Der öffentliche Frieden und seine Gefährder
DOSSIER. Was haben FlüchtlingsaktivistInnen, Fußballfans und TierschützerInnen gemeinsam? Jene problematischen Paragrafen, mit denen gegen sie ermittelt wird. Wird hier zivilgesellschaftliches Engagement gefährdet? Text: Stefan Kraft
Staatsanwälte reizt man nicht. Das musste der Verteidiger des Rapid-Fans Oliver P. erfahren, als er Mitte Februar dieses Jahres erwirken wollte, die immerhin schon mehrere Wochen andauernde U-Haft seines Mandanten gegen Hausarrest samt Fußfessel zu tauschen. Die mit den Ermittlungen beauftragte Staatsanwältin Stefanie Schön wehrte sich in ihrer Beschwerde vehement gegen die angestrebte Milderung und verwies auf die Gefahr einer „einschlägigen Tatbegehung“. Die Causa dreht sich um Schlägereien zwischen Fans und Polizisten am Rande eines Fußballspiels im September 2013. Der Verdächtige wurde fünf Monate später unter dem Vorwurf des Paragrafen 274 des Strafgesetzbuches (Landfriedensbruch) festgenommen.
Als die Anklagebehörde das Oberlandesgericht (OLG) einschaltete, um die weitere Untersuchungshaft zu klären, kam es zu harschen Worten. Allerdings gegen die Staatsanwältin. Denn auf den Videoaufnahmen, die Polizei und Justiz von den Vorfällen zur Verfügung standen, konnte das OLG im Gegensatz zu Schön die Gründe für die U-Haft nicht bestätigen. „Zu keinem Zeitpunkt des Videoverlaufs entsteht der Eindruck gewaltbereiter Aggressivität des Beschuldigten“, hieß es da. Darüber hinaus sei „keiner einzigen Zeugenaussage irgendein belastender Moment gegen den Beschuldigten zu entnehmen“. Oliver P. musste freigelassen werden.
Klassischer „Ungehorsamsparagraf“
Staatsanwältin Stefanie Schön steht nicht zum ersten Mal im Licht der Öffentlichkeit. Anfang des Jahres war sie drauf und dran, Michael Genner, den Obmann der NGO Asyl in Not, wegen Paragraf 282 Strafgesetzbuch („Aufforderung zu mit Strafe bedrohten Handlungen und Gutheißung mit Strafe bedrohter Handlungen“) vor Gericht zu bringen. Genner hatte in einem Artikel im August 2013 mit dem Titel „Schlepper und Lumpen“ seine „Achtung“ vor „jedem ehrlichen Schlepper“ bekundet, „der seine Kunden sicher aus dem Land des Elends und Hungers, des Terrors und der Verfolgung herausführt“. Nicht ohne sich im selben Text von verbrecherischen Schleppern zu distanzieren. Schön war der Meinung, hier liege die strafwürdige Gutheißung eines Verbrechens vor.
Im Gegensatz zu den Rapid-Fans erfuhr Michael Genner einiges an öffentlicher Solidarität. Selbst der eingefleischte Neoliberale Christian Ortner merkte in einem Kommentar für die „Presse“ an, hier handle es sich um einen „von allen guten Geistern verlassenen Staatsanwalt“. Schließlich zog die Oberstaatsanwaltschaft Wien die Notbremse und erteilte die Weisung, der Strafantrag müsse zurückgezogen und der Prozess abgewendet werden. Der vorgesehene Termin für die Verhandlung am 6. Februar 2014 fiel ins Wasser. Gegenüber MO wollte die Staatsanwältin keine Aussagen zu den laufenden und abgeschlossenen Verfahren tätigen.
Albert Steinhauser, Justizsprecher der Grünen, nennt den Paragrafen 282 einen „klassischen zivilen Ungehorsamsparagrafen, der Äußerungen ahndet, die im Zuge politischer Aktivitäten getätigt wurden. Und das kollidiert mit der Meinungsfreiheit.“ Wohlgemerkt stößt sich Steinhauser vor allem an Absatz 2 des Gesetzes, der die „Gutheißung“ (und nicht den Aufruf zu) einer Straftat ahndet.
Der Paragraf 282 gehört zu einer Gruppe von Gesetzen, die im österreichischen Strafgesetzbuch unter der Überschrift „Strafbare Handlungen gegen den öffentlichen Frieden“ rangieren. Ebenfalls dort verzeichnet sind die Paragrafen 274 („Landfriedensbruch“), 278 („kriminelle Vereinigung“), 278a („kriminelle Organisation“) sowie 278b („terroristische Vereinigung“).
Grundrechte in Gefahr
Geht es nach der Zahl der Gerichtsverfahren und Verurteilungen nach diesen Paragrafen in den letzten Jahren, könnte man den Eindruck gewinnen, der öffentliche Friede sei zunehmend in Gefahr. Symptomatisch steht dafür das Delikt des „Landfriedensbruchs“: Wie der „Standard“ recherchierte, wurden nach der großen Strafrechtsreform des Jahres 1974, aus dem der Paragraf auch stammt, bis zum Jahr 2003 lediglich 23 Verurteilungen ausgesprochen. Doch allein im Jahr 2012 wurden 75 Personen nach diesem Gesetz bestraft. Der Großteil von ihnen waren Fußballfans. Mit einer anschwellenden Gewaltwelle in den Stadien, die ein härteres Vorgehen der Justiz notwendig mache, sei dies jedenfalls nicht erklärbar, meint Albert Steinhauser : „Die 1970er und 1980er Jahre waren weitaus unruhiger, damals war der Hooliganismus ein weit verbreitetes Phänomen. Das ist heute nicht mehr so.“ Dennoch wurde das fast schon vergessene Gesetz aus seinem Tiefschlaf geholt. „Der Landfriedensbruch ist eigentlich ein Paragraf, der zur Aufruhr- und Aufstandsbekämpfung 1848 eingeführt wurde“, so Steinhauser. Er stellt die „wissentliche Teilnahme an einer Zusammenrottung einer Menschenmenge“ unter Strafe, die darauf abzielt, Gewalttaten zu begehen. Dies bedeutet, dass für eine Anklage nach Paragraf 274 die jeweilige Person nicht selbst etwa eine Körperverletzung oder schwere Sachbeschädigung begangen haben muss – es genügt die Anwesenheit in der Menge, aus der heraus das Delikt passiert ist. Etwa die Teilnahme an einer Demonstration, einem Streik oder einer Sitzblockade, an deren Rande es zum Beispiel zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kommt. Der Linzer Anwalt Manfred Arthofer, Vertreter von angeklagten Rapid-Fans, meint dazu: „Wir laufen Gefahr, eines unserer größten Grundrechte zu verlieren, nämlich jenes der Versammlungsfreiheit.“
Albert Steinhauser weist noch auf eine andere Problematik hin, die sich aus der Anwendung des „Landfriedensbruchs“ ergibt. „Mit diesem Delikt lassen sich Verfolgungshandlungen gegen einen sehr breiten Kreis von Betroffenen rechtfertigen, unabhängig davon, ob sie tatsächlich aktiv an Straftaten mitgewirkt haben.“ Hierin dürfte ein Motiv für Polizei und Justiz liegen, sowohl den „Landfriedensbruch“ wie auch den „Mafiaparagrafen“ 278a nun häufiger zur Anwendung zu bringen. Sie bieten die Möglichkeit zu umfassenderen Ermittlungen wie Hausdurchsuchungen, Razzien, Lauschangriffen und monatelanger Untersuchungshaft. Prominentestes Beispiel hierfür waren jene 13 TierschützerInnen, denen 2010 die Bildung einer „kriminellen Organisation“ nach Paragraf 278a vorgeworfen wurde. Die gegen sie ermittelnde Sonderkommission ordnete sogar an, Peilsender an den Autos der TierschützerInnen anzubringen und schleuste verdeckte ErmittlerInnen in die Gruppe ein. Nach einem 14 Monate dauernden Prozess am Landesgericht Wiener Neustadt wurden alle Angeklagten freigesprochen. Doch die lange Verfahrensdauer und die damit verbundenen anwaltlichen Kosten brachten sie in enorme finanzielle Schwierigkeiten.
Entschärfung gilt als unwahrscheinlich
Der Zusammenbruch des Tierschützerprozesses trug jedoch schließlich dazu bei, dass das Gesetz 2013 reformiert wurde. Während davor eine kriminelle Organisation dadurch definiert war, „erheblichen Einfluss auf Politik oder Wirtschaft“ anzustreben, findet sich dieser – für NGOs durchaus problematische – Passus nicht mehr in der aktuellen Form des Strafgesetzbuches.
Darin unverändert enthalten sind das Delikt des Landfriedensbruchs nach Paragraf 274 sowie die „Teilnahme an einer Zusammenrottung“. Aufgrund der gehäuften Verfahren stellte Albert Steinhauser 2013 einen Antrag auf Abschaffung des Gesetzes, der vor der Wahl allerdings nicht mehr behandelt wurde. Für diese Legislaturperiode stünden die Chancen eher schlecht: „Die Justiz wird sich die hohen Eingriffsmöglichkeiten nicht nehmen lassen.“ Doch auch der Justizsprecher der SPÖ, Hannes Jarolim, sieht das Gesetz kritisch: „Strafbarkeit für den Einzelnen kann also allein dadurch eintreten, dass man an einer ‚Zusammenrottung einer Menschenmenge teilnimmt‘. Das kann auch ohne jede kriminelle Energie oder ohne jeden Vorsatz, eine konkrete strafbare Tathandlung zu begehen, für den Einzelnen eintreten.“
Die Ausnahmebestimmung des Absatzes 3 sieht Jarolim keineswegs ausreichend, „um zu verhindern, dass de facto Unschuldige ebenfalls in die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung geraten können.“
Jarolim schlägt vor, den Landfriedensbruch-Paragrafen „einer intensiven wissenschaftlichen und politischen Diskussion“ zu unterziehen. „In der geltenden Fassung kann der Paragraf für die Zivilgesellschaft, aber insbesondere auch für Fußballfans eine Gefährdung dahingehend darstellen, dass Menschen ohne strafbaren Vorsatz kriminalisiert werden.“
Aus dem Justizministerium war keine konkrete Stellungnahme zu bekommen. Auf Anfrage erklärte der Pressesprecher des Justizministers, dass „anlässlich des 40. Geburtstags“ des Strafgesetzbuches „eine wirklich umfassende Reform“ geplant sei. Details seien nicht bekannt. „Inwiefern die Reformgruppe bei den angesprochenen Paragrafen Reformen vorschlagen wird, kann ich derzeit nicht sagen, da sie ohne detaillierte Vorgaben arbeitet“, gibt Pressesprecher Wiegand gegenüber MO zu Protokoll. Festzuhalten ist, dass das neue StGB im Lauf des Jahre 2015 in Kraft treten soll.
Das drastischste Beispiel für die Folgen der genannten Gesetze stammt aus der jüngsten Vergangenheit: Zum Redaktionsschluss sitzt ein Teilnehmer der Demonstration gegen den WKR-Ball Ende Jänner 2014 wegen Landfriedensbruchs immer noch in Untersuchungshaft. Die über drei Monate Gefängnis stützen sich auf vage Beweise und vor allem: auf ein Gesetz, das dazu angetan ist, die Zivilgesellschaft in ihrem politischen Dasein ernsthaft zu bedrohen.
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