Haus oder Maus?
DOSSIER. Sprachstandfeststellungen entscheiden darüber, ob ein Kind in die Volksschule gehen darf. Die Tauglichkeit des Verfahrens wird von ExpertInnen aber skeptisch betrachtet.
Text: Fritz Franz
Ein Kind im Alter von 4,5 Jahren sollte mitteilen können, wann es muss. „Ich muss aufs Klo gehen.“ Mit einem grammatikalisch korrekt formulierten Satz wie diesem könnte das Kind schon wieder einen wichtigen Punkt bei der so genannten Sprachstandfeststellung sammeln. Seit einigen Jahren müssen sich Kinder in Österreich durch einen Nachweis ihrer Deutschkenntnisse für die Einschulung qualifizieren. Derzeit werden diese Tests 15 Monate vor Schulbeginn durchgeführt, ab 2015 sollen bereits die 3,5-Jährigen evaluiert und ein zweites Pflichtkindergartenjahr eingeführt werden. Die Tests sind nicht unumstritten. Zwar bemühte man sich beim Entwurf der Sprachstandserhebung, zentrale Kriterien herauszuarbeiten: da geht es um Kompetenzen in der Phonologie, der Morphologie und der Syntax. Ob die Pädagogin „Maus“ oder „Haus“ gesagt hat, das sollte ein Kind unterscheiden können. Falsch wäre die Syntax, wenn der Vorschüler sich so ausdrücken würde: „Das Mädchen ein Eis schleckt.“ Am Ende des Schnuppertages, so wird der Prüfungstag genannt, gibt es eine bestimmte Punkteanzahl. Wer nicht genügend erreicht, braucht Förderung, um später doch noch zugelassen zu werden. Sonst heißt es, warten.
Bei den Sprachstandfeststellungen, die im Kindergartenjahr 2012/13 durchgeführt wurden, hat man insgesamt 80.200 Kinder getestet. Bei 23 Prozent von ihnen wurde ein Förderbedarf attestiert. Das heißt, jedem vierten getesteten Kind wurden Probleme mit der deutschen Sprache attestiert. Betroffen sind nicht nur Kinder, deren Muttersprache eine andere als Deutsch ist. Mit der Formulierung „de Hund“ könnte ein Kind aus einem österreichischen Bundesland auch an der Mehrzahlbildung von „die Hunde“ gescheitert sein.
Dass die Erhebungen nur bedingt aussagekräftig seien, wurde indes mehrfach angemerkt. Defizite bei den Vergleichswerten entstünden etwa dadurch, dass nicht der Bund, sondern die Länder für das Kindergartenwesen zuständig sind. Damit entscheiden sie auch über die frühkindlichen Förderprogramme, deren Methode und Praxis in den Bundesländern unterschiedlich ausfallen. Die Sprachstanderhebung selbst beurteilte der Grazer Linguist und Leiter der Forschungsstelle Österreichisches Deutsch an der Uni Graz, Rudolf Muhr, einmal harsch als „stümperhaft und unausgegoren“. Muhr kritisierte gegenüber dem Standard, dass die Kompetenzen im Schriftdeutsch über eine Zulassung entscheiden würden und ortet eine mangelnde Wahrnehmung „sprachlicher Identitäten“. Der Sprachwissenschafter Gero Fischer, Professor am Institut für Slawistik an der Uni Wien, hält es für verfehlt, dass das Schulsystem „monolingual“ ausgerichtet ist und damit sprachliche Kompetenzen im Wesentlichen auf Deutsch reduziert werden. Er plädiert dafür, MigrantInnen aktiv für das Lehramt anzuwerben. Das Verständnis davon, dass Sprachkompetenzen und Potenziale von Kindern über das Abprüfen der deutschen Sprache vorgenommen werden, ist auch einer der Kritikpunkte an der Praxis der Sprachstanderhebungen. Herkunftssprachliche Erfahrungen werden dabei ignoriert, die Frage, ob es einem Kind nur am Wortschatz fehlt oder an einem tieferen Sprachverständnis würde nur undifferenziert dargestellt. Dass gerade bei Kindern, die Kenntnisse in zwei oder drei Sprachen aufweisen, innerhalb kurzer Zeit schnelle Sprachentwicklungen, etwa in der deutschen Verkehrssprache, möglich sind, kann durch das additive Verfahren der praktizierten Sprachstandfeststellungen nicht erfasst werden. In einer Untersuchung wies etwa die deutsche Linguistik-Professorin Drorit Lengyel darauf hin, dass Tests ausschließlich für monolinguale Kinder entwickelt werden und dementsprechend auch das Konstrukt monolingualer Sprachkompetenz messen. Lengyel gibt zu Bedenken, dass mit diesen Normwerten Kinder, zumal mit Migrationshintergrund, nur sehr eingeschränkt beurteilt werden könnten. Anzumerken wäre, dass die Tests in Österreich seit einigen Jahren vom Österreichischen Integrationsfonds begleitet werden. Tatsächlich bemüht man sich international schon seit Jahren, Tests zu entwickeln, die für mehrere Sprachen Gültigkeit haben. Denn, auch das hält Lengyel für problematisch, es treten gerade durch Übertragungen aus anderen Sprachen Ungenauigkeiten zutage, die die Testergebnisse verfälschen. Werden Tests, etwa auch Bildtests, von westlichen Sozialisationsvorstellungen entwickelt, kann das etwa für ein chinesisches Kind zu einem Nachteil in der Bewertung führen. Dass das Vorhandensein sprachlich komplexer Möglichkeiten durch einen Deutschtest nicht vollständig erfasst werden kann, wird jedenfalls als eines der zentralen Defizite der Sprachstandfeststellungen angesehen.
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