Unschätzbare Dienste
Während staatliche Stellen alles daran setzen, möglichst wenige Flüchtlinge aufzunehmen, retten freiwillige HelferInnen Menschenleben, Werte und vielleicht auch Europa. Kommentar: Alexander Pollak
Das Ziel des Innenministeriums lautet schon seit vielen Jahren, Österreich möglichst unattraktiv für Flüchtlinge zu machen. Sinkende Aufnahmezahlen werden als Erfolg gefeiert, steigende Zahlen als Belastung oder gar Bedrohung angesehen. Auch jetzt wird es als bedrohlich empfunden, wenn Flüchtlinge österreichischen Boden betreten, und als Erfolg verbucht, dass der überwiegende Teil nicht in Österreich bleibt, sondern Richtung Norden weiterzieht.
Für diesen „Erfolg“ wurden im Sommer 2015 unmenschliche Zustände im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen in Kauf genommen und verwaltet. Der ehemalige UNO-Krisenmanager Kilian Kleinschmidt hielt dazu in einem Interview mit dem „Standard“ fest: „Wäre ich im Sommer Manager von Traiskirchen gewesen, ich hätte bestimmte bautechnische Restriktionen einfach nicht akzeptiert. Da muss sich erst jemand hinstellen und mir sagen: „Nein, du verteilst jetzt keine Matratzen!“ Ich verteile sie doch.“
Verteilt wurden schließlich Isomatten und kleine Zelte, allerdings nicht von staatlichen Stellen, sondern von freiwilligen HelferInnen. Es wurden Sammelaktionen gemacht und zu Hunderten fuhren Freiwillige nach Traiskirchen und zu den diversen Zeltlagern, die vom Innenministerium errichtet wurden, um vor Ort zu helfen.
Auch als sich Flüchtlinge mit Zügen aus Ungarn Richtung Österreich in Bewegung setzten, waren es Freiwillige, die als erste zu den Bahnhöfen kamen, um die Menschen zu versorgen. Hilfsorganisationen folgten. Der Staat schickte lediglich die Polizei.
Und es waren mutige Freiwillige, die, als die ungarische Regierung die Flüchtlinge zu blockieren und festzusetzen begann, über die Grenze fuhren und Menschen versorgten und mitnahmen. Erst danach öffnete der Staat seine Schleusen. Hilfsorganisationen und Freiwillige übernahmen die Betreuung und Versorgung der zigtausend Menschen, die die Grenze passierten.
Die vergangenen Wochen und Monate haben gezeigt, dass der unmenschliche Umgang mit Flüchtenden sowie ein verführerischer und zugleich zerstörerischer nationalistischer Egoismus auf zwei Ebenen bekämpft werden können und bekämpft werden müssen: auf gesamteuropäischer Ebene und auf lokaler Ebene durch die Tatkraft engagierter Menschen.
Es war diese Tatkraft von Menschen unterschiedlichster sozialer, ethnischer, religiöser Herkunft, die nicht nur Menschenleben gerettet, sondern auch die Idee eines gemeinsamen, offenen Europa am Leben gehalten hat.
Ohne den Idealismus der beteiligten Menschen wäre Europa wahrscheinlich bereits nach kurzer Zeit an der Weigerung der meisten EU-Staaten, Flüchtlingen aktiv zu helfen, erstickt.
Lichte momente
Selbst die österreichische Innenministerin hatte im Sommer 2015 plötzlich einen Moment, in dem sie Nationalismus als Problem und nicht als Lösung benannte. Sie sprach wortwörtlich davon, dass Europa an der Flüchtlingsfrage scheitern werde, wenn Nationalismus die Oberhand gewinne. Und sie forderte, dass Menschen, die eine Chance auf Asyl haben, auf legalem Weg nach Europa gelangen können sollen.
Kurze Zeit später präsentierte Mikl-Leitner jedoch wieder eine ganz andere Prioritätenliste, eine, auf der Grenzbefestigungen ganz oben standen. Die Einsicht, dass Grenzbefestigungen, ohne die vorhergehende Schaffung legaler und sicherer Fluchtwege, Not, Leid und Chaos bloß verlagern und vergrößern, war wieder verflogen.
Es wird wohl auch in den kommenden Monaten weiter an den positiv Tatkräftigen liegen, den Regierenden, den Ängstlichen und auch den Hassenden zu zeigen, dass jeder Einzelne von uns die Möglichkeit hat, Werte der Menschlichkeit aktiv zu leben und damit die eigene Situation und die anderer Menschen zu beeinflussen.
Die Webseite von SOS Mitmensch, auf der Informationen aufgelistet sind, wie man als Privatperson Asylsuchenden und Flüchtlingen in unterschiedlichster Weise helfen kann, wurde inzwischen von mehr als 40.000 Menschen angeklickt. Es werden hoffentlich noch viel mehr werden.
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