums wurde ein gewaltiges Zelt errichtet.
Und das ausgerechnet hier: Wenn das Innviertel eine Hochburg der FPÖ ist, dann ist Schärding der Bergfried. 38,8 Prozent erzielte man hier bei den letzten Landtagswahlen, das beste Bezirksergebnis in Oberösterreich. Bei den Wahlen zur Bundespräsidentschaft bekam der blaue Kandidat Hofer in einigen Schärdinger Gemeinden deutlich über 50 Prozent – im ersten Wahlgang. Weitverbreitete Xenophobie, Arbeitslosigkeit und Flüchtlingsmassen: Eine explosive Mischung, sollte man meinen. Doch es zündete nicht. Im Gegensatz zu Spielfeld, Salzburg oder bayrischen Grenzorten marschierten im Innviertel keine rechtsextremen DemonstrantInnen auf. Es gab im Innviertel auch keine Anschläge auf Unterkünfte von AsylwerberInnen wie in Wels, Traiskirchen oder Dornbirn. Vielmehr zeigten und zeigen viele Menschen in Braunau, Ried und Schärding heute eine großartige Hilfsbereitschaft.
In Schärding taten die Menschen das, was sie in unvorhergesehenen Notsituationen (die ihnen der hochwasserführende Inn immer wieder – zuletzt 2013 – bereitet) immer tun: Sie packten an. „Die Bevölkerung ist da sehr ruhig und wenig aufgeregt damit umgegangen, hat die Flüchtlinge versorgt“ bemerkt auch Öllinger. Da wurde gekocht, Kleidung gesammelt, Zelte aufgebaut. Neben den Einsatzorganisationen half die Plattform „Willkommen in Schärding“. Schließlich wurde ein „Begegnungsverein“ gegründet, der sich um die Integration der in Schärding verbleibenden Menschen bemüht.
Ried hilft
Transitflüchtlinge sind mittlerweile keine mehr vor Ort. Weshalb auch vier Schärdinger Rotes-Kreuz-MitarbeiterInnen jetzt Zeit haben, in Griechenland zu helfen: Lisa, Gottfried, Jakob und Patrick waren seit Oktober im Bezirk engagiert, nun unterstützen sie mit ihrer Erfahrung das internationale Team in Idomeni. Auch, ja gerade solche Geschichten hört man im Innviertel heute. „Ried hilft“ hat sich gegründet, Braunau hat sich mit der deutschen Schwesternstadt zu „Braunau – Simbach helfen Menschen in Not“ zusammengetan. Mancherorts sperrt man sich erst gegen die Unterbringung von Flüchtlingen, da wird sich gefürchtet und in den „sozialen“ Medien geschimpft und getobt. Aber wenn die Menschen schon mal hier sind, hilft man.
Als „Hitlers Bruthecke“, wie Carl Zuckmayer es bezeichnete, trägt das Innviertel schuldlos eine gewisse Last aus der Vergangenheit mit sich. Damit ist man lange Zeit schlampig umgegangen. Dazu kommen Probleme der Gegenwart, Arbeitslosigkeit, Abwanderung der Jungen und eine von vielen InnviertlerInnen empfundene Benachteiligung ihrer Region gegenüber dem oberösterreichischen Zentralraum. Weder in die Landes- noch in die Bundesregierung hat man viel Vertrauen. Wer von außerhalb kommt, egal ob von Afghanistan, Syrien oder gar aus Linz, dem wird zu Lebzeiten kein Platz am Stammtisch vom Dorfwirtshaus angeboten werden. Als Kellner würde man ihn aber wohl akzeptieren.
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo