Ende des Arbeitsverbots
Soll der Arbeitsmarkt wieder für Flüchtlinge geöffnet werden? Ja, sagt der Sozialwissenschaftler August Gächter. Das würde fehlende Arbeitskräfte bringen und Bund und Ländern zusätzliche Einnahmen von rund acht Milliarden Euro bescheren.
Flüchtlinge in Österreich sind seit einem Erlass aus dem Jahr 2004 vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Was wären die Auswirkungen, wenn sie arbeiten dürften?
Ich hatte einen Auftrag vom Österreichischen Städtebund, auszurechnen, was es allein den Gemeinden an zusätzlichen Einkommen bringen würde, wenn die Qualifikationen von Flüchtlingen am Arbeitsmarkt adäquat verwertet werden. Die Berechnung ergab zu meinem Erstaunen eine sehr große Zahl: Das würde 1, 3 Milliarden Euro jährlich den Gemeinden allein an zusätzlichen Einnahmen bringen. Den Ländern und dem Bund würden um die 8 Milliarden an Einkommen zusätzlich erwachsen, würde man die Leute adäquat beschäftigen und die gering qualifizierten Tätigkeiten, die sie jetzt ausüben, mit anderem Personal besetzen.
Wer verhindert die Aufhebung des Erlasses?
Dazu muss man sich die politischen Verflechtungen ansehen. Aus dem Sozialministerium hört man immer nur die Stimme des Ministers, es gibt dort aber ganz klar zwei Fraktionen pro und contra. Nach meinem Wissen ist auf Regierungsebene durchgängig vereinbart gewesen, dass der Sozialminister den Erlass nicht ohne die Zustimmung des Innenministeriums aufhebt. Und beim Innenministerium ist die höchste Priorität, dass AsylwerberInnen in Österreich nicht integriert werden. Denn in dem Moment, wo sie hier eine Art von Privat- und Familienleben entwickeln, würde der Artikel 8, Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention greifen. Dann könnte es schwierig werden, sie abzuschieben für den Fall, dass sie kein Asyl gewährt bekommen.
Wie können Flüchtlinge überhaupt in den Arbeitsmarkt integriert werden?
Aus Sicht des Innenministeriums so, dass das BMI die Leute aus dem Asylverfahren entlässt und ins Gastarbeiterwesen transferiert. Das hat man in der Vergangenheit regelmäßig gemacht. Beim vorletzten größeren Fluchtereignis um 1990 ist das ganz explizit mit den rumänischen Flüchtlingen passiert. In einem Ressortübereinkommen zwischen Sozial- und Innenministerium hat man eine sehr große Zahl rumänischer Asylwerber aus dem Asylverfahren herausgenommen, und in den Arbeitsmarkt entlassen. Betriebe, die sie beschäftigen wollten, erhielten eine entsprechende Bewilligung. Das ging sehr flott. Die rumänischen Flüchtlinge von damals waren wahrscheinlich die beruflich und bildungsmäßig qualifizierteste Einwanderung, die Österreich im 20. Jahrhundert erlebt hat. Die Leute sind sehr gut im Arbeitsmarkt untergekommen. Unser Institut hatte selbst 2003 bis 2005 einen Auftrag von Gemeinden in der Obersteiermark, herauszufinden, was sie als Gemeinden tun müssen, damit ihnen die rumänischen Flüchtlinge als Arbeitskräfte nicht in andere Regionen mit besseren Jobangeboten davonlaufen.
Lässt sich der Arbeitsmarkt von 1990 wirklich mit der heutigen Situation vergleichen?
Nicht ganz, damals war Hochkonjunktur, erstmals seit den 1970er Jahren hatte man ein Wirtschaftswachstum von mehr als 4 Prozent verzeichnet. Aber es gibt einen zweiten vergleichbaren Fall: Im April 1992 hat der Krieg in Bosnien begonnen und damit der Zustrom von Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegovina. Für das Jahr 1992 hatten die Wirtschaftsforschungsinstitute ein negatives Wirtschaftswachstum von einem halben Prozent vorhergesagt. In dieser Situation wären der Sozialminister und auch die Gewerkschaften ganz strikt gegen einen Zuzug mit Arbeitserlaubnis gewesen. Als die Flüchtlinge aus Bosnien kamen, gab es in den Gemeinden eine große Hilfsbereitschaft. Das Innenministerium sprach von 90.000 Menschen, davon waren sicherlich 50.000 im erwerbsfähigen Alter. In dieser wirtschaftlich schwierigen Situation ist es trotzdem gelungen, die Leute in den Arbeitsmarkt zu integrieren, allerdings wieder zum Preis, dass sie gering qualifizierte Tätigkeiten ausüben mussten. Am Ende des Jahres hat sich herausgestellt, die Wirtschaft war um 1,6 Prozent gewachsen. Es wäre vermessen, da einen kausalen Zusammenhang herzustellen, aber ich denke, die Tatsache, dass Flüchtlinge mit nichts kommen und alles an Gütern für das Leben brauchen, passt sehr gut zum Gewerkschaftsargument, dass man der Wirtschaft damit hilft, dass man den Ärmsten Geld in die Hand gibt. Weil dieses Geld geht sofort in den Konsum und schafft damit wieder Arbeitsplätze.
Wie sollten die Qualifikationen der Flüchtlinge genutzt werden?
Ich glaube grundsätzlich nicht, dass wirtschaftliche Argumente sehr stark im Vordergrund stehen sollten, sondern Menschenwürde und Menschenrechte. Aber man braucht rationale Wirtschaftsargumente nicht zu verschweigen. Seit dem Zuzug aus Rumänien sind die Flüchtlingsbewegungen noch deutlich qualifizierter geworden. Von der sechsten Flüchtlingswelle seit 1945, die hat sich zwischen 1998 und 2005 abgespielt, da gab es ungefähr 200.000 Asylanträge, hat etwa ein Drittel der Leute einen Abschluss von der Matura aufwärts aus dem Ausland mitgebracht. Ungefähr ein Drittel ist am anderen Ende der Skala, und ein Drittel hat eine mittlere Ausbildung. Ein Drittel höhere Bildung, das ist deutlich mehr, als die einheimische Bevölkerung hat, das wirft Probleme auf: Die Betriebe sind nicht darauf eingestellt, das AMS kann mit höherer Bildung überhaupt nichts anfangen. Aber: Ich denke, wenn das Innenministerium sich jetzt erkundigen würde, welche Qualifikationen die Leute mitbringen, und diese Infos den Gemeinden zur Verfügung stellen würde, dann würde es wesentlich leichter fallen, die Leute unterzubringen.
Der Bund hat Probleme, Flüchtlinge in Gemeinden unterzubringen. Wie könnte sich das ändern?
Es ist nicht sinnvoll, zu versuchen, die Leute in Untätigkeit zu halten und wie Häftlinge durchzufüttern, sondern sie rechtzeitig in den Arbeitsmarkt zu überführen, wo sie auch gebraucht werden. Das klingt angesichts des Jammerns über die Arbeitslosigkeit vielleicht paradox – Tatsache ist aber, dass die wiederholten Flüchtlingswellen, die es etwa alle zehn Jahre gibt, nie gereicht haben, um den Bedarf am Arbeitsmarkt zu decken. Es hat zwischen 1988 und 1994 einen Zuzug von ungefähr 200.000 Leuten gegeben, trotzdem hat bereits 1997 das AMS wieder begonnen, Arbeitskräfte im Ausland anzuwerben. Ebenso zwischen 1998 und 2005, wo wiederum 200.000 Asylanträge gestellt wurden. Österreich hat einen sehr großen Arbeitskräftebedarf, auch jetzt wirbt das AMS Arbeitskräfte in Ungarn, in der Slowakei und auch in Rumänien an. Ich denke deshalb, dass die Forderung, den Erlass aufzuheben, günstiger ist als in den vergangenen zehn Jahren. Deshalb, weil die Sozialpartner das geschlossen befürworten. Auf diese Weise können sie einen Teil der Entscheidungsmacht, die sie vor 2002 hatten, wieder zurückbekommen. Und es ist auch vernünftig, dass die Sozialpartner entscheiden, wer wann in den Arbeitsmarkt kann, und nicht die Juristen im Innenministerium. Ich würde auch den Gemeinden raten, sich stärker mit den Sozialpartnern kurzzuschließen, das war immer ein Schwachpunkt in der österreichischen Struktur. Und ich befürworte auch, dass Gemeinden, die Flüchtlinge aufnehmen, ein Mitspracherecht erhalten, ob diese in den Arbeitsmarkt dürfen oder nicht. Es wurde zudem vorgeschlagen, dass die Flüchtlingsaufnahmequoten kleinräumiger gestaltet werden, nicht nur auf Bundesländerebene. Ich würde vorschlagen, das nicht nur an der Bevölkerungszahl zu orientieren, sondern auch an der Wirtschaftskraft. Das sollte aber nicht nur über Quoten passieren, sondern man sollte den Gemeinden auch stärkeren Spielraum geben, sich fremdenrechtlich einzubringen.
August Gächter beschäftigt sich seit rund 25 Jahren mit Einwanderung und Integration. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Soziale Innovation (ZSI) in Wien. Der Text entstand im Rahmen der von SOS Mitmensch organisierten Pressekonferenz „Wir heben das Arbeitsverbot für Asylsuchende auf “. Bereits wenige Tage später hatten die Online-Petition 17.000 Menschen unterzeichnet.
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