Gesinnungsfeinde
CLARTEXT. …und so schont man seine Nerven und kennt bald nur noch Gesinnungsfreunde. Ich habe auch „Freunde“, die dem rechten Lager zuzuordnen sind. Aber löschen konnte ich sie bisher nicht. Clara Akinyosoye sagt es nicht durch die Blume. Eine Kolumne über Diversität und Migration.
Barbara und ich waren alte Freundinnen. Jetzt sind wir Gesinnungsfeinde. In diesen Tagen hört man viel von Spaltungen. Die Europäische Union ist gespalten, heißt es, und die österreichische Gesellschaft. Gespalten wegen oder durch die Flüchtlingskrise. Vielleicht wird das Wort gespalten mitunter inflationär gebraucht. Aber ganz ehrlich: In sozialen Netzwerken werden Grabenkämpfe ausgefochten. Meine Facebook-Timeline ist der Beweis. „Freunde“, die für Flüchtlinge Spenden sammeln, „Freunde“, die Asylsuchende als Gefahr für Wohlstand und Sicherheit sehen. Meinungsvielfalt eben. Man kann über Wochen und Monate hinweg beobachten, wie Menschen und ihre Meinungen sich radikalisieren, wie Postings mehr und mehr untergriffig, wütend und ängstlich daherkommen. Einige meiner Freunde aktualisieren regelmäßig ihre Freundesliste. Wer die FPÖ gutheißt, gegen Schwule und Lesben wettert oder Flüchtlinge mit Terror gleichsetzt, wird entfernt. Einfach. Gelöscht. Und so schont man seine Nerven und kennt bald nur noch Gesinnungsfreunde. Ich habe auch „Freunde“, die dem rechten Lager zuzuordnen sind. Aber löschen konnte ich sie bisher nicht. Warum? Ich war ein Mama-Kind. Als ich in den Kindergarten musste, brach für mich eine Welt zusammen. Ich hörte erst auf zu weinen, als mich meine Mutter wieder vom Kindergarten abholte. Es wurde erst besser, als ich meine erste beste Freundin traf. Nennen wir sie Barbara. Barbara und mich verband bis in die Teenagerzeit hinein eine tiefe Freundschaft. Wir teilten unser Essen, unser Spielzeug und unsere Geheimnisse. Heute verbindet uns nur noch unsere Vergangenheit und Facebook. Barbara ist heute eine von denen, die gegen Asylsuchende protestieren. Sie nimmt an einer Veranstaltung teil, auf der man die Nationalfahne schwenkt, sich gegen die Regierung und natürlich gegen Flüchtlinge wehrt. Barbara likt PEGIDA Wien. Sie teilt deren Postings. Sie kommentiert sie mit Ausdrücken wie „Geht’s noch?“ oder „Ohne Worte“. Nicht weil sie der Rassismus, die Menschenverachtung und der Hass schockieren – so wie mich. Sondern weil die BAWAG Islamic Banking einführt, weil ein Flüchtling irgendeine Sonderbehandlung erhalten haben soll. Barbara teilt Vermisstmeldungen von Hunden, Selfies und Onlinenews von propagandistischen Websites. Ich teile Texte über Toleranz, Menschenrechte und Rassismus. Barbara und ich – wir sind Gesinnungsfeinde. Wir könnten uns nicht unterhalten, ohne zu streiten, ohne uns gegenseitig zu verletzen. Weil wir uns nicht mehr verstehen würden. Wenn die österreichische Gesellschaft gespalten ist, dann stehen wir auf zwei unterschiedlichen Seiten. Rechts und links. Pro und Contra. Wir kommunizieren nicht miteinander, aber ich „lösche“ Barbara nicht und sie mich auch nicht. Das ist vielleicht auch besser so. Einen großen Spalt überwindet man nur mit einer Brücke. Und Facebook ist die einzige, die wir noch haben.
Clara Akinyosoye ist freie Journalistin und Ex-Chefredakteurin von M-Media.
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