Alles nur Einzelfälle
Immer wieder fallen freiheitliche FunktionärInnen mit rechtsradikalen oder herabwürdigenden Sprüchen auf. Während sich FPÖ-Chef Strache gern staatstragend gibt, liefert die Partei ein anderes Bild. Von Einzelfall zu Einzelfall. Text: Adrian Engel
Ein Tag. So knapp kann die Zeitspanne zwischen zwei Eklats von FPÖ FunktionärInnen sein. Die Reaktion der Parteiführung kann dabei sehr unterschiedlich ausfallen. Am 31. Oktober 2015 postet Susanne Winter auf ihrer Facebook-Seite unter einem Kommentar eines unbekannten Nutzers, der die „zionistischen Geldjuden“ als weltweites Grundproblem ausmachte: „..... schön, dass Sie mir die Worte aus dem Mund nehmen ;-). Vieles darf ich nicht schreiben, daher freue ich mich um so mehr über mutige, unabhängige Menschen!“ Am 1. November 2015 postet Christian Höbart auf seiner Facebook-Seite ein Video von Bootsflüchtlingen, die singen, weil sie nach langer Überfahrt endlich das Ufer erreichen. Er kommentiert das so: „Eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt, die ist schön ...“
Am 2. November scheidet Susanne Winter als Nationalratsabgeordnete der FPÖ aus. Sie wird aus der Partei ausgeschlossen und macht seither als „wilde“ Abgeordnete weiter. „Ich bedaure persönlich sehr, dass es so gekommen ist. Aber wir handeln aus der Gesamtverantwortung für die Freiheitliche Partei heraus“, erklärt Generalsekretär Herbert Kickl dazu. In der FPÖ sei kein Platz für Antisemitismus. Eine Stellungnahme von Kickl zur Entgleisung von Christian Höbart sucht man vergeblich. Höbart vertritt weiterhin die FPÖ im Nationalrat. Am gleichen Tag des Ausschlusses von Winter verschickt Höbart eine Aussendung, dass er sein Posting gelöscht habe. Das Video zeige „gut gekleidete, arabische Männer, die inklusive Kamera und Selfies übermütig lachen, johlen und scherzen, was das Zeug hält“. Er „erkenne aber an“, dass „Ironie/Satire in diesem Fall nicht das geeignete Mittel“ war. Das war der Parteiführung ausreichend. Ist in der FPÖ Platz für hetzerische Aussagen, solange sie nicht antisemitisch sind? Während die Oppositionspartei bei Wahlen seit geraumer Zeit Zuwächse verzeichnet und Parteichef Heinz-Christian Strache sich schon staatsmännisch gibt, lässt seine Partei regelmäßig Zweifel an ihrer politischen Verlässlichkeit aufkommen. Einer Entgleisung folgt die nächste, die Parteiführung bekommt ihre „Einzelfälle“ nicht in den Griff. Wer freiheitliche FunktionärInnen auf die vielen Einzelfälle anspricht, wie der Autor dieses Beitrags es versucht hat, stößt auf wenig Gesprächsbereitschaft. Die FPÖ Wien, die FPÖ Steiermark, die FPÖ Tirol, die FPÖ Vorarlberg, die FPÖ Salzburg, die EU-Abgeordnete Barbara Kappel sowie der Bundespressesprecher Karl-Heinz Grünsteidl – sie alle haben schriftliche und telefonische Anfragen für ein Interview erhalten. Gesprächsbereit war nur der Landesparteisekretär der Wiener Freiheitlichen, Toni Mahdalik. „Auf Facebook wird halt pointiert formuliert. Es muss aber immer im moralischen, rechtlichen und politisch zulässigen Rahmen bleiben“, sagt Mahdalik, auf das Facebook-Posting seines Parteikollegen Christian Höbart angesprochen. Im Zusammenhang mit Flüchtlingsüberfahrten, bei denen Menschen sterben, passe das „natürlich überhaupt nicht“. Warum es dann für Höbart keine Konsequenzen gegeben habe? „Weil er das Posting gelöscht hat.“ Das hatte Susanne Winter allerdings auch. Wäre ihre lobende Antwort auf den Facebook-Kommentar ohne Konsequenzen geblieben, wäre dieser gegen Muslime gerichtet gewesen? „Man kann das nicht generalisieren. Es kommt darauf an, wie das Posting ausgesehen hätte.“ Wie aber sieht der parteiinterne Gradmesser aus, nach dem die FPÖ-Führung Sanktionen gegen eigene Mitglieder setzt? Diese Frage möchte Toni Mahdalik nicht beantworten. „Bei der Vielzahl von Funktionären ist es nicht machbar, alle zu kontrollieren“, sagt er. Dann möchte er nicht mehr weiterreden. Mahdalik bittet, das Gespräch aus terminlichen Gründen auf den nächsten Tag zu verlegen – und ist danach nicht mehr zu erreichen.
„Menschenmaterial“ und „Asylflut“
Es ist ein von FPÖ-PolitikerInnen viel strapaziertes Narrativ. Grenzüberschreitende Aussagen kämen aus den Reihen der eigenen Partei manchmal vor – aber das seien Einzelfälle.
Ein Narrativ, das per Google-Recherche schnell widerlegbar ist. Andreas Reindl, Hans Wunner, Dieter Egger, die FPÖ Heidenreichstein, Erhard Brunner, Johann Gudenus, Kar K., Markus Ripfl, die FPÖ Imst, Gézá Molnár, Gerald Hraball, die FPÖ Landstraße, die FPÖ-Bezirksgruppe Graz-Liebenau, Christian Hein, Heinz-Christian Strache, die FPÖ Kufstein, Hildegard Schwaiger, Johann Gibitz, Christian Kruska standen im Jahr 2015 mit hetzerischen, rassistischen oder die Verfassung angreifenden Aussagen in den Medien. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Lediglich vier dieser Einzelfälle zeitigten Konsequenzen.
Hans Wunner musste als FPÖ-Ortsparteiobmann in Bad Aussee im Jänner zurücktreten, nachdem öffentlich wurde, dass er für den örtlichen und virtuellen Auftritt der neonazistischen Europäischen Aktion verantwortlich gewesen war. Gerald Hraball, FPÖ-Gemeinderat in Gloggnitz (NÖ), musste im Mai aus der Partei austreten, nachdem er auf Facebook postete: „Die Zwangsbevormundung durch die EU-Diktatur schreitet voran! Statt pragmatische und sinnvolle Lösungen (z. B. Rückverfrachtung nach Afrika) zu finden, plant sie Zwangsimport und -aufteilung, wohlwissend, dass dieses Menschenmaterial für Europa komplett wertlos und problembehaftet ist.“ Hildegard Schwaiger trat im Juni als Landtagsabgeordnete der Tiroler FPÖ zurück, nachdem sie als Administratorin der hetzerischen Facebook-Gruppe „Asylflut stoppen – auch in Tirol“ aufgefallen war. Karl K., der im steirischen Feldkirchen für die FPÖ als Gemeinderat antrat, bezeichnete eine Grüne Nationalratsabgeordnete auf Facebook als „Arschloch und Drecksau“. Dazu stellte er Fotos der mutmaßlichen Steinigung einer Frau. Auch er musste die Partei verlassen.
Zwischenmenschliches Kleingeld Für die meisten der genannten Personen blieben die Ausritte hingegen ohne Konsequenz. Zwar können Medien Verbalinjurien wie diese sowie rechte Sager aufzeigen, eine reinigende Kraft müsste aber von den Freiheitlichen selbst ausgehen. Oft genug werden einfach die Medien selbst zu Sündenböcken erklärt. Ein unbestreitbarer Befund sind hingegen Verurteilungen. Der Blog „rechtsdrall.com“ hat die rechtskräftig und nicht rechtskräftig verurteilten FPÖ-Politiker der vergangenen 15 Jahre gezählt. 40 Funktionäre (RFJ-Mitglieder nicht mitgezählt) stehen auf der Liste. 15 davon wurden wegen Verhetzung, Wiederbetätigung, Holocaust-Leugnung oder übler Nachrede rechtskräftig verurteilt. Eine Statistik, die belegt: Es gibt einen hetzerischen und teilweise auch neonazistischen Rand der FPÖ. Dieser darf meist zügellos poltern, solange er sich im rechtlichen Rahmen bewegt. Interne Spielregeln gibt es nicht. „Erst wenn der mediale Druck zu hoch ist, also wenn es in der ,Kronen Zeitung‘ steht, reagiert die Parteiführung“, sagt der Rechtsextremismusexperte Andreas Peham. Das subjektive Empfinden der Verantwortlichen könne dabei sehr willkürlich sein. „Manche sind noch in der Partei, obwohl sie etwas viel Schlimmeres gesagt haben als andere, die für eine Aussage ausgeschlossen wurden.“ Denn der Erregungsmechanismus der Medien werde auch ausgenutzt, um zwischenmenschliches Kleingeld zu wechseln.
Sebastian Ortner, der zum damaligen Zeitpunkt Klubobmann der Linzer FPÖ war, musste 2013 zurücktreten. Ein Video und Fotos belegten, dass er 2006 an einem Fest der rechtsextremen NPD teilgenommen hatte und er den Fraktionsvorsitzenden Holger Apfel umarmte. „Sowas ist in der FPÖ eigentlich nichts Außergewöhnliches, hier wurde innerparteilich eine Rechnung beglichen“, sagt Peham. Wie aber sieht es mit einem liberalen Flügel in der Partei aus, der rechtsradikale Haltungen aus politischer Überzeugung nicht duldet? „Einen liberalen Flügel gibt es“, sagt Peham, „es ist aber schwer, diesen mit Namen zu benennen.“ Zwischen den Landesfraktionen gebe es kleine Unterschiede. „Je weniger Burschenschaften es in einem Bundesland gibt, desto weniger weit rechts steht die Fraktion.“ In Vorarlberg und im Burgenland sei die FPÖ gemäßigter. Insgesamt sei die FPÖ unter Strache jedoch noch geschlossener dem äußersten rechten Rand zuzuordnen, als das noch unter Jörg Haider der Fall war, sagt Peham. Die rechten Berührungspunkte würden bis in neonazistische Kreise hineinreichen. Und auch darum gibt es ihn, den ewigen Einzelfall.
Warum die FPÖ ständig in Erklärungsnotstand ist. Ein Auszug der Ereignisse 2015.
Andreas Reindl. Der FPÖ-Gemeinderat der Stadt Salzburg demonstriert bei der Mahnwache nach dem „Charlie Hebdo“Attentat Anfang Januar 2015 mit den rechtsextremen „Identitären“.
Hans Wunner. Der FPÖ-Ortsparteiobmann von Bad Aussee muss Mitte Jänner 2015 zurücktreten, nachdem bekannt wird, dass er für den örtlichen und virtuellen Auftritt der neonazistischen Europäischen Aktion verantwortlich gewesen war.
Dieter Egger. Der FPÖ-Vorsitzende von Vorarlberg sorgt Mitte Jänner 2015 mit einem antisemitischen Ausspruch für Aufsehen: Als künftiger Bürgermeister von Hohenems lade er alle „konstruktiven Kräfte“ zur Mitarbeit ein, was auch für Hanno Loewy, den Direktor des Jüdischen Museums, gelte. Es müsse Loewy jedoch „klar sein, dass die Entscheidungen im Rathaus getroffen werden und nicht im jüdischen Viertel“. Schon im Wahlkampf 2009 bezeichnet Egger Loewy als „Exil-Juden aus Amerika“. Im selben Wahlkampf plakatiert man: „FPÖ: Elterngeld für heimische Familien.“ Egger erklärt danach im „Standard“, er wolle „nicht länger dabei zuschauen, dass wir aussterben und andere Mehrheiten heranwachsen“.
FPÖ Heidenreichstein. Verbreitet am 23. Jänner 2015 im Gemeinderatswahlkampf falsche Gerüchte rund um Asylwerber. Sie hätten „eine Prostituierte missbraucht“, sodass diese „ins Krankenhaus musste“. Die Bezirksblätter Gmünd fragen bei Bezirkspolizeikommandant Wilfried Brocks nach. In Wahrheit wird an dem betreffenden Tag ein Notarztwagen zum Asylquartier gerufen, weil eine Asylwerberin aufgrund von Schwangerschaftsblutungen ärztlich versorgt werden muss. Die Behauptung, bei dieser Frau handle es sich um „eine von Asylwerbern missbrauchte Prostituierte“ sei „schlichtweg falsch“, betont Brocks.
Erhard Brunner. Der FPÖ-Gemeinderat von Maria Lanzendorf (NÖ) postet auf Facebook zu einem anonymen Mordaufruf gegen neo-salafistische Koranverteiler („Ich würde alles verbrennen (Verkäufer inbegriffen)“) die Botschaft: „und diese Verbrecher, die sie [die Koranverteiler, Anm.] unterstützen, mit dazu!“ Auf einen anderen Kommentar („Denen gehört das schweinefleisch ins maul gestopft. soweit kommts noch wegen dem gsindl die auslage verändern.“) antwortet der FPÖ-Funktionär mit: „Volle Zustimmung! und die Kopftücher ebenso! sollen deren Kopftuchweiber in anatolischen Puffs so herumrennen aber nicht bei uns!“
Johann Gudenus. Der FPÖ-Klubobmann sagt eine Einladung zu einem Neonazi-Treffen in St. Petersburg zu, was Mitte März 2015 publik wurde. Gudenus bestreitet zunächst seine geplante Teilnahme. Erst nach der APA-Veröffentlichung seiner Zusage vom Dezember 2014 gesteht er das ein, spricht jedoch von akuten „Gedächtnislücken“.
Karl K. Der FPÖ-Funktionär, Bezirk Graz-Umgebung, bezeichnet auf Facebook Ende März eine grüne Nationalratsabgeordnete u. a. als „Arschloch und Drecksau“. Dazu stellt er Fotos der mutmaßlichen Steinigung einer Frau sowie ein Foto der Abgeordneten. Er wird nach einer gerichtlichen Verurteilung aus der Partei ausgeschlossen.
Markus Ripfl. Der FPÖ-Gemeinderat von Orth an der Donau und RFJ-Bezirksobmann in Gänserndorf bedient sich im August 2015 einer zeitgeschichtlich bekannten Rhetorik. Bei einer Kundgebung gegen Flüchtlinge bezeichnet er SPÖ, ÖVP und Grüne als „Volksverräter-Trio“.
Gerald Hraball. Der FPÖ-Gemeinderat von Gloggnitz fällt am 8. Mai, dem Tag der Befreiung, mit einer besonders menschenfeindlichen Äußerung auf. Er postet über die „EU-Diktatur“: „Statt pragmatische und sinnvolle Lösungen (z. B. Rückverfrachtung nach Afrika) zu finden, plant sie Zwangsimport und -aufteilung, wohl wissend, dass dieses Menschenmaterial für Europa komplett wertlos und problembehaftet ist.“ Hraball entschuldigt sich, tritt aus der Partei aus und legt sein Mandat zurück.
FPÖ Landstraße. Die Bezirkspartei, deren Vorsitzender Heinz-Christian Strache ist, veröffentlicht Anfang Juni 2015 auf ihrer Homepage einen Text, in dem sie die „Rückführung der bisher legal aufhältigen Fremden“ fordert. Nach anfänglichem Schweigen erklärt der Wiener Landesparteisekretär Hans-Jörg Jenewein, es handle sich bloß um die „Privatmeinung des Internetbeauftragten“. Der verantwortliche Klubobmann der FPÖ Landstraße ist nach wie vor im Amt.
FPÖ-Bezirksgruppe Graz-Liebenau. Sie teilt auf Facebook das rassistische Posting eines steirischen Neonazis. Darin steht unter einem Bild von syrischen Asylwerbern, die sich Sorgen um ihre Angehörigen machen: „Warum seid ihr feigen Dreckschweine denn ohne sie abgehauen?“
Christian Hein. Der Ottakringer Bezirksvorsteher-Stellvertreter postet Mitte Juni auf Facebook „Unsterblich on Tour!! Danke für die Unterstützung von Hellas Kagran“. Der Dank des Freiheitlichen gilt den gewalttätigen Ultras „Unsterblich Wien“ der Austria Wien. Ihnen gehören Neonazis von Blood & Honour an, sie hissen Reichsadler-Banner und verwenden mitunter den SS-Totenkopf als Symbol. Vereinsvorsitzender von Hellas Kagran ist der FPÖ-Abgeordnete Martin Graf.
Hildegard Schwaiger. Die FPÖ-Landtagsabgeordnete Hildegard Schwaiger muss Anfang Juli 2015 nach zwei Jahren wieder zurücktreten, als bekannt wird, dass sie die Administratorin der rassistischen Hetzgruppe „Asylflut stoppen“ war.
Johann Gibitz. Der Spitzenkandidat der FPÖ Lambach (OÖ) droht einer Unternehmerin, die ehrenamtlich als Deutschlehrerin für Flüchtlinge arbeitet, mit einem Kaufboykott: „Wie ich der Heimseite des ,Netzwerk Zuversicht‘ entnehme, sind Sie intensiv in der Betreuung von Flüchtlingen involviert. Damit Sie noch mehr Zeit für diese Aufgabe zur Verfügung haben, werde ich in Zukunft um sämtliche Produkte der Firma H. einen großen Bogen machen.”
Christian Hruska. Anfang Oktober wird ein Foto vom Juni 2015 öffentlich, das den FPÖ-Ersatzgemeinderat von Stadl-Paura (OÖ) mit mutmaßlich zum Hitlergruß erhobener rechter Hand zeigt. Gegenüber den „Oberösterreichischen Nachrichten“ sagt Hruska dazu: „Von einem Hitlergruß kann keine Rede sein. Ich habe in diesem
Moment jemandem zugewunken.“
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