Neue Stimmen
SPOTLIGHT. Auch diese beiden Gruppierungen wollen Wien verbessern: die linke Liste „Wien anders“ und die des Wiener Arztes Turgay Taşkiran. Am 11. Oktober wird gewählt. Text: Gerfried Balzer
An AktivistInnen mangelte es dem Wahlbündnis „Wien anders“ jedenfalls nicht: Die Anzahl der benötigten 2.950 Unterstützungserklärungen wurde mit 4.500 Unterschriften deutlich überboten, damit kann die Liste in allen Bezirken zu den Wahlen am 11. Oktober antreten. Wien reloaded, das ist es, was die Leute von Echt Grün, KPÖ, PiratInnen u.a. antreibt. Man möchte eine Politik links der etablierten Parteien anbieten, die freigespielt von realpolitisch motivierten Kompromissen auch den Grünen in Wien selbst frischen Wind ins Gesicht blasen soll. Die Forderungen von „Wien anders“ (auf dem Stimmzettel: ANDAS): freier Hochschulzugang für alle und damit ein Ende von Studiengebühren; Freifahrt für die Öffis für alle; eine Abgabe für leerstehende Wohnungen, derzeit 30.000, um gegen Spekulation und Wohnungsknappheit effektiv vorzugehen; die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens; das Wahlrecht für alle, die in Wien ihren Lebensmittelpunkt haben, die aber die österreichische Staatsbürgerschaft annehmen müssten, um ihr demokratisches Grundrecht wahrnehmen zu können; ein entschiedenes Auftreten gegen rechtsradikale Politik; schließlich auch die Freigabe von Cannabis, wie das etwa zwei US-Bundesstaaten beschlossen haben, während in der Hälfte der USA Cannabis für medizinische Zwecke bereits freigegeben wurde. Wie das alles finanziert werden soll, ist eine der häufigsten Fragen, die den Wien Anders AktivistInnen gestellt wird. Die Forderung nach einem starken Staat, der seiner Steuerungsaufgabe für sozialen Ausgleich nachkommt, ist eine der Antworten. Die Forderung nach einer höheren Besteuerung von Reichen und das Ende der Steuerparadiese für Konzerne wurde bislang nicht eingelöst. Spitzenkandidatin ist die 23jährige Juliana Okropiridse, die in der Kinder- und Jugendbetreuung arbeitet und Wien für „unglaublich scheinheilig“, aber auch für faul und feig hält. Okropiridse ortet hinter den schönfärberischen Selbstinszenierungen Wiens mit Schönbrunn und Schanigarten-Laune eine Stadt, in der gegen Armut, Rassismus und Sexismus zu wenig getan wird. Weil sie selbst nicht faul sein möchte, macht Okropiridse nun den Mund auf, um Wien zu verändern. Um das im Rathaus zu tun, muss zuerst eine 5-Prozent-Hürde überwunden werden.
Liste Taşkiran. Das gilt auch für die migrantische Gruppierung des Arztes Turgay Taşkiran, die lange Zeit als „türkische Liste“ durch die Medien geisterte. So wie auch Taşkiran selbst, wiewohl in Wien geboren und hier lebend, selten als Wiener, sondern fast ausnahmslos als „türkischstämmiger“ Arzt bezeichnet wird. Mit seinem Befund, dass für MigrantInnen zu wenig in Wien getan wird, hat Taşkiran nicht unrecht. Lange zeigte man keinerlei Interesse an den so genannten Gastarbeitern, weder daran, deren Leben, vielfach in Substandardwohnungen, zu verbessern, während sich nun, angefeuert durch rechts, mit den Pflichten von „Ausländern“ erkleckliche Wahlerfolge erzielen lassen. Taşkiran selbst wuchs in bescheidensten Verhältnissen auf, wohnt mittlerweile in einem bürgerlichen Bezirk, ordiniert aber als Praktischer Arzt weiterhin in einem Arbeiterbezirk – nicht zuletzt deshalb, um mit seinen Sprachkenntnissen PatientInnen den Arztbesuch zu erleichtern. Er möchte mehr Empathie in die Politik bringen. Wofür der Mann, der die MigrantInnen selbst zum alleinigen Thema seiner Partei erkoren hat, aber genau steht, lässt sich nicht so einfach beantworten. Sein Background als Erdogan-Sympathisant und Obmann der AKP-nahen Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) verbreitete sich rasch in den Medien. Dass der Wiener auch mit der FPÖ im Rathaus zusammenarbeiten würde, wie er in einem NEWS-Interview kundtat, überrascht dann doch einige. Der Wiener FP-Klubobmann Johann Gudenus sprach unbeirrt von einem „schäbigen Missbrauch unserer Gastfreundschaft“ – was er in Hinsicht auf den österreichischen Arzt genau meint, bleibt aber unklar.
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