Vor Armut schützen
DOSSIER. Die zunehmende Flexibilisierung des Arbeitsmarktes verlangt eine bessere soziale Absicherung auch für atypisch Beschäftigte. Kommentar: Norman Wagner
Aus Sicht der Arbeiterkammer ist die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes eine ambivalent zu betrachtende Entwicklung. Einerseits ermöglichen kürzere Arbeitszeiten und neue Beschäftigungsformen, flexibler mit Lebenssituationen umzugehen, die abseits der traditionellen innerfamiliären Rollenverteilung stattfinden. Andererseits, und das wiegt leider in vielen Fällen weit schwerer, bedeutet Flexibilisierung oft schlechtere soziale Absicherung, Brüche in der Erwerbskarriere oder mangelnden arbeitsrechtlichen Schutz. Die Folge davon ist nicht selten zunehmende Prekarisierung, sprich: geringe Einkommenssicherheit und Probleme mit dem Verdienst das eigene Leben zu bestreiten.
Das zeigt auch, dass es sinnlos ist, mit der Armutsbekämpfung erst dort zu beginnen, wo Armut bereits existiert. Das ist reine Symptombekämpfung. Armut ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das auf vielen Ebenen konsequent angegangen werden muss. Verteilungspolitisch betrachtet können zwei Interventionsebenen unterschieden werden: die Primär- und die Sekundärverteilung.
Soziale Absicherung
Der Arbeitsmarkt (Primärverteilung): Zu den wichtigsten Aufgaben einer Gesellschaft, die Armut vermeiden will, gehört es, auf dem Arbeitsmarkt ein existenzsicherndes Lohn- und Gehaltsniveau zu schaffen. Dafür ist es notwendig, dort den Wettbewerb zu reglementieren, z.B. über die Festsetzung von (kollektivvertraglichen) Mindestlöhnen, oder Höchstarbeitszeiten. Ebenso wichtig ist es für ein durchlässiges Bildungssystem zu sorgen, durch das es Menschen möglich wird, notwendige Qualifikationen zu erwerben.
Das Sozialsystem (Sekundärverteilung): Selbst ein sinnvoll geregelter Arbeitsmarkt benötigt ein starkes Sozialsystem, das gegen wirtschaftliche Risiken absichert (z.B. Arbeitslosen- oder Pensionsversicherung) und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Darunter fallen etwa leistbare Kinderbetreuung oder Pflegeeinrichtungen, um betreuenden Personen die Berufstätigkeit zu ermöglichen. Jedenfalls ist es notwendig für eine entsprechende Finanzierung der sozialen Absicherung zu sorgen!
Gerade in Bezug auf atypische Beschäftigung gibt es aber auf beiden Ebenen Probleme. Freiberuflich Beschäftigte sind nicht kollektivvertraglich geschützt, Menschen, die (unfreiwillig) verhältnismäßig wenige Stunden pro Woche arbeiten, erreichen oft kein ausreichend hohes Lohnniveau und Leiharbeitskräfte sind oft von notwendigen betrieblichen Fortbildungsmaßnahmen ausgeschlossen. Dazu kommt, dass niedrige Arbeitslosen- und Pensionsversicherungsbeiträge von Teilzeitbeschäftigten zu entsprechend niedrigen Leistungen im Fall von Arbeitsplatzverlust oder in der Pension führen.
Atypisch Beschäftigte
Das österreichische Sozialsystem – und das ist bei aller berechtigten Kritik eines der besten der Welt – ist von seiner grundsätzlichen Ausgestaltung her nach wie vor am klassischen Vollzeitbeschäftigten orientiert. Daher ist es derzeit nur bedingt dafür geeignet, die fortschreitenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt abzusichern. Der starke Druck den die Wirtschaftskrise auf die Finanzierung der sozialen Sicherung, aber auch auf die Löhne ausübt, vergrößert die Probleme zusätzlich.
Aus Sicht der Arbeiterkammer ist es am wichtigsten, gut abgesicherte und qualitativ hochwertige Arbeitsplätze zu schützen bzw. auszubauen. Das beinhaltet u.a. ein angemessenes Lohnniveau, Weiterbildungsangebote und hohen arbeitsrechtlichen Schutz. Ebenso sehr braucht es ein gut ausgebautes Sozialsystem, das für alle Betroffenen – also auch jene die prekär oder atypisch beschäftigt sind – Sicherheit im Fall von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter oder Invalidität bietet. Darunter fallen u.a. der Ausbau der Arbeitslosenversicherung bis hin zu einer Beschäftigungsversicherung, die Übergänge im Erwerbsleben besser absichert. Oder ganzjährige Kinderbetreuungsangebote, inklusive Ganztagsschulen, für eine verbesserte berufliche Integration von Frauen mit Betreuungsverpflichtungen. Besonders in diesem Bereich sind aber noch viele Lücken zu schließen.
Es ist auch notwendig die Praxis weiter zu bekämpfen, dass Arbeitsverträge durch freie Dienstverträge oder Werkverträge umgangen werden. Gerade in diesem Bereich wurden in den letzten Jahren mit Hilfe der Sozialgerichte große Fortschritte erzielt. Unabhängig von den konkreten Umständen ist es aber jedenfalls notwendig, dass alle politischen Akteur/innen sich einem starken Sozialstaat verpflichten. Nur so können langfristig jene Herausforderungen überwunden werden, die mit einer zunehmend flexiblen Erwerbsgesellschaft einhergehen.
Norman Wagner ist sozialpolitischer Referent der Arbeiterkammer Wien.
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