Flexible Jobs: Arbeiten wir uns arm?
DOSSIER. Immer mehr Menschen teilen sich eine gleich bleibende Menge an Arbeit. Für viele SozialpolitikerInnen war das lange Zeit eine Wunschvorstellung. Nun aber bringt die Krise das, was keiner möchte: Arbeitszeitverkürzung auf die harte Tour. Auf der Strecke bleiben die üblichen Verdächtigen: Alleinerziehende und wenig Qualifizierte. Text: Wilhelm Ortmayr, Illustration: PM Hoffmann
Laut Adam Riese ist alles ganz einfach: Wenn bei relativ stagnierendem Volkseinkommen (BIP) die in Österreich vorhandene Arbeit (auch sie nimmt kaum zu) auf immer mehr Menschen aufgeteilt wird, dann bleibt für jeden einzelnen immer weniger Ertrag. Genau dieses Szenario erlebt Österreich seit Beginn der Wirtschaftskrise vor sechs Jahren. Regelmäßig berichten die Statistiken über neue Rekordwerte bei der Gesamtzahl der Beschäftigten. Die muss es auch geben, Stichwort Pensionen und Bevölkerungspyramide. Wir sind angewiesen auf jungen Zuzug nach Österreich. Es gibt also von Monat zu Monat mehr Jobs in Österreich. Doch diesen Jubelmeldungen folgt selten eine ernstzunehmende qualitative Analyse. Und auch wenn Zuwanderer oftmals selbst Jobs schaffen, wie etwa in Wien, wo ein Drittel der UnternehmerInnen MigrantInnen sind, steigen zugleich die so genannten atypischen Beschäftigungsverhältnisse – Teilzeitarbeit, Werkverträge, freie DienstnehmerInnen, Leiharbeit. Auch die Zahl der Ein-Personen-Unternehmen (EPU) nimmt ständig zu. Unbefristete 40-Stunden-Arbeitsplätze mit 14 Gehältern und allen üblichen sozialen Absicherungen werden seltener.
Die Folgen dieses Trends sind derzeit primär an den Rändern der Gesellschaft spürbar und an den Rändern der Berufskarrieren. „Der Anteil der Armutsgefährdeten unter den Teilzeitarbeitenden steigt stetig“ konstatiert Siegfried Steinlecher vom AMS Salzburg. Gemeint sind damit vor allem Frauen. Denn während Männer zu 85 Prozent vollzeitbeschäftigt sind, gilt das nur für jede zweite Frau. Damit liegt Österreich in Sachen Frauenteilzeit europaweit an der Spitze. Dahinter steckt nicht zuletzt auch der Wunsch vieler Frauen nach Teilzeitarbeit (und zwar möglichst zwischen 25 und 30 Stunden). Doch überall dort, wo aus welchen Gründen auch immer Teilzeit gearbeitet werden muss, ist ein Überleben kaum möglich.
Birgit N., eine heute 35jährige Salzburgerin, kann davon ein Lied singen. Die Textilfacharbeiterin ist alleinerziehende Mutter und hat harte Jahre hinter sich. „Bis meine Tochter drei war, konnte ich nur stundenweise jobben, meist als Rezeptionistin oder in Call-Centern.“ In Birgits Heimatgemeinde am Salzburger Stadtrand sind die Kinderbetreuungseinrichtungen für unter Dreijährige nur mangelhaft ausgebaut, Hilfe durch Verwandte gab es kaum. Zum Leben reichte das Geld hinten und vorne nicht, sogar die kleine geförderte Mietwohnung war kaum finanzierbar. Nur dank elterlicher Zuschüsse kam Birgit über die Runden. „Wer dieses Glück nicht hat, kann im Winter kaum heizen und isst Tage lang Polenta“.
Birgits Beispiel ist kein Einzelfall. Denn ohne zahlende Eltern und mit Teilzeitarbeit können grob gesprochen nur AkademikerInnen ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren. Wirklich seriöse Studien zu diesem Thema fehlen aber. Wie überhaupt der Armutsbegriff in Österreich ein schwankender ist. „Sprechen wir von Menschen, die trotz Vollzeitarbeit weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens verdienen, dann sind es nur zwei Prozent“, so Gabriele Straßegger von der Wirtschaftskammer. Die meisten Vollzeitbeschäftigten können also von ihrem Einkommen leben – es sei denn, sie haben viele Kinder. Genau das berücksichtigen Statistiken aber kaum, weil sie dafür jeden Einzelfall beleuchten müssten. „Die alleinerziehende Zwangs-Teilzeiterin kann schwerst armutsgefährdet sein, mit einem neuen Partner in Vollzeitbeschäftigung ist sie es nicht“, bringt Straßegger die Unmöglichkeit auf den Punkt, in jedes Wohn- bzw. Schlafzimmer zu schauen und die realen Lebensverhältnisse der ÖsterreicherInnen zu erforschen.
Laut Wirtschaftskammer gibt es in Österreich also kaum Menschen, für die das Prädikat „Working poor“ zutrifft. Aber sehr wohl Menschen, die entweder außergewöhnliche hohe Belastungen zu tragen haben oder nicht das ganze Jahr über Vollzeit arbeiten können. Doch das, so Straßegger, sei „kein Problem des Arbeitsmarktes oder der zunehmenden atypischen Beschäftigungsverhältnisse“ sondern eher der schwächelnden Konjunktur und der begleitenden Sozialpolitik.
Flexibilität – eine Medaille mit zwei Seiten
Studien belegen in der Tat, dass die überwiegende Mehrheit der Teilzeitarbeitenden dies freiwillig und gerne tut. Die Zahl jener ÖsterreicherInnen, die gerne mehr als Teilzeit arbeiten würden, ist geringer als jene, die Vollzeit arbeiten müssen und gerne „zurückschalten würden“, es aber aus betrieblichen oder finanziellen Gründen nicht können. Die meisten Teilzeitbeschäftigten finden sich in Österreich in typisch „weiblichen Branchen“, im Handel, Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Dienstleistungsbereich. Denn der häufigste Grund für die reduzierte Arbeitszeit sind Betreuungsaufgaben. Daher sind kapazitätsorientierte Arbeitszeiten, zum Beispiel Gastronomie, oder Schichtmodelle für diese Gruppe nicht gut geeignet, am allerwenigsten für jene Frauen, die Teilzeitarbeit als Wiedereinstiegsmodell nach der Babypause wählen. Genau in dieser Funktion begrüßen auch ArbeitsmarktexpertInnen den wachsenden Markt an Teilzeitjobs. „Natürlich ist uns bewusst, dass der Anteil der Armutsgefährdeten unter den Teilzeitarbeitenden größer wird, aber Teilzeit ist nun mal die beste Chance, Frauen rasch wieder zurück in den Beruf und ins Verdienen zu bringen“, sagt AMS-Chef Steinlechner. Er kann der zunehmenden Flexibilisierung des Arbeitsmarktes in den vergangenen Jahren generell Positives abgewinnen. Unsere Wirtschaft sei dadurch krisenfester als jene in den südeuropäischen Ländern. „Kurzarbeitsmodelle, längere Durchrechnungszeiträume oder Teilzeitmodelle mit Schulungsmaßnahmen verhindern hohe Arbeitslosenzahlen und ersparen den Firmen Personalkosten, hinter denen keine Produktivität steckt“, das zeige der Vergleich etwa mit Italien ganz deutlich, so Steinlechner. Seiner Ansicht nach solle der Arbeitsmarkt keine unnötigen Barrieren haben, die Schutzmechanismen im Arbeitsrecht seien ausreichend.
Schleichender Sozialabbau
Während die einen also atypische Beschäftigungsverhältnisse mit einer steigenden sozialen Ungleichheit gleichsetzen und als „prekär“ abwerten, sehen die anderen sie als Antwort auf eine bunte, dynamische Dienstleistungsgesellschaft und als Türöffner zu mehr Beschäftigung. Prekär, so Steinlechner, sei das nahezu stagnierende Lohnniveau in Österreich bei gleichzeitiger, wenn auch mäßiger, Teuerung. Da liege der Grund für die konstante Quote von 26 Prozent armutsgefährdeter Vollzeitarbeitender – nicht in den Strukturen des Arbeitsmarktes.
Doch auch Steinlechner bereitet das Sorgen, was sich am Arbeitsmarkt hinter den nackten Zahlen abspielt. Ein Medienunternehmen beispielsweise macht aus einem älteren Angestellten mit 4.000 Euro brutto zwei 30 Stunden Werkverträge zu je 2.000 Euro monatlich. Die Firma spart dadurch sehr viel Geld und bekommt obendrein über 50 Prozent mehr Leistung. Derartige Beispiele gibt es Tausende. „Viele Teilzeitjobs, Werkverträge oder EPU sind in Wahrheit frühere Vollzeitanstellungen. Da wird eiskalt gespart“, sagt Norman Wagner von der Arbeiterkammer. Und es ist nicht nur die Privatwirtschaft, die spart. Die Neos etwa suchten dieser Tage für ihre Parteizentrale einen Grafiker. 1.400 Euro pro Woche, mit Werkvertrag. Eine Anstellung sei kein Thema. Der Berufsverband der GrafikerInnen fand das Angebot dennoch toll. Offenbar deshalb, weil das Honorar gut und eine Anstellung keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Ein anderes Beispiel: Die Stadt Salzburg sucht jemanden, der Radwegprojekte managt. 25 Wochenstunden in etwa. Anstellen könne man aber niemanden, die Töpfe dafür seien ausgeschöpft. Man vergebe lieber Werkverträge.
Viel Arbeit, wenig Geld
Für die Betroffenen bedeutet diese Praxis zunächst oft nur etwas weniger Einkommen. Doch langfristig fehlt den Leuten die Substanz zum Vermögensaufbau, es fehlt jegliche Absicherung im Krankheitsfall, Urlaube werden – durch den Verdienstentgang in dieser Zeit und ohne Urlaubsgeld – doppelt teuer und in allerletzter Konsequenz droht Altersarmut. „Speziell bei den unteren Einkommensgruppen macht es sich die Wirtschaft sehr leicht“, kritisiert auch Peter Niederreiter von der Schuldnerberatung Salzburg. „Nicht wenige unserer Klienten waren früher zum Beispiel Fließbandarbeiter oder Verpacker in einem Industrieunternehmen. Heute sind sie nur noch drei oder vier Monate dort, als Leiharbeiter. Die Flexibilisierung macht es der Wirtschaft eben sehr leicht, den Menschen nur noch als Kostenfaktor zu sehen.“
Statistiken, wie die Wirtschaftskammer sie gerne zitiert, zeigen zwar, dass am AMS wesentlich mehr Teilzeitjobs angefragt werden als zur Verfügung stehen, doch alle Insider sind sich einig, dass dies kein reales Bild widerspiegelt. „Niemand zählt die Heere an jungen Menschen, oftmals auch an Akademikern, die Jahre lang in prekären und instabilen Arbeitsverhältnissen stecken. Viel Arbeit, wenig Geld, unsichere Zukunft. Daniela, 31, und Reinhard, 35, ein Pärchen aus Wien, sind ein typisches Beispiel dafür: Die beiden AkademikerInnen konnten in ihren Sparten bisher keine Jobs finden. Er jobbt 30 Stunden in einer Bibliothek, sie nimmt nun, nach jahrelangem „Überbrücken“ im Tourismus ein FH-Studium in Angriff. „Bis wir beide halbwegs verdienen, wird’s wohl noch dauern“, sagt Daniela ohne Illusionen. Kinder wollen die beiden auch noch, daher wird eine private Altersvorsorge kaum möglich sein. „Für uns heißt‘s arbeiten bis 70 – das wissen wir heute schon.“
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