Realitätsverweigerung
CLARTEXT. Die Flüchtlinge sind gekommen, um zu bleiben. „Asyl auf Zeit“ wird das nicht ändern. Clara Akinyosoye sagt es nicht durch die Blume. Eine Kolumne über Diversität und Migration.
Realitätsverweigerung kann manchmal ganz nützlich sein. Zum Beispiel wenn man in einem Gasthaus in Wien Brigittenau beim Schnitzel sitzt und am Nachbartisch eine Frau über böse Medien schimpft, die „allerweil nur Kinder zeigen“ auf den Straßen, treibend im Meer, lebendige Kinder, tote Kinder. Kinder, Kinder, Kinder. Sie, offenbar brave Österreicherin, könne schon keine Kinder mehr sehen. Da kann Realitätsverweigerung den Abend retten, wenn man sich der Tirade durch einen Raumwechsel entzieht und sich sagt, dass Leute wie sie nicht in der Mehrheit sind.
Aber dieser kleine Rückzug aus der Realität ist nichts im Vergleich zu dem, was die Politik in der Flüchtlingsfrage gerade tut. Mit der „Asyl auf Zeit“-Regelung soll Asyl nur noch für drei Jahre gelten. Wenn kein Asylgrund mehr vorliegt, müssen die Menschen Österreich wieder verlassen. Und in der Zwischenzeit ist Integration gefragt. Integration, in ein Land, das ihnen Schutz aber keinen Neuanfang verspricht. Integration in eine Gesellschaft, die ja glauben muss, dass viele dieser Flüchtlinge nicht bleiben werden. ArbeitnehmerInnen werden das glauben und WohnungsvermieterInnen. Schon jetzt haben Menschen, denen nicht Asyl im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern ein befristeter subsidiärer Schutz gewährt wird, Probleme bei der Integration in den Arbeits- und Wohnungsmarkt. Wer nicht sagen kann, ob er in zwei, drei Jahren noch im Land verweilen darf, mit dem kann man schwer langfristig planen.
Doch genau das braucht es für Integration. Die Flüchtlinge müssen eine neue Sprache lernen, vielleicht neue Bildungswege einschlagen und Arbeit finden. Österreich muss die Rahmenbedingungen schaffen, Wohnraum, Arbeitsplätze, Bildungsangebote, und für Verständnis und Zusammenhalt werben. Doch wenn es heißt, dass die Menschen, die da kommen, hier nur rasten und warten, aber nicht bleiben sollen? Hand aufs Herz, was sind wir bereit zu investieren?
Syrien wird so bald nicht sicher sein, die Flüchtlinge werden daher in Österreich bleiben. Angesichts der Tatsache, dass die Asyl-auf-Zeit-Regelung ihnen die Eingliederung in die Gesellschaft erschweren wird, muten die Forderungen nach Integration zynisch an. Und das beliebte Lamento über die von der Politik verabsäumte Integration der GastarbeiterInnen scheint vergessen. Heißt es doch stets: Die heutigen Integrationsprobleme rührten daher, dass verabsäumt wurde, den Menschen Deutsch beizubringen, dass man eben dem Irrglauben aufgesessen war, dass die MigrantInnen wieder in ihre Heimat zurückkehren würden. Sie blieben. Jahrzehnte später könnte man es eigentlich besser wissen, weiser handeln. Doch man wiederholt bereitwillig die Fehler aus der Vergangenheit.
Clara Akinyosoye ist freie Journalistin und Ex-Chefredakteurin von M-Media.
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