Da konnte man kaum noch aussteigen
50.000 Facebook-Follower wollten die aktuellsten News von ihnen haben, Tausende schlossen sich freiwillig der Flüchtlingshilfe an. Die Initiative „Train of Hope“ ist ein verblüffendes Beispiel für die Energien, die in Österreich freigesetzt wurden. Ein Porträt. Text: Eva Bachinger
Sogar die „New York Times“ hat berichtet. Bemerkenswert ist die Privatinitiative „Train of Hope“, die Flüchtlingshilfe am Wiener Hauptbahnhof, allemal. Sie wurde schließlich auch von der Österreichischen Liga für Menschenrechte ausgezeichnet, stellvertretend für alle Freiwilligen, die sich in den vergangenen Monaten engagiert haben. „Selten haben wir uns so rasch auf einen mehr als würdigen Preisträger einigen können“, so Präsidentin Barbara Helige. Als Anfang September die Flüchtlingsbewegung aus Krisenregionen zunahm und immer mehr Menschen über die Grenzen kamen, entstand „Train of Hope“ wie aus dem Nichts. Während am Westbahnhof die Caritas die Organisation übernahm, fanden sich vor allem junge Leute unter dem Slogan am Hauptbahnhof zusammen. Am Anfang war es vor allem Idealismus: ein paar Äpfel, Wasserflaschen, fünf, sechs Leute. Doch immer mehr erfuhren von den Zuständen und kamen zum Hauptbahnhof, um zu helfen. Sie kamen jeden Tag wieder und packten mit an, viele wochen- und monatelang. „Am Hauptbahnhof ging es drunter und drüber, aber trotzdem war innerhalb einer Woche viel Struktur vorhanden“, erzählt der 26-jährige Yannick, der fast von Anfang an dabei war. „Es gab bereits das Social-Media-Team, Ärzte, eine Kinderecke sowie Schlafplätze, einen Infopoint, eine Rechtsberatung. Innerhalb kurzer Zeit kamen viele Sachspenden zusammen. Es gab keine Krisenmanager oder Sozialarbeiter, aber viele Leute aus verschiedenen Bereichen, die ein schönes Hybrid gebildet haben, um so eine Organisation umzusetzen.“ Einzelne HauptkoordinatorInnen für bestimmte Arbeitsbereiche stimmten sich ab, um die zahlreichen HelferInnen optimal zu koordinieren. Die Hierarchien waren aber flach. Um alles zu besprechen oder auch um ein wenig Abstand vom Geschehen zu finden, trafen sie sich oft in der Lobby der Hotelkette Motel one. „Da waren wir quasi auch schon fast daheim“, meint Martina Barwitzki, die die Pressearbeit übernahm. Eine möglichst effiziente Arbeitsteilung wurde etabliert, jederzeit konnten neue HelferInnen dazukommen. Wer wollte, konnte sich melden und wurde gleich zugeteilt. Was sich hier abspielte, war das Wirken der sogenannten Zivilgesellschaft. Keine große Organisation und keine staatliche Hilfe steckten hinter „Train of Hope“ – ein Name, der einfach plötzlich da war. Wer die Idee hatte, wisse man nicht mehr so genau, meint Yannick. Einen Slogan zu haben, unter dem sich alle zusammenfinden konnten, war wichtig, um dem Projekt einen Rahmen zu geben – und damit Aufmerksamkeit.
Spannungen mit NGOs
Auch die Caritas war am Hauptbahnhof im Einsatz. „Anfangs kam es auch zu Spannungen, Train of Hope war gerade am Anfang wie wir alle stark gefordert“, berichtet Thomas Preindl, Einsatzkoordinator der Caritas vor Ort. „Klar ist aber: Die aktuelle Flüchtlingshilfe wäre ohne die Unterstützung der Tausenden Freiwilligen an den Bahnhöfen und in den Notquartieren nicht möglich. Es ist gut, wenn sich Leute freiwillig engagieren, vor allem angesichts der knappen Kapazitäten, aber es war natürlich auch schwierig, mit verschiedenen Akteuren mit unterschiedlichen Interessen zusammenzuarbeiten. Aber wir haben die anderen Zugänge zur Kenntnis genommen und uns letztlich gut ergänzt.“ Es ist nichts Neues, dass es bei humanitären Krisen zu Konflikten kommen kann, selbst unter professionellen NGOs. Zu groß ist der Druck, zu hoch die Erwartungen, oftmals zu groß auch das Chaos. Aber etablierte NGOs haben gewisse Standards und erprobte Abläufe, die einen möglichst effizienten Ablauf garantieren. Preindl berichtet, dass die ÖBB die Caritas am Hauptbahnhof bat, ein Notquartier einzurichten, und hier arbeitete man mit „Train of Hope“ konstruktiv zusammen.
Geschichte wurde geschrieben
Die Szenen waren jedenfalls historisch: Bis zu 5.000 Menschen kamen pro Tag mit Zügen aus Ungarn an, viele wollten weiter nach Deutschland. Sie wurden mit Applaus und „Willkommen“-Schildern begrüßt, in ihrer Muttersprache über die Lage informiert, mit Wasser und Essen versorgt. Es mussten die Flüchtlinge an die Registrierungstische gelotst, lokale SIM-Karten fürs Mobiltelefon, Ladekabel, eine warme Decke, Tickets besorgt werden u.v.m. Oftmals war aber nur Zuhören gefragt, eine Hand, eine Umarmung, Trost. Den Menschen, die aus der syrischen Kriegshölle geflüchtet sind und eine lange Flucht über Land und Wasser hinter sich hatten, einfach zuhören und Anteil nehmen an ihrem Schicksal. Das alles sei nicht einseitig gewesen, so Yannick. Er bekam viel zurück, vor allem viel Dankbarkeit. „So etwas habe ich noch nie erlebt. Das hat mir sehr viel von der Welt und vom Menschsein gezeigt. Wie schön das sein kann, wenn die Leute zusammenhalten. Dass man so viel leisten kann, wenn man an etwas glaubt und ein bisschen was von sich gibt“, schwärmt der Student. „Ich habe auch gemerkt, wie sehr man sich in so einer intensiven, kurzen Zeit entwickelt. Ich bin sicher erwachsener geworden.“ Yannick studiert Konferenzdolmetsch und hat die Koordination der Dolmetscher übernommen. Da er auch transkulturelle Kommunikation studiert hat, begann er anfangs die Kommunikation der HelferInnen und Flüchtlinge zu beobachten und überlegte sich, wie man sie noch verbessern könnte. „Wir hatten sehr viele motivierte, sehr verschiedene Leute da. Die ganze Welt war irgendwie vertreten. Es ging darum, dass wir sie bestmöglich vernetzen, die kulturellen und kommunikativen Aspekte berücksichtigen, damit es einen sauberen, produktiven Ablauf gibt, dass man mit den Ressourcen die man hat, das Bestmögliche umsetzt.“ Dass es bei dem kulturellen Mix doch so gut funktioniert hat, beeindruckte Yannick. „Vor allem im Vergleich zur Lage in der Welt, wo so viel nicht funktioniert, wo bereits ein Steirer mit einem Wiener nicht klarkommt. Die Differenz war hier viel größer, und es hat funktioniert. Natürlich gab es Reibereien, es war ja eine Krisensituation, aber es hat funktioniert.“ Direkte Beschwerden von PassantInnen und Fahrgästen habe es kaum gegeben, wenn dann böse E-Mails, aber sonst sehr viel Zuspruch und Lob.
Es kommen Menschen
Letztlich waren tausende Freiwillige im Einsatz, der harte Kern umfasste rund 100 Personen. Eine von ihnen ist Ashley Winkler. Sie hat sogar ihren Job gekündigt, um ganz verfügbar zu sein. Oftmals sei sie verständnislos gefragt worden: Den Job kündigen, um unbezahlt Flüchtlingshilfe zu leisten? Für sie war klar: „Es geht darum, dass Dinge getan werden müssen, dass geholfen werden muss. Und da ist egal, wie. Hauptsache, man hilft.“ Für sie kamen vor allem Menschen. Menschen, die schwere Zeiten durchgemacht hatten, zu denen schon lange keiner mehr freundlich war, die nicht wissen, wo sie die nächste Nacht verbringen werden, geschweige denn die nächsten Wochen und Jahre. Monatelang half sie ohne fixes Einkommen, die Miete war zumindest gedeckt, und auf all den „Alltagsluxus wie stundenlange Shoppingtouren“ konnte sie gern verzichten. Das Besondere und gleichzeitig Anstrengende an „Train of Hope“ war, dass man kaum noch aussteigen konnte, wenn man erst einmal in den Zug eingestiegen ist. „Es war wie ein Mikrokosmos, in den man einfach so eingesaugt wird.“ FreundInnen, Familie, Arbeit, banale Alltagsthemen traten in den Hintergrund, aber auch die eigene Kraft. „Wir mussten uns immer wieder gegenseitig ermahnen, auch mal nach Hause zu gehen“, erzählt auch Martina Barawitzki. Frust, Müdigkeit, aber auch große Erfüllung – dann wusste man wieder, warum man all das tat.
Flüchtling hilft Flüchtling
Viele der freiwilligen HelferInnen waren oder sind selbst Flüchtlinge. Sie kennen die Gefühle und Eindrücke, auf der Flucht zu sein und sich nicht zurechtzufinden. So wie Zaid. Der 25-jährige Iraker spricht fließend Englisch und war schnell vor Ort, um beim Übersetzen zu helfen. DasPolitikwissenschaftsstudium hat er unterbrochen und ist vor einem halben Jahr via Jordanien und Türkei nach Österreich geflüchtet. Sein Vater war Politiker im Irak und erhielt Drohungen, die Familie zog in den Jemen, wo die Situation ebenfalls gefährlich wurde. Seine Eltern flüchteten vor vier Jahren nach Österreich, nun ist er nachgekommen und hat auch um Asyl angesucht. Sein Motiv für den Einsatz ist schnell erklärt: „Es gibt nicht viel zu tun als Asylwerber, es ist unsicher, wie lange man wartet. Ich kann nicht herumsitzen und nichts tun.“ Der intensive Einsatz gab ihm das Gefühl, eine sinnvolle Aufgabe zu erledigen. „Es ist keine Frage, für mich war Train of Hope das Beste, was ich bisher hier erlebt habe. Es hat mich gesund gehalten. Ich bin für eine lange Zeit aus der Bahn geworfen worden, ich weiß nicht, wie lange es dauern wird“, so Zaid. Er und Yannick sitzen in den gemütlichen braunen Sofas in der Lobby von „Motel one“ und überlegen eine Antwort auf die Frage, was für sie die einprägsamsten Begegnungen waren. Im Grunde gab es nicht nur eine: „Bewegend war für mich zu sehen, dass die Flüchtlinge anfangs misstrauisch waren und nicht verstanden, warum wir so freundlich und hilfsbereit waren. Es war schön zu sehen, wie sie Vertrauen fassten. Sie malten Schilder, besonders die Kinder: Thank you, Austria“, erzählt Zaid strahlend. Yannick erinnert sich an einen besonderen Moment: „Ich denke an eine Familie mit sehr kleinen Kindern, der Vater weinte, weil er so glücklich war, hier zu sein. Er sah zum ersten Mal auf der ganzen langen Flucht seine Kinder wieder lachen. Das war überwältigend.“ Backup für das Freiwilligennetzwerk sind die nach wie vor fast 50.000 Facebook-Follower. Während der Nothilfe war dadurch schnell eine Lösung gefunden, wenn ein Hilferuf gepostet wurde. Auch jetzt bleibt man in Kontakt und präsent: „Train of Hope“ meldet sich zu Wort, etwa bei der Diskussion, ob es „Obergrenzen“ bei der Aufnahme von Flüchtlingen geben soll oder nicht. Der Kommentar dazu: „Wir sind enttäuscht, wir sind schockiert, wir sind wütend“. „Train of Hope“ hat seinen Einsatz am Hauptbahnhof eingestellt, weil nicht mehr viele Flüchtlinge über die Balkanroute kommen und die Grenzen dicht gemacht werden. „Wir haben zuerst versucht, die Infrastruktur aufrechtzuerhalten, das war viel Arbeit, aber sie war eigentlich nicht mehr nötig. Wir waren oft mehr Helfer als Flüchtlinge“, so Yannick. Die HelferInnen zerstreuten sich in alle Richtungen, aber viele sind in Arbeitsgruppen und überlegen, wie man neue Projekte umsetzen kann. Denn nun gilt es die Integration der Flüchtlinge zu fördern. Fraglich ist generell, wie es nun weitergeht, denn NGOs rechnen damit, dass im Frühjahr erneut ein Schub an Flüchtlingen kommen wird. Es kann sein, dass „Train of Hope“ dann wieder bei der Nothilfe gebraucht wird.
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