Halbe Sachen
DOSSIER. In Österreich sind Versuche, anonymisierte Bewerbungsverfahren einzuführen, auf teils kuriose Weise gescheitert.
Text: Nasila Berangy
Gerlinde Buchsbaum, Leiterin der Abteilung Service für Unternehmen im AMS Wien, gibt sich keinen Illusionen hin. „Menschen mit Migrationshintergrund werden aufgrund ihrer Herkunft oder Religion diskriminiert. Sie scheitern im Bewerbungsprozess bereits im ersten Schritt – denn sie werden zu keinen Bewerbungsgesprächen eingeladen.“ Erhärtet werden Buchsbaums nüchtern gehaltene Worte von einer Studie aus Deutschland, die der Sachverständigenrat für Integration jüngst in Auftrag gegeben hat. Wissenschaftler haben 3.600 fiktive Bewerbungen ausgeschickt: die einen mit den Namen Ahmet und Hakan, die anderen lauten auf Lukas und Tim. Das Resümee des Studienleiters Jan Schneider: „Deutschland hat es mit einem ernsten Diskriminierungsproblem zu tun.“ Obwohl die vier fiktiven Bewerber die gleiche Qualifikation aufwiesen und Deutsch als Muttersprache angaben (Türkisch spricht keiner der vier Bewerber), wurden die Burschen mit den türkisch klingenden Namen öfter ignoriert und geduzt.
Um die Diskriminierung zumindest im ersten Bewerbungsschritt zu vermeiden, konzipierte Buchsbaum für das AMS Wien im vergangenen Jahr ein Projekt, in dem sich Arbeitssuchende anonymisiert bewerben sollten: ohne Angabe des Namens, des Geburtsdatums, des Geschlechts und auch ohne das obligate Foto im Lebenslauf. Den Ausschlag sollte ganz allein die Qualifikation der Arbeitssuchenden geben. Buchsbaum fand fünf Firmen aus dem Bereich Handel und Facility Management, die bereit waren, sich als Partner am Projekt zu beteiligen. Zwei der Unternehmen zogen sich allerdings schon nach kurzer Zeit wieder zurück. Was war passiert?
Das AMS-Team hatte für die Firmen aus seinem Pool der arbeitssuchenden Personen potenzielle KandidatInnen ausgesucht und deren Lebensläufe anonymisiert an die Firmen geschickt. Das Ergebnis war ernüchternd, wenn nicht kurios: Innerhalb von sechs bis sieben Monaten konnte keine einzige der Personen vermittelt werden, da die Firmen sich aufgrund des anonymen Lebenslaufs offenbar nicht für eine KandidatIn entscheiden konnten und es somit auch zu keinem Bewerbungsgespräch kam. Es hat den Anschein, als wäre den Firmen vorab nicht ganz klar gewesen, was eine anonymisierte Bewerbung bedeutet. Die gescheiterte Personalsuche fand im Handel statt, dort können, laut Buchsbaum, üblicher weise bis zu 75 Prozent der Arbeitssuchenden vermittelt werden.
Jene beiden Firmen aber, die ihre Bereitschaft vorzeitig zurückgezogen hatten, brauchten zwar dringend Personal, wollten aber keine weiteren anonymen Bewerbungen entgegennehmen. Ihnen war der Aufwand anscheinend zu hoch. Die Projektleiterin vermutet, dass sich die Firmen aufgrund des fehlenden Fotos mit den Bewerbungen intensiver auseinandersetzen hätten müssen. Dazu kommt die Praxis, nach der man in Österreich eine Stelle besonders nach Soft Skills besetzt. Diese lassen sich aber erst in einem Gespräch herausfinden.
Name und Foto sind wichtig
Doch das Projekt des AMS ist nicht der einzige nahezu erfolglose Versuch, Bewerbungen in Österreich zu anonymisieren. Bundesministerin Heinisch-Hosek, die in der vergangenen Legislaturperiode auch für den öffentlichen Dienst zuständig war, hatte nach dem Vorbild der deutschen Antidiskriminierungsstelle ebenfalls ein Pilotprojekt zur Anonymisierung von Bewerbungsverfahren durchgeführt. Euphorisch verkündete sie im September 2012 in einer Presseaussendung, dass sie sich „vorstellen könnte, gemeinsam mit den Sozialpartnern gesetzliche Maßnahmen zu erarbeiten, damit die Anonymisierung in Österreich Standard wird“ Von diesem Enthusiasmus scheint heute nicht viel übrig geblieben zu sein. Doch dazu später mehr.
Zur Teilnahme an Heinisch-Hoseks Pilotprojekt erklärten sich die Konzerne Rewe und Novomatic bereit. Der Glücksspielkonzern wollte zwar nicht das gesamte Bewerbungsverfahren anonym gestalten, sagte aber zu, den Bereich der Trainees zu anonymisieren. Auf Anfrage bei Novomatic, wie das Projekt letztlich abgelaufen sei, gab sich die Konzernleitung zugeknöpft. Erst auf umständliches Nachfragen ließ die Novomatic Group – Gesamtumsatz 2012 laut Website mehr als 3,2 Milliarden Euro – über einen Sprecher schriftlich mitteilen, dass die Ergebnisse des Verfahrens wenig überzeugend ausgefallen seien. Und lapidar: Der Zusatzaufwand habe sich als zu groß erwiesen.
Gesprächsbereiter erwies sich hingegen Rewe International. Personaldirektor Johannes Zimmerl erzählt, dass Rewe zunächst nur für die IT (Datenverarbeitung), später aber auch für weitere Abteilungen anonymisierte Bewerbungen eingeführt hat. Der Haken daran ist aber, dass die Anonymisierung nicht verpflichtend war. Man stellte den BewerberInnen frei, ob sie sich „blind“ oder personalisiert bewerben möchte Das Ergebnis sieht, wenig überraschend, laut Zimmerl so aus: „Die Anzahl der anonymen Bewerbungen hält sich in Grenzen.“ Klar, denn dieser Wettbewerb läuft doch eher ungleich ab.
„Warum sollte sich jemand, der Mainstream ist, anonym bewerben?“, fragt Astrid Moritz, Leiterin der Abteilung Frauen und Familien in der Arbeiterkammer Wien. Unter diesen Bedingungen entstehe doch das Gefühl, dass eine Bewerbung etwas zu verstecken habe, wenn sie anonym erfolgt. Das ist au auch der Grund, warum Rewe nur eine marginale Anzahl an anonymen Bewerbungen erhält, die in keiner Relation zu den personalisierten Bewerbungen steht. Seit Beginn des Pilotprojekts fanden auf diese Weise insgesamt nur fünf Personen Aufnahme in den Konzern.
Zimmerl gibt sich hingegen auch für den gemischten Bewerbungsmodus optimistisch und meint, er würde sich freuen, wenn sich mehr Personen anonym bewerben. Er will keine Skepsis aufkommen lassen und spricht von einem „guten Instrument“, das in Österreich erst noch populär gemacht werden müsse. Zimmerl selbst empfiehlt es anderen Personalchefs in persönlichen Gesprächen weiter. Ein völlig anonymisiertes Verfahren hält Zimmerl trotz des mäßigen Erfolgs für nicht zweckmäßig. Zu groß wäre das Risiko, BewerberInnen zu verlieren, würde die Tür für personalisierte Bewerbungen geschlossen. Dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Religion, des Geschlechts oder einer Behinderung diskriminiert werden, davon ist Zimmerl zumindest für einen Teilbereich des Lebens wie den Arbeitsmarkt überzeugt. Zimmerl: „Es gibt bestimmt Firmen, die niemanden mit Migrationshintergrund und Kindern nehmen würden.“
So bleibt das Projekt bei Rewe eher in einer pragmatischen Variante bestehen: Auch wenn Zimmerl überzeugt ist, dass in seinem Konzern niemand diskriminiert wird – mit den anonymisierten Bewerbungen will man den Leuten vor allem Mut machen und zeigen, „dass es uns egal ist, ob sie blond, brünett, Mann, Frau, jung oder alt sind“.
AK sieht keinen Bedarf
Doch was vermag das anonymisierte Bewerbungsverfahren tatsächlich zu leisten? Astrid Moritz von der Arbeiterkammer Wien sieht es zum einen als Instrument zur Sensibilisierung der ArbeitgeberInnen und zum anderen als Chance für bestimmte Personengruppen, überhaupt zu einem Gespräch eingeladen zu werden.
Und wie hält es die AK Wien selbst, so wie es viele deutsche Länder im öffentlichen Dienst praktizieren, dieses Instrument einzuführen? Dazu Astrid Bertalan, Leiterin der Personalabteilung: „Wir beschäftigen uns mit Diversität und haben das verinnerlicht, wir tragen das auch nach außen.“ Deshalb diskutiere die AK Wien auch nicht über die Einführung dieses Modells im eigenen Haus. Gut gestaltete Bewerbungsunterlagen mit einem übersichtlichen CV und einem prägnanten Motivationsschreiben seien laut Bertalan in der AK ohnehin wichtiger als ein Foto, das Geburtsdatum, Geschlecht oder die Herkunft. Würden diese Angaben fehlen, wäre es für Bertalan dennoch kein Grund, die BewerberIn vom Auswahlverfahren auszuschließen. Einzig, wer lässt in Österreich diese Infos in seinem CV aus? Bertalan: „Vereinzelt kommt es vor, dass wir Bewerbungen ohne Foto bekommen.“
Auch im Büro von Bundesministerin Heinisch-Hosek hält man offenbar nicht so viel von der Vorbildfunktion für die Privatwirtschaft. „Denn“, so erklärt die Projektzuständige Ursula Bazant aus dem Büro de der Bundesministerin, „alle BewerberInnen, die die Kriterien erfüllen, müssen in die zweite Runde eingeladen werden. Das ist gesetzlich vorgeschrieben. Das würde daher das Instrument der anonymisierten Bewerbung ad absurdum führen.“ Wenn also deutsche Kommunen anonymisierte Bewerbungen einführen, möge das für diese sinnvoll sein, aber auf Österreich sei das deshalb nicht automatisch übertragbar, so die nicht ganz schlüssige Argumentation. Zudem sei, so die Argumentation, auch das Interesse der Wirtschaft in Deutschland am Modellprojekt sehr begrenzt gewesen. Dem widerspricht Sebastian Bickerich von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Deutschland. Nach Pilotprojekten hätten immerhin das Familienministerium, die Bundesagentur für Arbeit, die Regionaldirektion NRW, der Münchner Geschenkespezialist MYDAYS und die Stadtverwaltung Celle die Anonymisierung eingeführt. MYDAYS habe sogar seine Personalchefin Natalie Mankuleyio im Rahmen des Pilotprojekts gewonnen, mehr als die Hälfte aller neuen MitarbeiterInnen werden heute über anonyme Bewerbungen gefunden. Die Deutsche Post, DHL, die Deutsche Telekom, L’Oréal Deutschland und Procter & Gamble setzen mittlerweile Teilanonymisierungen ein.
Zudem wollen neun deutsche Bundesländer das Verfahren erproben. Das Vorbild zeigt Wirkung: In Baden-Württemberg machen bereits eine ganze Reihe mittelständischer Unternehmen mit. Schleswig-Holstein wird 2016 ein Pilotprojekt starten, bereits heute verzichtet man auf das Foto im Lebenslauf. Eine Praxis, die in den USA schon lange üblich ist: Dort sind personalisierte Bewerbungen verpönt. Bei Telecom USA erhält man sogar sein Foto zurück, wenn man eines in seinen Lebenslauf kopiert.
In Österreich scheint Wien indes einen anderen Weg zu gehen als der Bund. „Aus integrationspolitischer Sicht ist es ein wichtiges Instrument, das zu begrüßen ist“, sagt Andreas Berger, Sprecher der Stadträtin für Integration, Frauenfragen und Personal. Man arbeitet an neuen Maßnahmen für das Diversitätsmanagement und an einem Wien-Modell, anonymisierte Bewerbungsverfahren seien ein Teil dessen. In welchem Umfang kann Berger noch nicht sagen. Aber „der politische Wille ist da“. Im Herbst wird das Modell für den öffentlichen Dienst präsentiert. Bleibt abzuwarten.
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